Bonner Unternehmen Simon-Kucher Der Trick der Pizzabäcker

BONN · Das Bonner Unternehmen Simon-Kucher gehört mit 800 Mitarbeitern zu den weltweit führenden Beratungen, die Firmen bei der Preisfindung und der Entwicklung von Preismodellen sowie in der Preisstrategie unterstützen. Mit dem Geschäftsführer Georg Tacke sprach Julian Stech.

 Geschäftsführer Georg Tacke vom Bonner Unternehmen Simon-Kucher.

Geschäftsführer Georg Tacke vom Bonner Unternehmen Simon-Kucher.

Foto: Simon-Kucher

Die Löhne sind in diesem Jahr erneut kräftig gestiegen. Erhöhen die Unternehmen jetzt die Preise, und wenn ja, wo?
Georg Tacke: Potenziale für Preiserhöhungen gibt es in fast allen Branchen. Allerdings werden sie nur selten ausgeschöpft. Am stärksten tut das im Moment die Öffentliche Hand. Die Grundsteuer B ist in Bonn um 28 Prozent gestiegen, die Grunderwerbsteuer in NRW um 30 Prozent. Das sind Monopolpreise. Der Staat nutzt hier seine Stellung gnadenlos aus.

Und die Privatwirtschaft?
Tacke: Der ADAC hat seine Preise im vergangenen Jahr nach unseren Berechnungen um rund zwölf Prozent erhöht und trotz Skandal nur 19 000 Mitglieder verloren. Das Beispiel zeigt, dass auch drastische Preiserhöhungen von den Kunden akzeptiert werden. Viele Unternehmen trauen sich aber nicht. Bei der Deutschen Telekom sind die Preise seit mehr als 20 Jahren auf dem Weg nach unten. Wenn die Telekom die Basispreise anheben würde, würde genauso wenig passieren wie beim ADAC. Unitymedia hat gezeigt, wie es geht.

Dass sich die viele Firmen nicht trauen, ist doch schön für die Verbraucher ...
Tacke: Ja, allerdings auch gefährlich für die Unternehmen. Die Kosten steigen, nicht nur beim Personal, sondern etwa durch höhere Importpreise aus dem Dollarraum. Das geht ein, zwei Jahre gut, dann sind die Gewinne aufgezehrt und es fehlt das Geld für Investitionen.

Die niedrige Inflationsrate deutet darauf hin, dass die Unternehmen Schwierigkeiten haben, Preiserhöhungen durchzusetzen.
Tacke: Die Inflationsrate ist ein Durchschnitt, der Warenkorb sagt nur wenig aus. Oft genügt es, dass die Energiepreise ausschlagen, um die Inflation wesentlich zu beeinflussen. Für den Handel ist entscheidend, dass es bestimmte Preiseckpunkte gibt, die die großen Unternehmen setzen und an denen dann keiner vorbeikommt. Zum Beispiel der Milchpreis bei Aldi.

Welche Strategien entwickeln die Firmen, um Preiserhöhungen durchzusetzen?
Tacke: Amazon hat bei den Bestsellern den niedrigsten Preis im Markt, aber häufig nicht bei den anderen Büchern. Das empfehlen wir auch unseren Kunden, nämlich ein Preisimage zu entwickeln: Produkte mit hoher Aufmerksamkeit günstig anzubieten und das übrige Warenangebot zum Teil auch höher zu bepreisen.

Onlineanbieter ändern die Preise für die gleichen Produkte oft mehrfach am Tag ...
Tacke: Ja, viele Anbieter erkennen sogar, von welchem Gerät aus man einkauft und stimmen dann den Preis darauf ab. Wer auf einem teuren Smartphone oder Tablet surft, zahlt unter Umständen mehr, als wenn er vom heimischen PC aus bucht. Reiseportale etwa ändern die Preise mit der Tageszeit. Abends buchen mehr Studenten, also ist der Flug dann billiger, tagsüber buchen mehr Geschäftsleute, da wird er dann wieder teurer. Das wird die Zukunft sein. Für die Unternehmen ist das allerdings ein zweischneidiges Schwert.

Inwiefern?
Tacke: Der Kunde fragt sich doch: Werde ich jetzt gerade beim Preis über den Tisch gezogen? Folge: Er wartet ab und schaut später noch einmal. Das ist schädlich, weil es vielleicht sogar überhaupt nicht zum Kauf kommt.

Was ist die Lösung?
Tacke: Für Shell haben wir eine Kundenkarte entwickelt mit der Garantie, dass der aktuelle Spritpreis nie mehr als zwei Cent pro Liter über dem von Tankstellen in der Umgebung liegt. Das vermittelt Fairness und Sicherheit.

Wird es auch im stationären Einzelhandel Preisänderungen im Minutentakt geben?
Tacke: "Dynamic pricing", wie wir es nennen, funktioniert auch da. In der Tourismusbranche haben sich die Kunden ja schon daran gewöhnt. Dort gibt es Frühbucherrabatte, Last-Minute-Angebote, und so weiter. Der stationäre Handel muss aber besonders aufpassen und das Instrument mit Augenmaß einsetzen.

Wie sähe das aus?
Tacke: Mit elektronischen Preisschildern wird ja schon experimentiert. Ein Textilhändler zum Beispiel könnte sich bei schönem Wetter überlegen, die Sommersachen vielleicht doch noch nicht so stark herabzusetzen. In Japan gab es ein Pilotprojekt, bei dem sich bei Getränkeautomaten die Preise abhängig von der Außentemperatur änderten.

Wer Preise macht, arbeitet auch mit Psychotricks. Stimmt das?
Tacke: Konsumenten agieren oft irrational. Diese Irrationalität ist allerdings vorhersehbar, und das kann sich der Anbieter selbst zunutze machen.

Verraten Sie uns die gängigsten Kniffe?
Tacke: Es gibt vier Verhaltensmuster von Konsumenten, die sich Unternehmen bei der Preisfindung zunutze machen können. Erstens den sogenannten "Hang zur Mitte". Wenn im Regal zwei Weinflaschen stehen, eine für vier Euro, die andere für sieben, greifen 80 Prozent zur billigen Sorte. Wenn der Händler eine Flasche für zehn Euro dazustellt, dann kaufen auf einmal 60 Prozent den Sieben-Euro-Wein.

Rat an den Händler: Mache immer ein Dreierangebot, nie ein Zweierangebot. Rat an den Kunden: Nicht verleiten lassen, sondern sich fragen, braucht man wirklich das mittlere Produkt oder reicht nicht auch das günstige?

Zweites Muster: der "Ankereffekt". Der Händler bietet ein Produkt besonders teuer an mit dem Ziel, nicht etwa vornehmlich dieses zu verkaufen, sondern ein anderes, daneben stehendes, billiger erscheinen zu lassen. Der Trick funktioniert. In New York haben die Taxen bei Kreditkartenzahlung einen Button mit drei Voreinstellungen fürs Trinkgeld: 20, 25 oder 30 Prozent. Obwohl man als Fahrgast überhaupt nicht verpflichtet ist, das zu zahlen, und auch selbst den Wert niedriger einstellen kann, schnellten die Trinkgelder für die Taxifahrer von im Schnitt zehn auf 22 Prozent hoch. Tarifforderungen der Gewerkschaften sind auch so ein Beispiel: Hoch rangehen und damit einen "Preisanker" auswerfen.

Drittes Muster: Verzicht fällt schwer. Wir haben das bei Pizza ausprobiert. Erstes Angebot: Pizzateig für fünf Euro, jede Zutat 50 Cent extra, Gesamtpreis maximal 11 Euro. Zweites Angebot: Pizza mit allen Zutaten elf Euro, Zutaten weglassen je 50 Cent billiger.

Beim zweiten Angebot blieben im Schnitt mehr als drei Zutaten mehr auf der Pizza, als beim ersten hinzubestellt wurden.

Letzter Punkt: Man liest von links nach rechts. Viele Anbieter platzieren aber etwa auf einer Webseite oder dem Katalog links das Basisangebot, und erst weiter rechts kommen die mittleren und Premium-Tarife.

Wir haben für einige Kunden die Ordnung umgedreht. Das Ergebnis waren rund zehn Prozent höhere Erlöse.

Zur Person

Georg Tacke (56) arbeitet seit 1989 für Simon-Kucher. Der Bad Oeynhausener studierte Betriebswirtschaftslehre und Marketing in Bielefeld, wo er 1988 bei Hermann Simon promovierte. Seit Mai 2009 ist er gemeinsam mit Klaus Hilleke Sprecher der insgesamt achtköpfigen Geschäftsführung von Simon-Kucher. Tacke ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Bonn.

Simon-Kucher gilt als global führende Preisberatung und beschäftigt weltweit inzwischen 800 (Vorjahr: 720) Mitarbeiter in 29 Büros. Das vor 30 Jahren gegründete Unternehmen wächst derzeit weltweit kräftig. Im ersten Halbjahr stieg der Umsatz um 17 Prozent auf 97 Millionen Euro. Weil derzeit besonders viele neue Aufträge hereinkommen, rechnen Tacke und Hilleke mit einem Rekordjahr und einem Umsatz von 200 Millionen Euro.

Stark nachgefragt werden die Bonner Preis- und Strategieberater derzeit von Bio-, Umwelt-, Medizintechnik- und Pharmabranche, von Banken, Maschinenbauern sowie Dienstleistern für die Industrie. Unternehmensgründer Hermann Simon ist vor allem bekannt für seine Publikationen zu den heimlichen Weltmarktführern im Mittelstand, den "Hidden Champions".

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