Interview mit Daniel Zimmer Chef der Monopolkommission: "Rechtlich muss etwas geschehen"

BONN · Die Monopolkommission, ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung in Wettbewerbsfragen, sorgt sich derzeit besonders um die Entwicklung der Internetwirtschaft. Mit dem Chef der Monopolkommission, dem Bonner Juraprofessor Daniel Zimmer, sprach Julian Stech.

 Der Bonner Juraprofessor Daniel Zimmer.

Der Bonner Juraprofessor Daniel Zimmer.

Foto: Barbara Frommann

Die Monopolkommission hat das Internet entdeckt. Was beschäftigt Sie da?
Daniel Zimmer: Es gibt viele Fragen. Eine ist die nach dem Einfluss und der Macht großer Unternehmen wie Google, Amazon oder Facebook. Und hier vor allem nach dem Zusammenhang zwischen Marktmacht und dem Zugriff auf Daten. Bürgerrechte, insbesondere Persönlichkeitsrechte, sind durch die massenhafte Erhebung, Sammlung und Auswertung von Daten bedroht. Der Zusammenhang von Datenverfügbarkeit und Marktmacht ist ein Themenfeld, das die Monopolkommission in nächster Zeit intensiv untersuchen wird.

Haben die von Ihnen genannten Unternehmen denn nach Erkenntnissen der Monopolkommission marktbeherrschende Stellungen?
Zimmer: Das lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten, weil diese Unternehmen teilweise auf mehreren Märkten unterwegs sind. Google beispielsweise ist einerseits eine Suchmaschine, andererseits eine Werbeplattform.

Was bereitet Ihnen denn konkret Sorgen?
Zimmer: Was die Monopolkommission umtreibt, ist eine auf einigen Märkten bestehende Tendenz zur Monopolisierung. Netzwerkeffekte führen beispielsweise dazu, dass ein soziales Netzwerk umso interessanter wird, je mehr Menschen es nutzen. Dieser sich selbst verstärkende Mechanismus hat Facebook zu dem gemacht, was es heute ist. Der Effekt gilt auch für andere Plattformen, denken Sie etwa an Ebay. Den erfolgreichen Unternehmen fließen erhebliche Mittel zu, etwa aus Werbeeinnahmen, die sie dann wieder in die Verbesserung ihrer technischen Leistungsfähigkeit und den Ausbau ihrer Position stecken können.

Dass Erfolg den Erfolg nährt, gilt doch genauso außerhalb des Internets ...
Zimmer: Das stimmt, aber viele Internetfirmen sind auf mehreren Märkten unterwegs, und da kommt eine besondere Dynamik ins Spiel. Je mehr Nutzer Google als Suchmaschine hat, umso interessanter wird es beispielsweise auch als Werbeträger.

Täuscht denn der Eindruck, der Wettbewerb im Internet sei besonders lebhaft? Es schießen doch ständig neue Start-ups aus dem Boden ...
Zimmer: Ja, es ist ein sehr lebendiger Wettbewerb, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Der Vorsprung, den sich beispielsweise Google als Suchmaschine erarbeitet und durch hohe Investitionen und Patente abgesichert hat, ist nur schwer einzuholen.

Aber auch das ist doch eigentlich wünschenswert: Dass sich hohe Investitionen und Innovationen auszahlen. Genau das fordert ja auch die Deutsche Telekom, wenn es um den Breitbandausbau geht.
Zimmer: Grundsätzlich haben Sie recht. Die Zugangshürden im Internet sind zunächst gering, die Monopole oft leichter angreifbar als in der "Old Economy". Große soziale Netzwerke sind schon zusammengebrochen, und auch Facebook wird sich nicht ausruhen können. Früher hatte man die Befürchtung, Microsoft und IBM würden alles unter Kontrolle bekommen, die Sorgen waren unbegründet. Es sind am Ende immer die Bürger, die Nutzer, die entscheiden, ob ein Unternehmen erfolgreich ist. Wenn die meisten Menschen es für vorteilhaft halten, eine bestimmte Plattform zu nutzen, dann hat diese sich ihren Vorsprung offenbar verdient. Aber selbst wenn nur temporäre Marktmacht besteht, ist zu fragen, ob wir hier nicht ein Problem haben ...

... so sind zum Beispiel alle Firmen, die Sie jetzt genannt haben, US-amerikanisch ...
Zimmer: Auch dafür gibt es Gründe. Mit dem Silicon Valley besitzen die USA einen einzigartigen Inkubator. Dort sind die Forschungseinrichtungen, die Unternehmen, die Leute, die man braucht.

Aber wenn die Internet-Branche von US-Firmen dominiert wird, bedeutet das doch auch, dass unsere Daten in deren Besitz gelangen. Und wenn wesentliche wirtschaftliche Transaktionen über US-Plattformen laufen, Deutschland und Europa Teile ihrer Volkswirtschaft über US-Infrastruktur organisieren, werden wir da nicht abhängig?
Zimmer: Das Thema Daten ist sicher das wichtigste in der ganzen Diskussion. Eine echte Bedrohung für die Bürgerrechte sehe ich darin, dass Unternehmen in einem bisher ungekannten Ausmaß auf persönliche Daten bis hin zu Bewegungsprofilen und Konsumgewohnheiten Zugriff haben. Je nachdem, wer diese Datensätze in die Hände bekommt, kann das eine ernste Gefahr werden. Neu ist, dass Privatunternehmen und nicht etwa nur der Staat in großem Umfang Daten sammeln. Denken Sie an die Diskussion um die Volkszählung in den 80er Jahren. Damals schien eine Beeinträchtigung der Bürgerrechte allenfalls von staatlichen Datenerhebungen auszugehen. Es ist alles andere als beruhigend, wenn jetzt Privatunternehmen, die nicht der gleichen Kontrolle unterliegen wie staatliche Stellen, auch noch in einem unvergleichlich größeren Umfang in den Besitz persönlicher Daten gelangen - erst einmal unabhängig davon, in welchem Land diese Unternehmen ihren Sitz haben. Hier muss rechtlich etwas geschehen.

Wie mit der europaweiten Datenschutz-Grundverordnung?
Zimmer: Ja, das ist im Prinzip beschlossene Sache, wobei Details noch offen sind. In der Verordnung wird ein Recht auf Vergessenwerden verankert, wonach jeder von datensammelnden Unternehmen die Löschung personenbezogener Daten verlangen kann. Im Moment ist noch schwer einzuschätzen, wie wirksam das ist. Immerhin sind drakonische Bußgelder vorgesehen, wenn Unternehmen die Löschung verweigern.

Mit der Zustimmung zu Geschäftsbedingungen, etwa bei Facebook, geben Nutzer auf einen Schlag zahlreiche Rechte, wie etwa Fotorechte, ab.
Zimmer: Hier könnte ich mir vorstellen, eine rechtliche Regelung zu finden, die marktbeherrschenden Unternehmen eine differenziertere Handhabung vorschreibt. Nutzer könnten dann jedem Punkt einzeln zustimmen oder ihn ablehnen.

Es gibt in der Internetwirtschaft Bestrebungen der Infrastrukturanbieter wie etwa der Deutschen Telekom, für schnellere Datenübertragung mehr Geld zu verlangen. Was sagt die Monopolkommission dazu?
Zimmer: Hier geht es um die sogenannte Netzneutralität, das heißt um die Frage, ob alle Daten gleich behandelt werden sollen oder ob ein Anbieter gegen Aufpreis beim Netzbetreiber sozusagen eine "Überholspur" buchen kann. Rasant steigende Datenmengen können in den Netzen nicht immer verzögerungsfrei übertragen werden. Bei unterschiedlichen Diensten bestehen aber unterschiedliche Anforderungen an die Übertragungsgeschwindigkeit. Bei einer E-Mail fällt eine Verzögerung oft kaum auf, wenn ein Fernsehbild immer wieder stehenbleibt, bedeutet das ein großes Ärgernis. Es gibt also gute Gründe dafür, im Internet verschiedene Geschwindigkeiten zuzulassen. Wenn ein Unternehmen die Vorteile der schnelleren Verbindung nutzen will, sprechen keine grundsätzlichen Erwägungen dagegen, dass es hierfür extra bezahlt.

Zur Person

Daniel Zimmer (54) ist seit 2001 Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Bonn. Als Sohn eines Beamten in Luxemburg geboren, studierte er in Mainz, Lausanne und Los Angeles Rechtswissenschaften und bekam seinen ersten Lehrstuhl in Bochum, später unterrichtete er auch in Lausanne und Zürich. Seit 2008 ist er Mitglied der Monopolkommission, seit Juli 2012 deren Vorsitzender.

Die Monopolkommission

Die Monopolkommission besteht seit 1974 und ist ein ständiges, unabhängiges Beratungsgremium, das die Bundesregierung in der Wettbewerbspolitik berät. Sie besteht aus fünf Mitgliedern, die über volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, sozialpolitische, technologische oder wirtschaftsrechtliche Kenntnisse verfügen müssen.

Sie werden auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten für vier Jahre berufen, Wiederberufungen sind zulässig. Traditionell besteht die Monopolkommission aus zwei Professoren (einem Juristen und einem Ökonomen) und drei Experten aus der Wirtschaftspraxis. Sitz der Monopolkommission ist Bonn. Die Monopolkommission erstellt alle zwei Jahre ein Gutachten, in dem sie die Entwicklung der Unternehmenskonzentration in Deutschland beurteilt.

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