Interview mit Bettina Schmidt Wie die Arbeitsrechtlerin den Schwarzarbeits-Verdacht bei der Telekom bewertet

BONN · Die Deutsche Telekom geht nach der Insolvenz des privaten Arbeitsvermittlers Lenroxx dem Verdacht nach, im Konzern mehr als 1000 Scheinselbstständige überwiegend in IT-Projekten zu beschäftigen (wir berichteten gestern). Julian Stech befragte dazu die Bonner Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht Bettina Schmidt.

 Vor dem Arbeitsgericht hat Rechtsanwältin Bettina Schmidt eine ehemalige Lenroxx-Mitarbeiterin gegen die Telekom vertreten.

Vor dem Arbeitsgericht hat Rechtsanwältin Bettina Schmidt eine ehemalige Lenroxx-Mitarbeiterin gegen die Telekom vertreten.

Foto: Privat

Sie haben eine ehemalige Projektbeauftragte von Lenroxx, die bei der Telekom eingesetzt war, arbeitsgerichtlich vertreten. Wie stellt sich das Problem der Scheinselbstständigkeit bei der Telekom für Sie dar?
Bettina Schmidt: Von Lenroxx wurden im Rahmen von Projektverträgen Selbstständige teilweise jahrelang bei der Telekom unter anderem in der Zentrale beschäftigt. Die Art ihrer Tätigkeit war zumindest in dem Fall, den ich vertreten habe, der Arbeit eines Arbeitnehmers vergleichbar.

Was bedeutet das arbeitsrechtlich?
Schmidt: Für viele Mitarbeiter in ähnlicher Lage bedeutet das jetzt, dass sie Arbeitslosengeld beantragen können, sofern sie nicht von der Telekom oder einem anderen Dienstleister übernommen wurden. Für die Telekom bedeutet das, dass alle Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der vierjährigen Verjährung mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen komplett nachgezahlt werden müssen zuzüglich eines Säumniszuschlags. Hier könnte bereits bei den von der Telekom genannten 450 Mitarbeitern von Lenroxx durchaus ein zweistelliger Millionenbetrag zusammenkommen. Betroffene freie Mitarbeiter sollten sich juristisch beraten lassen, denn Arbeitgeber können nur unter engen Bedingungen die nachgezahlten Arbeitnehmerbeiträge zu den Sozialversicherungen von den Mitarbeitern zurückfordern; in vielen Fällen auch gar nicht.

Wie beurteilen Sie generell die Form der Arbeitsvermittlung wie bei Lenroxx?
Schmidt: Im Gegensatz zu Leiharbeitern sind die freien Mitarbeiter in diesen Agenturverträgen arbeits- und sozialversicherungsrechtlich nicht abgesichert. Für Auftraggeber wie die Telekom, in deren Projekten sie arbeiten, bedeutet das hohe finanzielle und rechtliche Risiken. Auftraggeber sollten deshalb vor Beginn der Beschäftigung von freien Mitarbeitern genau prüfen, worauf sie sich einlassen, und den Status des Mitarbeiters von der Rentenversicherung vorab prüfen lassen.

Hat die Telekom da geschlafen?
Schmidt: Möglicherweise hat die Telekom das nicht ausreichend beachtet.

Resultieren die Probleme auch aus einer unklaren Rechtslage?
Schmidt: Die Rentenversicherungsträger haben in den vergangenen Jahren ihre Prüfpraxis verschärft. Wer über einen Agenturvertrag arbeitet, aber beispielsweise über einen längeren Zeitraum wie die Angestellten auf einem festen Arbeitsplatz bei einem Unternehmen arbeitet, gilt als scheinselbstständig. Das bestätigen auch regelmäßig die Sozialgerichte. Die Kriterien der Abgrenzung sind allerdings unscharf. Wer vorher durch die Rentenversicherungsträger prüfen lässt, ob die Tätigkeit mit dem Status der freien Mitarbeit vereinbar ist, vermeidet aber zumindest das Nachzahlungsrisiko.

Zur Person

Bettina Schmidt (51) arbeitet in Bonn als Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht. Die gebürtige Essenerin hat in Bonn Jura studiert und war mehrere Jahre für die Arbeitsrechtskanzlei Hümmerich und Partner tätig. Schmidt, Mutter von drei Kindern, hat mehrere Bücher und Aufsätze im Arbeits- und Sozialrecht zu Scheinselbstständigkeit, freier Mitarbeit, sozialversicherungsrechtlicher Betriebsprüfung durch die Rentenversicherungsträger und zum Schwerbehindertenarbeitsrecht veröffentlicht.

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