Einzelhandel Als der Schlussverkauf noch ein Gesellschaftsereignis war

BONN · Manche übernachteten sogar vor den Ladentüren. Bestens ausgerüstet mit Decken und Kissen, zur Stärkung gab es morgens Kaffee aus Thermoskannen. Um die besten Schnäppchen im Sommerschlussverkauf zu ergattern, waren die Kunden früher bereit, einiges auf sich zu nehmen.

Heute kaum noch vorstellbar. Jürgen Oebel (54) hat das in den 80ern noch genauso miterlebt. Der Abteilungsleiter der Bonner Filiale von Galeria Kaufhof erinnert sich noch gut an die Menschenmassen, die sich frühmorgens vor Ladenöffnung an die Schaufenster drückten und Punkt acht den Laden regelrecht stürmten. "Das war ein Riesenspaß", sagt er heute.

36 Sommerschlussverkäufe hat er als Verkäufer schon mitgemacht - viele noch direkt an der Wühltischfront. "Plötzlich waren da 100 Hände. Da gab es schon Situationen, in denen man die Kunden mit einem 'Also, bitte' ermahnen musste", erzählt er und lacht herzlich. "Manchmal dachte ich, hoffentlich schlagen die sich nicht gleich." Doch unangenehm war den Kunden damals anscheinend so gut wie nichts: "War der Weg zu den Umkleidekabinen im Gedränge zu weit, haben sich viele einfach direkt am Wühltisch umgezogen."

Jetzt hat sich das Bild gewandelt: Statt überfüllter Wühltische mit riesigen Preisplakaten, die von der Decke hängen, finden die Kunden eher geordnete "Sale"-Auslagen. Menschenmassen drängeln sich dort heute nicht mehr. Das liegt aber auch daran, dass es im Gegensatz zu früher keinen einheitlichen Starttermin für den Sommerschlussverkauf mehr gibt.

Seit vor zehn Jahren das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) erneuert wurde, kann jeder Händler seine Sommerware reduzieren, wann er möchte. Die Branche spricht nur noch Empfehlungen aus, an denen sich viele Händler jedoch orientieren.

Vor der Gesetzesänderung war der Stichtag immer der letzte Montag im Juli - also heute. Der Samstag davor sei im Geschäft immer geradezu heilig gewesen, erzählt Oebel: "Die Ware wurde für den Kunden fein säuberlich sortiert, Schilder wurden aufgehängt, der Laden geputzt - am Ende ging der Geschäftsführer durch und hat kontrolliert, ob für die Kunden alles perfekt vorbereitet ist."

Damals war der Schlussverkauf ein Ereignis, über das gesprochen wurde. "In der Zeitung waren Fotos, die den Ansturm auf die Geschäfte zeigten", erinnert sich Uwe Stephan, Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands Bonn, Rhein-Sieg, Euskirchen. Im Archiv des General-Anzeigers wird man fündig: Am 26. Juli 1955 lautete die Schlagzeile: "Über 1000 Blusen in wenigen Stunden". Besonders begehrt waren damals Damenwäsche ab 73 Pfennig und Blusen ab 1,95 Mark, heißt es im Text.

Heute sind Rabattaktionen alltäglich geworden. Es gibt etliche über das Jahr verteilt, vor allem bei Textilien. Ebenfalls eine Folge der Gesetzesänderung. Dadurch habe sich der Druck auf den Mittelstand erhöht, meint Stephan. "Große Läden gehen ständig mit großen Rabatten voran, und die kleineren versuchen mitzuhalten."

Läuft man dieser Tage durch die Bonner Innenstadt, werben viele Läden mit bis zu 70 Prozent. "Vor 30 Jahren war in der Regel bei 30 bis 40 Prozent Schluss", sagt Jürgen Dax vom Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels in Köln zur Preisentwicklung. Schon seit ein paar Jahren erreichten die Rabatte "schwindelnde Höhen". Die erreichten früher übrigens auch die aufgetürmten Kleiderstapel, erinnert sich Oebel.

Um dem Kleider- und Kundenchaos Herr zu werden, wurde jede helfende Hand gebraucht. "Wie heute im Weihnachtsgeschäft wurden Aushilfen eingestellt", erzählt der Abteilungsleiter. Sogar die Urlaubsplanung der Mitarbeiter orientierte sich, wenn möglich, am SSV. "Doch am Abend des ersten Kampftages waren alle stolz, wenn sie das gesetzte Ziel erreicht hatten. Dann gab es für die Mitarbeiter schon mal das ein oder andere Gläschen."

Kunden und Händler bleiben Tradition treu

Obwohl es den Sommerschlussverkauf offiziell nicht mehr gibt, beteiligen sich wahrscheinlich wieder etwa drei Viertel der Händler am diesjährigen freiwilligen SSV. Davon geht der Handelsverband Deutschland (HDE) aus. Der inoffizielle Start ist am Montag.

"Zwar ist der Sommerschlussverkauf offiziell abgeschafft, trotzdem nehmen Händler und Kunden ihn immer noch gerne an", erklärt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK Bonn/ Rhein-Sieg, Kurt Schmitz-Temming. Er schätzt, dass der Saisonausverkauf im Sommer für die Händler durchschnittlich etwa zehn Prozent ihres Jahresumsatzes ausmacht.

"Er hat heute auch eine größere Bedeutung als der Winterschlussverkauf." Branchenkenner vermuten, dass insgesamt pro Jahr etwa ein Drittel der Ware im Textilbereich rabattiert über die Ladentheke geht. Der SSV dauert zwei Wochen.

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