WCCB - Die Millionenfalle, Teil 82 Nach der Wahl ist vor der Wahl

BONN · Drei Jahre nach der ersten "Millionenfalle" spiegelt der Nürburgring-Skandal erstaunliche Parallelen zum Bonner Desaster. "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel", hat der legendäre Fußballtrainer Sepp Herberger einmal gesagt. Das sehen Politiker nicht anders: Nach der Wahl ist immer auch gleich vor der (nächsten) Wahl. Doch manchmal besteht das vermeintlich rettende Ufer nur aus der nächsten Wahl.

Das World Conference Center Bonn...

Das World Conference Center Bonn...

Wenigstens bis dahin muss schief Gewachsenes öffentlich gerade und erfolgreich präsentiert werden. Erstaunlich, wie sich das Millionen-Debakel um den überdimensionierten Freizeitpark am Nürburgring und das um sein rheinländisches Pendant, das World Conference Center Bonn (WCCB), gleichen: In beiden Fällen ließ der rumorende Wahrheitsdruck erst nach den Urnengängen alle Geheimhaltungsdämme brechen.

In Rheinland-Pfalz hieß das rettende Ufer Landtagswahl (März 2011), in Bonn Kommunalwahl (30. August 2009). In beiden Fällen knirschte und knarrte es schon vorher im Gebälk. Bereits im November 2009 rechnete die Wirtschaftsprüfergesellschaft Ernest & Young in einem vertraulichen Papier für den Eifler ein Minus-Betriebsergebnis von mehr als 200 Millionen Euro bis 2020 hoch, doch Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sprach weiter von einem "Erfolgsmodell".

Inzwischen veranschlagt die EU-Kommission die in der Eifel verblasenen Steuergelder insgesamt auf über 480 Millionen. Während die landeseigene GmbH insolvent ist, ging Becks Schönfärberei auf: Zwar verlor er die absolute Mehrheit, aber nicht die Macht. Als Koalitionär mit den Grünen ist er weiter der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.

Auch in Bonn erfuhr der Wähler erst Monate nach der Kommunalwahl, wie gruselig die Situation ums WCCB tatsächlich war - und wie früh, im Februar 2008, sich die städtische Projektgruppe bereits mit Themen wie "Heimfall" und "Insolvenz" beschäftigte. Monate später erklärte Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD), dass "die Demokratie auch vom Wechsel lebt" und sie nicht mehr kandidieren wolle.

Da gehörte das WCCB längst der Investmentfirma Arazim Ltd. (Zypern), doch die Öffentlichkeit sah "heile-Welt-Fotos" vom WCCB-Richtfest, auf denen "Investor" Man-Ki Kim mit Dieckmann lächelt. Noch Tage vor der Kommunalwahl bestritt die ehemalige OB vor WDR-Kameras, dass die Stadt eine 100-Millionen-Bürgschaft übernommen habe und merkte an, dass man im schlechtesten Fall "nur die Zinsen" zu zahlen habe.

Das hörte sich wie ein WCCB-Schnupfen an. Tatsächlich lag der Patient da aber längst auf der Intensivstation. Auch Dieckmanns Rechnung ging auf: Nach der Wahl gratuliert sie Parteifreund Jürgen Nimptsch zur erfolgreichen OB-Kandidatur. Der Neue verspricht Aufklärung und Transparenz, aber lässt es beim Versprechen.

Parallele Nummer zwei: An die wirtschaftliche Machbarkeit der Leuchtturmprojekte in Eifel und Bonn glaubten jeweils nur die Politiker. Deshalb herrschte auch Investorenmangel. Folgt man der "Süddeutschen Zeitung" (SZ), die jetzt aus einem "internen Aktenvermerk" eines Controllers der landeseigenen Nürburgring GmbH zitiert, so kostete allein die Akquise eines Privatinvestors einen Batzen Geld.

Danach residierten Finanzvermittler und Unterhändler der Nürburgring GmbH in Zürich "für 490 Franken die Nacht. Ohne Frühstück. Das kostete 100 Franken extra." Auch Bordellbesuche sollten die Kapitalakquise beflügeln.

Die SZ zitiert den Controller: "Es wurde auch Damenbesuch auf den Hotelzimmern organisiert". Die SZ: "Es zahlte, na klar, die landeseigene Firma" - also der Steuerzahler. Doch letztlich seien nur "windige Gestalten" herausgekommen, "die bei Gesprächen mit Banken schon Mal Devirate mit Derivaten durcheinander brachten".

Da sind indirekte Rücktrittsforderungen wenig überraschend. Am Dienstag sagte der FDP-Landesvorsitzende Volker Wissing: "Beck ist auf dem Weg, zu einer Belastung für den Ruf des Landes zu werden." Er habe seine "moralische Autorität" verloren.

In Bonn landeten die Stadoberen bei ihrer Investorsuche beim inzwischen legendären Man-Ki Kim von der SMI Hyundai Corporation. Dabei schien das Namenskürzel "Hyundai" Kims größtes Pfund zu sein und suggerierte den sicheren Schoß in einem Weltkonzern. Zwar meldete die Sparkasse nach ihrer ersten Durchleuchtung des Investors "Finger weg von Kim", aber die Stadt hielt - mangels Alternative - an Kim fest.

Sie sicherte letztlich einen 100-Millionen-Kredit ab und machte die Bürgschaft, wie sich kürzlich im Prozess gegen Kim herausstellte, sprachlich unkenntlich, indem sie sie "Nebenabrede" nannte . Sonst hätte die Kommunalaufsicht nicht mitgespielt.

Parallele Nummer drei: Die rheinland-pfälzischen SPD-Landespolitiker schlugen alle Warnungen ebenso in den Wind wie ihre Kollegen aus Bonn. Die Prestigeobjekte wurden mit Augen zu und buchstäblich um jeden Preis durchgeboxt und durchgezogen.

Parallele Nummer vier: Am Ende zahlt der Steuerzahler - wie auch beim Berliner Flughafen oder der Elbphilharmonie in Hamburg.

So sehr sich die Fälle des leichtsinnigen Umgangs mit Steuerzahler-Millionen in Eifel und Bonn auch gleichen, so unterschiedlich sind sie bei der Pro-Kopf-Belastung: Während sich in Rheinland-Pfalz 480 Millionen auf rund 3,9 Millionen Schultern (123 Euro pro Bürger) verteilen, sind es in Bonn im günstigsten Fall rund 200 Millionen für 320.000 Einwohner (625 Euro pro Bürger).

Vor allem aber scheint, Stand heute, in der missglückten Infrastruktur-Maßnahme für die Eifel keine Korruption im Spiel gewesen zu sein. In Bonn tagt hingegen seit Ende September 2011 die Wirtschaftsstrafkammer über die gesamte Palette der Korruptionsdelikte. Zudem sind städtische Projektbeauftragte wegen Untreue angeklagt.

Stand heute ist auch, dass die OB und Verwaltungschefin Dieckmann vom Zustand und den Zuständen beim "wichtigsten Projekt der Stadt" nichts gewusst haben soll. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen wurden eingestellt.

In Koblenz beginnt am 16. Oktober vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts der erste Prozess. Es geht um Untreue und Beihilfe zur Untreue. Angeklagt sind sechs Personen, darunter Ingo Deubel (SPD), Becks ehemaliger Finanzminister. Dabei erreicht die Zahl der geladenen Zeugen Bonner Dimensionen: über 70. Absehbar: Die Aufklärung der Frage "Wer hat was wann gewusst?" wird in Koblenz kaum zügiger verlaufen als in Bonn.

In der Bundesstadt, die sich via Kongresszentrum als UN-Stadt etablieren will, hatte die WCCB-Erfolgsstory aus dem Rathaus genau heute vor drei Jahren jäh geendet. Damals, am 22. August 2009, erschien im General-Anzeiger ein Artikel mit der Überschrift "Die Millionenfalle". An eine Serie dachte niemand.

Redakteure aus verschiedenen Ressorts hatten zugespielte Informationen verarbeitet und selbst Recherchiertes zu einer etwas anderen WCCB-Sicht komponiert als jene, die das Rathaus monatelang mit stoischer Zuversicht verbreitet hatte.

Der 22. August 2009 war ein Samstag. Morgens riefen sich Rats-politiker beim Gemüse- und Obstkauf auf dem Marktplatz "Haste schon gelesen?" zu, abends stieg im Hotel Maritim ausgerechnet "Das schöne Fest", eine Art Ersatzveranstaltung für den an Berlin verlorenen Bundespresseball.

Während Leser und Bürger schockiert reagierten, hoffte man zwischen Abendkleid und Smoking - und acht Tage vor der entscheidenden Kommunalwahl - noch auf eine klassische Zeitungsente.

Es kam jedoch ganz anders. Die GA-Redakteure hatten unversehens eine Lawine bitterer Wahrheiten losgetreten. Die Journalisten "schnüffelten" weiter - auch mit Hilfe zahlreicher Bonner Bürger, die an neuralgischen Punkten des WCCB-Projekts saßen und denen der Kamm schwoll. Weitere Bonner mit speziellem Know-how halfen ehrenamtlich, schwierige Dokumente zu interpretieren.

So wurde aus der Einmal-Geschichte zwangsläufig eine Serie. Als das Rechnungsprüfungsamt im April 2010 seinen - vom Stadtrat beauftragten - WCCB-Bericht dem neuen OB Nimptsch zustellte, waren die 474 Seiten erstmal das Geheimste, was der neue OB besaß.

Als dieser Report auf verschlungenen Pfaden doch in die Medien gelangte, beherrschte eine Mischung aus Ernüchterung und Empörung das Bonner Lebensgefühl. Denn der RPA-Report setzte allen Berichten die Krone auf: Alles war im Detail (noch) schlimmer als recherchiert.

Seit dem Baustopp, den Insolvenzen, Razzien und Verhaftungen im September 2009 hat sich am Rheinufer wenig getan: Die Ruine ist Ruine geblieben. Trotz unvermindert zuversichtlicher Presse-PR aus dem Rathaus dreht sich absehbar auch in 2012 kein Baukran. Das WCCB blickt seinem vierten Winter entgegen.

Heizung und Sicherheitspersonal lassen die Baustillstandskosten-Uhr weiterticken. Nur langsamer. Monatelang waren es rund 19.000 Euro pro Tag. Nachdem die Stadt ihre teure Beratungsarmee abgeschafft hat, kosten 24 Stunden Baustopp nach GA-Informationen "nur" noch rund 3500 Euro. Beratungsleistungen exklusive.

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