WCCB - Die Millionenfalle, Teil 79 Den falschen Kompass im Kopf

BONN · Der WCCB-Angeklagte Man-Ki Kim erklärt sein Scheitern mit seiner südkoranischen Chaebol- Sozialisation und seiner Unkenntnis des deutschen Rechts. Betrügerische Absichten bestreitet er.

Der WCCB-Investor auf der Anklagebank: Man-Ki Kim beruft sich auf das Chaebol-Denken in seiner Heimat Südkorea.

Der WCCB-Investor auf der Anklagebank: Man-Ki Kim beruft sich auf das Chaebol-Denken in seiner Heimat Südkorea.

Foto: dapd

Also ist das World Conference Center Bonn (WCCB) doch ein Opfer des "Clash of Civilisations" (Kampf der Kulturen) oder wenigstens eines der Unvereinbarkeit südkoreanischer und deutscher Gepflogenheiten? Zumindest versucht der Angeklagte Man-Ki Kim die Richter mitzunehmen auf eine Reise, an deren Ende die Wirtschaftsstrafkammer Bonns größtes Baudebakel der Nachkriegsgeschichte einmal aus seiner Perspektive betrachten soll.

Kims Impression ist durchaus real und stammt aus der globalisierten Wirtschaftswelt. Jeder kann hier mit jedem Geschäfte machen. Hinter der Jagd nach mehr Umsatz und Profit über Längen- und Breitengrade hinweg lauern jedoch allerlei Risiken und Missverständnisse, denn es begegnen sich unterschiedliche Kulturen und Rechtssysteme. Die potenzielle Kollision ("Clash") ist ein ständiger Begleiter - und mancher Betroffene spürt sie erst später.

Weit verbreitet sind Globalisierungs-Schauergeschichten, die davon erzählen, wie deutsche Unternehmen in Asien (s. Millionenfalle 11) strandeten. Insbesondere in China, wo die Plagiatsmaschinerie jahrelang ratterte. Die Frage, ob und wie viel Transrapid-Technologie in der chinesischen "Eigenentwicklung" namens "CM1 Dolphin" steckt, beschäftigt bis heute Konzerne und Mittler zwischen den Wirtschaftskulturen.

Kim mimt nun den Gestrandeten, der in die andere Richtung unterwegs war. Oft fällt im Gerichtssaal der Begriff "Chaebol": "Mir war auch nicht bewusst, dass den deutschen Verhandlungspartnern das koreanische Chaebol-Denken komplett fremd ist und sie bei der Bewertung von Gesellschaften strikt “anteilsfixiert„ denken."

Der Chaebol sei, so Kim, "ein einzigartiges Management-Konzept", ein Konglomerat, in dem eine einzige Familie eine miteinander verbundene Firmengruppe kontrolliere. Die Kontrollstärke bemisst sich dabei nicht nach Anteilen, sondern nach "Genen" - nach der familiären Nähe. Als Beispiel nennt Kim die Familie Lee, die mit nur 3,25 Prozent der Anteile Samsung-Electronics, eine Tochter der Samsung-Group, manage und kontrolliere.

Was Kim nicht sagt: Kaum war Südkorea demokratisiert, begann der Staat um 2002 das "Chaebol-System" zu zerschlagen und damit eine Forderung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erfüllen. Für den waren die riesigen, familiär geprägten Mischkonzerne wie Samsung oder Hyundai rote Tücher.

Der IWF sah in den Chaebols vom Staat verhätschelte und behütete Familienverbünde - ineffizient, aufgebläht, verschuldet, intransparent. Staat, Banken und Chaebols zeigten über Jahrzehnte einen ausgeprägten Hang zu "eine Hand wäscht die andere". Nach westlichen (später auch südkoreanischen) Maßstäben: Korruption. Zahlreiche Chaebol-Führer wurden verurteilt, nicht nur Samsung-Chef Byung-chull Lee.

Um Korruption geht es auch beim WCCB-Prozess. Kim erzählt seine Geschichte, seine subjektive Wahr-heit. Mit dem Chaebol-Kompass navigierte er durch Bonn, auch durch Anbahnungsgespräche, Präsentationstermine und den Slalom der politischen Parteien.

Einerseits eine vertraute Welt, andererseits eine mit fremden Regeln. Kim tat in Bonn nur das, was man in Südkorea einst tat und vermutlich immer noch tut, um ans Ziel zu kommen. Warum sollte er nicht dem Investorenauswähler Michael Thielbeer, der den Hut der Stadt Bonn trug, 32.000 Euro zahlen, wo doch die Stadt selbst ihn dazu aufgefordert hatte? Kim: "Ich habe auch heute große Schwierigkeiten, die rechtliche Argumentation des Herrn Vorsitzenden (Vorsitzender Richter/Anm. d. Red.) nachzuvollziehen, nach der die Zahlung auf ein Konto der Bundesstadt Bonn gleich zwei Bestechungstatbestände erfüllen soll."

Was Kim eigentlich sagen will, ohne es auszusprechen: Kann man für die eigene wirtschaftspolitische Sozialisation in einem fremden Land bestraft werden? Zwar weiß selbst Lieschen Müller, dass in Deutschland "Unwissenheit nicht vor Strafe schützt". Aber will Kim das nicht gewusst haben?

Im Kreis seiner Gesellschafter habe man "die rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen" nicht gekannt, "um in Deutschland erfolgreich Geschäfte zu machen", argumentiert Kim. "Die damit verbundenen Probleme habe ich unterschätzt. Auch diese Blauäugigkeit ist mir letztlich zum Verhängnis geworden." Aber war Kim überhaupt blauäugig? Warum sonst hatte er sich Rechtsanwalt Ha-S. C. als "Navi" für die deutsche Rechtszone ausgesucht? Kim über C.: "Er kannte einerseits die koreanische Geschäftsphilosophie und andererseits das deutsche Recht." Sitzt Kim heute auf der Anklagebank, weil C. der falsche Lotse und Wolfditrich Thilo ein vorbestrafter Advokat ohne Zulassung war?

Kim wirkt gespielt naiv, wenn er sich als einen im deutschen Rechtslabyrinth verirrten Südkoreaner beschreibt, zumal er nicht nur "südkoreanisch", sondern auch "australisch" und "amerikanisch" sozialisiert ist. Über seine SMI-Hyundai-Mitstreiter sagt Kim: "Bei der Vermarktung haben wir (...) einen eher amerikanischen Marketingansatz verfolgt, der bekanntlich zu Übertreibungen neigt. Dass später in Deutschland jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden würde, hatte ich nicht erwartet."

Damit rechtfertigt Kim, wie sich die Vorstellung vom Hyundai-Weltkonzern als WCCB-Investor in den Köpfen der Ratsmitglieder festsetzen konnte und damit die Assoziation zu einer wirtschaftlichen Milliarden-Potenz; da erschienen 40 Millionen Eigenkapital als Fall für die Hyundai-Portokasse. Kim gesteht umständlich: "Dass unsere Möglichkeiten, das Eigenkapital einschließlich der geforderten Bürgschaften zu beschaffen, limitiert waren." Das sei bei der Präsentation für die Politiker "sicherlich so explizit nicht dargestellt worden". Aber er sei weder Blender noch Betrüger.

Anfang 2007 landete der Südkoreaner bei der Investmentfirma Arazim Ltd., die ihm 10,3 Millionen Euro lieh - "der größte Fehler in meinem Leben". Nicht nur wegen der 60 Prozent Zinsen. Weil er nicht fristgerecht zurückzahlte, sei er 2007 "zu sehr weitreichenden Zugeständnissen gezwungen" worden - auch deshalb, weil der Mitangeklagte Thilo, "den ich damals für einen Rechtsanwalt hielt", ihn bei den Verhandlungen begleitete. Kim: "Ich habe damals die sehr dunkle Seite des ausschließlich am Profit ausgerichteten Finanzkapitalismus kennengelernt." So wanderten 94 Prozent der WCCB-Anteile zu Arazim.

Mit einem "echten Anwalt", glaubt Kim, wäre der Notartermin anders verlaufen. So aber blieb ihm "der Tanz mit dem Teufel". Das suggeriert Vieles und nebenbei auch, dass die Chaebol- der Investment-Sozialisation unterlegen sei. Jedoch hatte der "Teufel" das Recht bisher stets auf seiner Seite.

Kim hetzte von Notlage zu Notlage und landete bei Honua. Ein Gutachten über die WCCB-Anteilsverhältnisse, bei dem der Arazim-Faktor ausgeblendet wird, stammte von Thilo - zumindest offiziell. Honua soll es selbst für einen WCCB-bezogenen Anleiheprospekt verfasst haben, aber "Thilo hat dafür seinen Namen hergegeben". So zahlte Honua Millionen an Kim für ein WCCB, das längst Arazim besaß. 2011 wurden Kim und SMI Hyundai in den USA deshalb zu Schadensersatz von mehr als 65 Millionen US-Dollar verurteilt. Später verglich man sich. Kim: "Ich werde bis an das Ende meines Lebens die Verpflichtungen aus diesem Vergleich abzutragen haben."

Kim war mit 44 Jahren in sein Bonn-Abenteuer gestartet. Er ist heute 51 - und ergraut. Und verbittert. Kim fühlt sich als Fremder in einer Stadt, die ihm 2005 noch den roten Teppich ausrollte. Aber das war noch die Zeit, als Kim und C. in der Marketingphase waren, um an das Projekt, die mit vielen öffentlichen Millionen gefüllte "fette Made", zu kommen. Obwohl er später sein Eigenkapital oder "ein bürgschaftsähnliches Äquivalent" schuldig blieb, rollte die Stadt den roten Teppich keineswegs ein. Das erstaunt Kim - nachvollziehbar - bis heute.

Und genau deshalb könnte es für die Stadt vor Gericht einmal eng werden. Zugleich keimt daraus die Hoffnung für Kim auf Strafmilderung. Wie schwer oder leicht hat es ein Betrogener einem Betrüger gemacht? Waren Kim & SMI Hyundai normale Business-Verführer und Bonns Stadtobere bereitwillig Verführbare? Müssen letztere als besonders einfältig oder als außerordentlich gerissen gelten, weil sie mit dem großen Hyundai-Namen wiederum den Rat verführten? Die Erkenntnisse aus 56 Tagen vor Gericht lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass die Kim-Bonn-WCCB-Story nur eine weitere bizarre Geschichte ist, wie sie die Globalisierung schon häufig als Strandgut in die Medien spülte.

Der ehemalige südkoreanische Offizier spricht noch über seine christliche Grundhaltung und vieles mehr. Aber es bleiben einige dokumentierte "Peanuts", die aus dem WCCB-Keller ans Tageslicht gezerrt wurden. Auch sie spiegeln eine Grundhaltung: Seien es Kims 60.000-Euro-Cabrio für Ehefrau Mimi, seine Wohnungsmiete, das Schulgeld für seine Kinder, sein Monatssalär, zeitweise 40.000 Euro pro Monat: alles aus der Baukasse, alles letztlich Bürgergeld.

Ohne Zweifel: Das WCCB endet nur für Arazim mit einem Hauptgewinn - für alle anderen im Desaster. Vielleicht beschert das WCCB Bonn eines Tages sogar den Nothaushalt. Kim kennt die Tragweite; er weiß, dass das WCCB "die Bürger Bonns immens viel kosten wird". Frustration, Empörung, Enttäuschung, Zorn - alle diese Empfindungen der Menschen könne er versuchen zu verstehen. Kim: "I'm sorry."

WCCB für Einsteiger: Was bisher geschah

Nach einer erfolglosen europaweiten Ausschreibung suchte die Stadt Bonn ab 2004 nach einem Investor für das WCCB. Ende 2005 erhielt die Firma SMI Hyundai mit Sitz in Reston (USA) den Zuschlag. Doch im September 2009 brach das Projekt wie ein Kartenhaus zusammen. Erst Insolvenzen, dann Verhaftungen. Seitdem herrscht Baustillstand.Um rund 60 Millionen Euro waren die Baukosten auf mysteriöse Weise gestiegen.

Zentraler Faktor für die sich früh abzeichnende Schieflage war das fehlende Eigenkapital des "Investors" Man-Ki Kim und die Haltung der Stadt, dem "Investor" trotzdem nicht zu kündigen. Kim verpfändete in seiner Eigenkapitalnot zunächst 94 Prozent der WCCB-Anteile an Arazim (Zypern) und verkaufte diese später nochmals an Honua (Hawaii), was das WCCB vollends ins Chaos stieß.

Bald ermittelte die Staatsanwaltschaft, und die städtischen Rechnungsprüfer fanden 2010 heraus, dass die Stadt für mehr als 100 Millionen schon während der Bauphase bürgte, ohne dass Rat und Bürger davon etwas wussten. Ein starkes Argument für Kims SMI Hyundai in der Öffentlichkeit und die Mehrheit im Stadtrat war 2005, dass SMI Hyundai offenbar zum Weltkonzern Hyundai gehörte.

Dass dem nicht so war, wurde 2009 deutlich. Ob die Verwaltungsspitze das bereits 2005 wusste, aber schwieg, um die Mehrheit im Rat nicht zu gefährden, und viele andere komplizierte Fragen versucht die Wirtschaftsstrafkammer in Bonn seit September 2011 aufzuklären. Zurzeit sitzen noch drei Beschuldigte auf der Anklagebank: Kim, sein Anwalt Ha-S. C. sowie sein "Rechtsberater" Wolfditrich Thilo.

Das Verfahren gegen den Stadtberater Michael Thielbeer wurde gegen Zahlung von 150.000 Euro eingestellt. Angeklagt sind indes die städtischen WCCB-Projektmitarbeiter Arno Hübner und Eva-Maria Zwiebler. Das Ermittlungsverfahren gegen Ex-OB Bärbel Dieckmann wurde eingestellt. Der städtische WCCB-Chefcontroller Friedhelm Naujoks und der Bauunternehmer Young-Ho Hong sollen nach GA-Informationen ebenfalls bald angeklagt werden. Wie hoch der WCCB-Gesamtschaden für Stadt und Bürger einmal sein wird, ist ungewiss. Schätzungen schwanken zwischen 200 und mehr als 300 Millionen Euro.

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