WCCB - Die Millionenfalle, Teil 72 Akten und Ahnungslosigkeit

BONN · Mehr als 860 Mal hat die Erde sich seit September 2009, als Bonns größte Baustelle stillgelegt wurde, um sich selbst gedreht - und so richtig ist beim World Conference Center Bonn (WCCB) seitdem nichts passiert. Gerade wird die Bauruine in ihrem Innenleben mit unzähligen Heizstrahlern wieder einmal gegen Väterchen Frost verteidigt - weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, aber letztlich auf ihre Kosten.

Der Bürger ist WCCB-ermüdet - ein Phänomen, das sich stets einstellt, wenn in einem komplizierten Geflecht und nach großem Getöse nichts Zählbares folgt. Dann spricht der Kommentator gerne vom "Hornberger Schießen". Die Metapher geht auf einen Vorfall anno 1564 zurück, als die Hornberger ihren Herzog mit Salut empfangen wollten. Sie sahen drei Staubwolken: Erst kam eine Postkutsche, danach ein Krämerkarren, schließlich eine Rinderherde. Jedesmal schossen die Hornberger verfrüht aus allen Rohren. Als der Herzog dann tatsächlich eintraf, war alles Pulver verschossen.

In Bonn wartet der Steuerzahler nicht auf einen Herzog, sondern auf Antworten: Wer hat uns den dreistelligen Millionenschaden eingebrockt? Schuld? Politische Verantwortung? Untreue? Gar Betrug oder Bestechung und Bestechlichkeit? Die Hoffnung auf Aufklärung aus dem Rathaus hat der Bürger indes, obwohl immer Mal wieder versprochen, längst aufgegeben.

Seit Dezember 2009 ermittelt eine karg besetzte Abteilung der Bonner Staatsanwaltschaft auch gegen städtische Bedienstete (siehe Info-Kasten unten). Nach GA-Informationen aus Kölner Justizkreisen zeichnet sich nun ab, dass das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue im besonders schweren Fall gegen die ehemalige Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD), zugleich Ex-Verwaltungschefin, eingestellt wird.

"Die Ermittlungen laufen weiter"

Der Bonner Oberstaatsanwalt Fred Apostel will das nicht bestätigen. Er sagt: "Die Ermittlungen laufen weiter." Vor 26 Monaten, im Dezember 2009, berichtete Apostel: "In Kenntnis der wahren Umstände betreffend die SMI Hyundai Corporation" hätten städtische Mitarbeiter veranlasst, "dass sich die Stadt in vermögensgefährdender Weise Dritten gegenüber verpflichtete". Damals begannen die Ermittlungen gegen Dieckmann und ihre Projektmitarbeiter Eva-Maria Zwiebler und Arno Hübner.

Doch das Studium der Dokumente im Fall Dieckmann ergab nach GA-Informationen, dass aus dem Anfangsverdacht kein "hinreichender Tatverdacht" wurde. In den Akten führt demnach keine Spur zur Verwaltungschefin. Es gibt also nichts Schriftliches von Dieckmann. Das Verfahren soll nach GA-Informationen nach Paragraf 170 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) eingestellt werden - aus Mangel an Beweisen. Der Untreue-Verdacht, die vorsätzliche Vermögensschädigung der Stadt, wäre somit vom Tisch.

Damit ist die Vorhersage von Walther Graf, Strafverteidiger von WCCB-Investor Man-Ki Kim, teilweise Wirklichkeit geworden. Ob seine Begründung zutrifft, ist jedoch ungewiss. Er hatte prognostiziert, dass die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Stadtbediensteten Hübner, Zwiebler und Dieckmann deshalb abgetrennt wurden, "um sie heimlich, still und leise einer Verfahrenserledigung ohne Hauptverhandlung zuzuführen". Auch der Begriff "politischer Prozess" war aus der Ecke der Strafverteidiger gefallen; Kim & Co. sollen zum Sündenbock gemacht werden - für das in fehlenden Millionen versumpfte WCCB.

Nach GA-Informationen hatte Graf eine Einstellung der Verfahren nach Paragraf 153a StGB angenommen: Geldbuße und kein Eintrag ins Bundeszentralregister. So vermeidet ein Betroffener, gegen den ermittelt wird, das Restrisiko eines Verfahrens, aus dem er womöglich als schuldig und damit vorbestraft hervorgeht. Bei einer Einstellung nach 153a ist im Anwaltsjargon "der Deckel drauf"; das Verfahren könnte nicht wiederbelebt werden. Anders bei Paragraf 170 Abs. 2: Neue Erkenntnisse können neue Ermittlungen auslösen.

Dennoch bleiben Restrisiken

Eine Einstellung des Verfahrens nach 170/2 bedeutet für die ehemalige OB und aktuelle Chefin der Welthungerhilfe: Sie ist in jeder Beziehung unschuldig. Dennoch bleiben Restrisiken, die allesamt eng mit dem Werdegang des aktuellen Verfahrens vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts und der weiteren Ermittlungen verbunden sind - und zwar gegen jene Amtsträger (siehe Info-Kasten), die in der städtischen Hierarchie alle unterhalb der OB agierten. Werden auch sie eingestellt, hätte sich auch das Restrisiko verflüchtigt. Wenn nicht, säßen WCCB-Projektbeauftragte, städtischer WCCB-Controller und Stadtkämmerer eines Tages auf der Anklagebank - und sagen aus oder schweigen.

Für Prozessbeobachter hätte die Ermittlungseinstellung gegen die Ex-Verwaltungschefin auch eine taktische Komponente. Denkbares Kalkül: Würden städtische WCCB-Akteure angeklagt und schweigen vor Gericht, könnte es für sie brenzlig werden. Würden folglich nur die Akten "sprechen", zeichnen Mails und Vermerke ein Bild der Verwaltung, in der die Chefin von ihren WCCB-Mitarbeitern flüchtig oder gar nicht informiert wurde, während diese nach eigenem Gutdünken Bonns millionenschweres Zukunftprojekt managten. Zurück blieb eine ahnungslose Oberbürgermeisterin.

Folgt man diesem Szenario, waren die WCCB-Jahre 2006 bis 2009 geradezu gespenstisch. Grundsteinlegung (Mai 2006): Die OB bezeichnet Kim "als Glücksfall für Bonn". Sechs Monate später feierlicher Spatenstich, während man hinter den Kulissen dem fehlenden Nachweis über 30 Millionen Eigenkapital hinterherläuft. Besonders "gespenstisch" mutet der Umgang mit dem Stadtrat an. Das Rechnungsprüfungsamt (RPA) analysiert in seinem WCCB-Report (April 2010): Die Volksvertreter hoben ihren Arm für die erste bürgschaftsähnliche Nebenabrede im Bewusstsein "einer risikolosen Kreditabsicherung nach Fertigstellung" des WCCB. So habe die Stadt einen Gegenwert für die 74,3-Millionen-Bürgschaft. Aber unterschrieben wurde, so das RPA, etwas anderes: Danach "gilt die Nebenabrede schon während der Bauphase".

Die Stadt bürgt dann für 104,3 Millionen Euro

Als die Baukosten auf mysteriöse Weise explodieren und der "Investor" mittellos bleibt, sollen die Ratsmitglieder Anfang Mai 2009 den Baustopp verhindern. Sie bewilligen in nicht-öffentlicher Sitzung weitere 30 Millionen Euro in der Erwartung, dass ein neuer Investor namens Honua aus Hawaii ebenfalls 30 Millionen beisteuert. Der Rat ermächtigt die Verwaltung, "die bestehende Nebenabrede mit dem Fremdkapitalgeber (Anm. d. Red.: Sparkasse) so abzuändern, dass die weitere Finanzierung für die Neubaumaßnahmen sichergestellt wird".

Das bedeutet: Die Stadt bürgt dann für 104,3 Millionen. Doch Rechtsdezernent Volker Kregel (CDU) will die erweiterte Nebenabrede nur unterschreiben, so das RPA, "wenn alle Ämter aus Dezernat II (Anm. d. Red.: Finanzen) quergezeichnet haben". Zudem fordert er eine Bestätigung, "dass die Nebenabrede durch den Ratsbeschluss “gedeckt„ ist". Schließlich unterschreiben Dieckmann und Kregel ein Papier, das "wegen fehlender Ermächtigung durch den Rat nicht hätte unterzeichnet werden dürfen" (RPA). Denn es segnet ab, dass von den 30 Millionen für die Baustelle erst einmal 14,7 Millionen in das fehlende Eigenkapital Kims fließen. Davon erfährt der Stadtrat jedoch erst ein Jahr später.

Der weitere Gang der Geschichte: Honua zahlt nicht, weil das WCCB längst Arazim (Zypern) gehört, und die restlichen 15,3 Millionen lassen die Bauaktivität nur bis nach der Kommunalwahl Ende August 2009 überleben. Danach bricht alles zusammen: Insolvenzen, Razzien, Festnahmen, Ermittlungen. Das RPA testiert der Stadt, dass sie stets mehr wusste als sie zugab: Während man "in der Außendarstellung am 10. September 2008 beim Richtfest die “Visitenkarte von Bonns neuer Mitte„ feierte, ließ man intern bereits rechtliche Bewertungen zu den Themen Heimfall und Insolvenzen erstellen".

Es bleiben Fragen. Sie würden durch eine Einstellung der Ermittlungen gegen die ehemalige OB erst recht nicht beantwortet. So liegt die Kugel unentschlossen auf der fragilen Waage zwischen Unschuldsvermutung und einer Art öffentlicher Wahrheitsvermutung. Gibt es nur Betrüger? Oder auch wissentlich Betrogene? Wie ernüchternd muss die Sparkassen-Recherche zu Kim und SMI Hyundai gewesen sein, damit sie ein Sicherheitsbedürfnis entwickelte, das die Stadt für jeden WCCB-Cent bürgen ließ?

Untreue: Paragraf 266: Untreue ist ein Vermögensdelikt, bei dem man sich nicht selbst bereichert haben muss. Im Paragraf 266, Strafgesetzbuch, heißt es: "Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft." Im besonders schweren Fall drohen bis zu zehn Jahre Haft. Im Fall des WCCB liegt für die Stadt Bonn unstrittig ein dreistelliger Millionenschaden vor. Schaden von der Stadt abzuwenden, gehört indes zur selbstverständlichen Pflicht jedes städtischen Amtsträgers. Problem ist der Nachweis der Untreue, denn es muss der Vorsatz, die vorsätzliche Schädigung des Vermögens bewiesen werden.

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