WCCB-Prozess "Dem Steuerzahler ist kein Schaden entstanden"

BONN · Ein Zeuge sagt aus, tritt aus dem Saal, der nächste ein. Die Richter fragen, manchmal auch die Strafverteidiger, zuweilen antworten die Zeugen: "Kann mich nicht erinnern." Schließlich liegt das von 2005 bis 2006 Geschehene schon einige Jahre zurück.

Im Herbst 2009 begannen die Ermittlungen, im März 2012 klagte die Staatsanwaltschaft an, im Februar 2015 begann vor der 7. Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Bonn der laufende Prozess - genannt "WCCB II" - gegen die städtischen Bediensteten Arno Hübner und Eva-Maria Zwiebler. Während morgen das World Conference Center Bonn (WCCB) - mit jahrelanger Verspätung - eröffnet wird, fahndet Justitia - ebenfalls reichlich verspätet - nach der Schuldfrage. Wenn 2016 der Prozess "WCCB III" gegen drei weitere städtische Bedienstete und den WCCB-Bauunternehmer beginnt, werden zehn Jahre zwischen mutmaßlichen Taten und Verhandlung liegen.

Im aktuellen WCCB-II-Verfahren vergeht kein Prozesstag, an dem nicht von Zeugen oder Verteidigern mehrfach die Worte "politisch gewollt" benutzt werden. Politischer Wille, politisches Projekt: Der Bund wollte das WCCB, das Land auch, die Stadt sowieso. Insofern war der politische Wille ein Strang, an dem alle zogen - auch 2009, als das Projekt stoppte und sich in einen juristischen Spezialfall verwandelte. Weitere Steuerzahler-Millionen ermöglichten den Weiterbau: Der Bund spendierte 31 Millionen, das Land 3 Millionen und die Stadt musste den Rest der Fertigstellungskosten von aktuell 85,4 Millionen tragen.

Der Betrugsteil in der aktuellen Anklage bedeutet: Die Stadt soll das Land NRW betrogen haben (siehe Info-Kasten). An den letzten Verhandlungstagen wurden Zeugen befragt, die von einem NRW-Ministerium oder von der Bezirksregierung Köln aus das WCCB-Projekt begleitet haben. Eine delikate Konstellation: Die Zeugen waren oder sind beim mutmaßlich Betrogenen angestellt, der sich aber gar nicht betrogen fühlt.

Wenn die Aussagen 2009 und 2015 unterschiedlich sind

Die Zeugen haben unisono erklärt: Der 35,79-Millionen-Zuschuss sei eine per Staatsvertrag (2002) festgelegte Festbetragsförderung, die Höhe der Baukosten für sie irrelevant gewesen. Wenn das Zuwendungsziel, die Fertigstellung des Kongresszentrums, erreicht werde, entfiele eine Rückforderung. Danach steht für Hübners Verteidiger Stefan Hiebl fest: Wo kein Betrugsschaden, da auch kein Betrug. Angeklagt ist konkret das Vortäuschen einer "gesicherten Gesamtfinanzierung".

Zu den Zeugen von der Bezirksregierung gehört Andreas Schwerdt (57), Architekt im Baudezernat. Die von der Stadt 2006 vorgelegte Gesamtfinanzierung sei einer "Plausibilitätsprüfung" unterzogen worden: "Wir waren sehr unkritisch und hätten diese komplizierten Vertragswerke gar nicht hinterfragen können." Viele Zeugen sind schon einmal befragt worden, 2009 oder 2010 von den Anklägern. Weicht eine Aussage im Gerichtssaal 2015 von der damaligen ab, zitiert der Vorsitzende Richter Jens Rausch aus der ersten Aussage vor der Staatsanwaltschaft. So auch diesmal. Schwerdt habe 2009 ausgesagt, der Finanzierungsplan sei gar nicht überprüft worden. Schwerdt: "Diese Aussage war zu locker, wir haben schon auf Plausibilität geprüft." Und dann sagt er noch: "Dem Steuerzahler ist kein Schaden entstanden, weil das Projekt ja fertiggestellt wurde."

Schwerdt ist der Vorgesetzte von Udo Danneberg (61) und Raimund Mirgeler (60). Danneberg sagt vor Gericht, es sei ein "sehr wichtiges Projekt" gewesen. "Auch 2009 (Baustopp, Razzia, Insolvenzen/Anm. d. Red.) haben wir das Projekt laufen lassen." Mirgeler ist für die baufachliche Prüfung zuständig, auch prüft er bezuschusste Projekte auf Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Er ist Architekt und Stadtplaner. Sein Ergebnis zum WCCB 2006: "Sparsam und wirtschaftlich."

Es gab damals einen regen innerstädtischen Mail-Verkehr zum WCCB. Richter Rausch fragt Mirgeler, warum es darin den Bezug zu 140 Millionen gebe - als eine Art maximale Bausumme, die nicht überschritten werden sollte? Mirgeler glaubt, der Betrag stehe im Staatsvertrag (2002). Der Richter korrigiert: Im Staatsvertrag stehe die Fördersumme, im Projektvertrag die Bausumme. Mirgeler erinnert sich nicht, warum er "140 Millionen im Kopf hat". Die Zahl sei für ihn ein Orientierungswert gewesen, von dem er nicht abweichen wollte.

Der OB-Kontakt: "Mündlich, schriftlich, telefonisch"

Verlesene Mails zeigen: Am 23. August 2006 beträgt eine Kostenschätzung von SMI Hyundai Europe 150,7 Millionen, 26 Tage später nur 137,7 Millionen. Kosten für Finanzierung und Unvorhergesehenes wurden gestrichen - 13 Millionen. Nun passte es wieder. Das alles kennt Mirgeler nicht. Von weiteren Kostensteigerungen habe er erst 2009 aus der Presse erfahren. Eine Rückforderung der Zuschüsse "hätte aber das Projekt ja erst richtig gefährdet".

Der Richter konfrontiert Mirgeler mit seinen Aussagen bei der Staatsanwaltschaft 2010. Dort habe er gesagt, dass er der Stadt verdeutlicht habe, dass das Projekt zwar ein paar Millionen teurer werden könne, aber ausfinanziert sein müsse, sonst könnte der NRW-Zuschuss zurückgefordert werden. Mirgeler wirkt heute verwundert. Er sagt: "Das wäre dann aber die reine Lehre."

Auch Guido Kahlen ist Zeuge, heute Kölner Stadtdirektor, damals Co-Dezernent für Verwaltungskoordination in Bonn (1995-2005). Der Jurist berichtet zum NRW-Zuschuss von einem "nicht rückholbaren Investitionszuschuss". Einige Male antwortet er: "Kann mich nicht erinnern." Die Vorgänge sind schließlich zehn Jahre her, und Kahlen hatte die Stadt Bonn bereits 2005 verlassen. Er beschreibt Zwiebler als "Orga-Talent par excellence mit einem brillanten Ruf innerhalb der Stadtverwaltung" und lobt Hübner: "Starker Analytiker, äußerst effizient, lösungsorientiert und klar in Fragen der Risikominimierung." Kahlen sagt, seine Aufgabe sei es gewesen, die damalige OB Bärbel Dieckmann in der Verwaltungsarbeit zu unterstützen. Richter Rausch will wissen, wie man mit einer OB kommuniziere, die "kein eigenes E-Mailkonto" habe. Kahlen erinnert sich: "Telefonisch, schriftlich, mündlich." Und wenn die OB in Urlaub war? "Auch mal eine Mail an die Adresse des Ehemanns oder oft per Fax."

Danach werden wieder Urkunden verlesen - Ratsvorlagen, Gesprächsvermerke, Mails. Nun ist man im Jahr 2009 und das WCCB 183 Millionen teuer - Finanzierungskosten exklusive. Bald sind es 200 Millionen. In einem städtischen Papier, das im Mai 2009 die Kostenexplosion begründet, steht als Erklärung unter anderem "die Erhöhung der Hotelzimmerzahl von 180 auf 336". Ein NRW-Ministerialer mailt dazu an Mirgeler: "Die Mehrkosten sind nachvollziehbar begründet." Möglicherweise wurde diese Mail nur verlesen, um zu dokumentieren, wie oberflächlich das Land das WCCB begleitete. Tatsächlich hatte der Stadtrat Ende 2005 ein WCCB mit 352-Zimmerhotel zu testierten Gesamtkosten von 139 Millionen beschlossen. Wie konnte also eine erhöhte Zimmerzahl als Argument für gestiegene Baukosten taugen?

Ansonsten herrscht vor Gericht das für professionelle Beobachter "übliche Gezerre" zwischen Anträgen, Zwischenrufen und Erklärungen. Für die Richter gilt es, penibel die prozessualen Spielregeln zu beachten, um keine Revisionsgründe zu schaffen, falls ein Urteil gesprochen werden sollte.

Verteidiger befeuern die Medien

Gleichzeitig befeuern die Verteidiger Hübners die Medien mit Presseerklärungen, in denen sie von einem "entscheidenden Durchbruch" berichten oder davon, dass nun "eine Strafbarkeit wegen Betruges definitiv ausscheidet". Auch die Richter werden belehrt und kritisiert: Es sei "nicht Zweck eines Strafverfahrens, alle denkbaren Aspekte eines Sachverhaltes aufzuklären, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt feststeht, dass jedenfalls eine Strafbarkeit nicht (mehr) in Betracht kommt" - aus Sicht der Verteidigung. Die Erhöhung der Verhandlungstage von 30 auf 63 sei eine unnötige "Aufblähung des Verfahrens".

Nun hat Richter Rausch angekündigt, dass das Gericht bald ein Zwischenresümee zum Betrugsverdacht ziehen werde. Wohin das Pendel schlagen wird, geht aus seiner Mimik und Gestik nicht hervor.

Der Prozess wird am Dienstag ab 9 Uhr fortgesetzt.

Die Anklage

Arno Hübner und Eva-Maria Zwiebler sind des Betrugs im besonders schweren Fall angeklagt. Sie sollen, so die Staatsanwaltschaft, "wider besseres Wissen" gegenüber der Bezirksregierung Köln eine gesicherte Gesamtfinanzierung vorgetäuscht haben, um den NRW-Zuschuss (35,79 Mio. Euro) für das WCCB dem Investor zur Verfügung stellen zu können. Hübner wird zudem Untreue im besonders schweren Fall zur Last gelegt, Zwiebler Beihilfe dazu. Hier geht es um die bürgschaftsähnliche Nebenabrede der Stadt Bonn für den Sparkassenkredit in Höhe von 74,3 Millionen (ab 2009: 104,3 Mio.) an Investor Man-Ki Kim. Laut Staatsanwaltschaft hatte der Stadtrat die Verwaltung zu einer Bürgschaft mit Beginn der Betriebsphase ermächtigt, es sei aber eine Nebenabrede unterzeichnet worden, die bereits in der Bauphase gelte.

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