WCCB Politiker im Schockzustand

BONN · Die Nachricht traf Bonns Politiker hinterrücks und schockartig: Die Kosten für die Fertigstellung des World Conference Bonn (WCCB) übersteigen den bisher als sicher angegebenen Finanzrahmen erheblich. Statt der veranschlagten 51,5 Millionen haben die Fachleute nun 76,8 Millionen Euro als notwendige Investitionssumme errechnet.

Aber was die Politiker ebenso fassungslos macht wie diese Nachricht, ist das Verhalten von Verwaltungschef und Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch in dem Fall: Er hielt die Nachricht zurück, sie sickerte nur Stück für Stück durch. Ursprünglich wollte Nimptsch erst am Freitagabend in der nichtöffentlichen Sitzung des WCCB-Unterausschusses die Vorlagen zu den Kosten, zum Zeitplan und möglichen Verkauf des Hotels auf den Tisch legen. Am Donnerstag trat der OB aufgrund der geplanten Berichterstattung die Flucht nach vorn an und gab per Presseerklärung um 17.13 Uhr doch noch einige Eckpunkte zu den deutlich höheren Fertigstellungskosten bekannt. "Um einer undifferenzierten Darstellung zu begegnen", wie es in seinem internen Rundschreiben an die Ratsmitglieder erklärte.

Dabei soll Nimptsch nach GA-Informationen am Montagabend sogar in der SPD-Fraktionssitzung Rede und Antwort zum aktuellen WCCB-Stand verweigert haben, mit dem Hinweis, es gebe keine "Vorabinformationen". Das soll viele Sozialdemokraten, aber auch Politiker anderer Fraktionen vor dem Hintergrund, dass in den nächsten Tagen eigentlich die Entscheidungen für den Weiterbau des WCCB fallen sollen, verärgert haben. Zudem soll Nimptsch, der unmittelbar nach seinem Amtsantritt Ende 2009 mehr Transparenz beim WCCB versprochen hatte, die Fraktionsspitzen bereits zu Informationsgesprächen unter vier Augen gebeten haben. Manchen Rats-politiker erinnert das an die Ära von Nimptschs Vorgängerin Bärbel Dieckmann: "Immer, wenn es eng wurde, hatte die ehemalige Oberbürgermeisterin den Informationsfluss abgeschaltet und zunächst die Parteioberen eingenordet und zur Geheimhaltung verpflichtet", sagte ein Ratsmitglied, das nicht genannt werden will.

Stutzig waren einige Ratsmitglieder bereits vor Wochen geworden, als die ursprünglich für den 22. März anberaumte Sondersitzung des WCCB-Unterausschusses kurzfristig abgesagt wurde. Es gebe noch zu viele "offene Fragestellungen", als dass jetzt schon Beschlüsse für den weiteren Planungsprozess gefasst werden könnten, hieß es in der schriftlichen Absage des Städtischen Gebäudemanagements (SGB). Das hatte der OB gegen den erklärten Willen der schwarz-grünen Ratsmehrheit mit der Federführung der Fertigstellung des WCCB beauftragt. CDU und Grüne wollten dagegen, dass die stadteigene Tochter BonnCC Management GmbH die Fertigstellung des WCCB im Auftrag des Bauherrn (Stadt) unter ihre Fittiche nehmen sollte. Mit dieser Forderung konnte sich die Ratsmehrheit nicht durchsetzen.

Der Architekt des von der Stadt nach langem Hickhack beauftragten Generalplaners, die Arge Heinle Wischer und Inros Lackner, ließ dann in den letzten Monaten keine Gelegenheit aus, um den Zustand und die "bemerkenswert" gute Bausubstanz des seit September 2009 ruhenden WCCB-Projekts zu loben. Bei einer Begehung der Baustelle im Januar sagte Architekt Markus Kill: "Wir haben keine Katastrophen entdeckt. Es handelt sich um ein normales Gebäude, das fertiggestellt werden muss". Selbst Ende Februar, als klar war, dass doch der eine oder andere Baumangel gravierender war als zuvor angenommen, blieb Kill bei seinen optimistischen Äußerungen. Und erneut versicherte Kill, das vom Rat in den Doppelhaushalt 2013/14 eingestellte Budget von 51,5 Millionen Euro reiche für die Fertigstellung des WCCB (ohne Hotel) aus (der GA berichtete).

Seit Donnerstag ist die Zuversichts-PR wie eine Seifenblase zerplatzt: Kill und Kollegen haben ein Zahlenwerk geliefert, das unterm Strich von vielen Politikern doch als "Katastrophe" empfunden wird. Einige entsetzte Ratsmitglieder kündigten gegenüber dem GA an: Sie werden dazu viele Fragen stellen und auf Antworten bis ins letzte Detail pochen. Mehr als fraglich sehen viele auch den derzeitigen Plan, bereits am nächsten Donnerstag in der Ratssitzung den Startschuss für die Fertigstellung zu geben. Denn wenn an die 25 Millionen Euro fehlen, muss die Stadt Bonn den Gürtel nochmals enger schnallen, um die städtischen Finanzen nicht ins Nothaushaltsrecht kippen zu lassen. Die neuen Wahrheiten sind jedoch nur für oberflächliche Betrachter des von vielerlei Interessen gesteuerten und unübersichtlichen WCCB-Treibens überraschend. So wie bereits vor und während des Projekts jede Planzahl mehr von politischen Interessen als von wirtschaftlichen Realitäten bestimmt war, regierte auch nach dem Zusammenbruch im September 2009, nach Insolvenz- und Verhaftungswelle, das große Zahlenversteckspiel. Insolvenzverwalter Christopher Seagon mischte ebenfalls mit.

Ein von ihm bestelltes Gutachten meldete zum Beispiel einen Bausubstanzwert von 136 Euro Millionen. Das erschien vorteilhaft für seine Verhandlungen mit der Stadt Bonn. Aber auch Nimptsch kam ein hoher Substanzwert gelegen. Bedeutete dieser doch im Umkehrschluss, dass der Schaden, den städtische Bedienstete den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge der Stadt zugefügt hätten, doch nicht so groß sein könnte.

Denn wo ein hoher Substanzwert steht, kann der durch Betrug, Untreue oder fehlende Kontrolle durch das Städtische Gebäudemanagement (SGB) angerichtete Schaden nicht so groß sein. So hatten Verwaltungsspitze und Insolvenzverwalter, obwohl in harte Heimfall-Verhandlungen verstrickt, durchaus in diesem Teilbereich gleiche Interessen, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven.

Die vom Rechnungsprüfungsamt (RPA) aufgedeckten Doppel- und Scheinzahlungen aus der WCCB-Kasse (s. Millionenfalle 32 bis 37), viele Darlehen aus der unmittelbaren Baukasse sowie die von Seagon selbst über beauftragte Forensiker ermittelten "Heiße-Luft-Abrechnungen" zeichneten jedoch ein völlig anderes Bild: Millionen waren zweckentfremdet worden. Nicht zuletzt deshalb einigten sich Insolvenzverwalter Seagon und Bauunternehmer Young-Ho Hong. Letzterer zahlte Ende 2011 "freiwillig" 3,4 Millionen Euro in die Insolvenzmasse, um Rechtsstreitigkeiten wegen überhöhter Architekten- und Planungshonorare zu vermeiden. Die dahinter steckende Logik widersprach schon immer den beschönigenden Botschaften offizieller Pressemeldungen: Wenn Millionen aus WCCB-Mitteln nicht in Stahl, Beton und Technik geflossen sind, können sie kaum zur Steigerung des Bausubstanzwerts beigetragen haben.

Doch die Wirklichkeit am Rhein rückte immer näher, je mehr die Bauermittlungen vor Ort fortschritten. Seagon hatte einst rund 75 Millionen Euro Fertigstellungskosten für Konferenzzentrum plus Hotel genannt. Heute reicht dieser Betrag vielleicht gerade aus, um nur das Konferenzzentrum einsatztauglich zu machen.

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