WCCB in Bonn Der Schwur im Stadtrat

BONN · Am Donnerstag müssen Bonns Politiker entscheiden, ob sie der Fertigstellung des Kongresszentrums zu "inakzeptablen Bedingungen" zustimmen, zum Beispiel einer "Beschleunigungszulage" von 100.000 Euro pro Woche ohne garantierte Gegenleistung.

 Die Stadt Bonn hat den Vereinten Nationen für eine Konferenz im Juni ein startklares Kongresszentrum zugesagt. Doch mit "Business as usual" auf der Baustelle ist der Eröffnungstermin nicht zu schaffen - eine Steilvorlage für die Baufirmen, um horrende Forderungen zu stellen. Heute muss der Stadtrat darüber entscheiden.

Die Stadt Bonn hat den Vereinten Nationen für eine Konferenz im Juni ein startklares Kongresszentrum zugesagt. Doch mit "Business as usual" auf der Baustelle ist der Eröffnungstermin nicht zu schaffen - eine Steilvorlage für die Baufirmen, um horrende Forderungen zu stellen. Heute muss der Stadtrat darüber entscheiden.

Foto: Volker Lannert

Der Zufall schafft eine bizarre Dramaturgie: Just als Stadtdirektor a.D. Arno Hübner, angeklagt unter anderem wegen Untreue im besonders schweren Fall, den Richtern der 7. Kammer des Landgerichts Bonn erklärt, wie denn so eine Beschlussvorlage für den Stadtrat entsteht, braut sich im Bonner Rathaus ein brisantes Untreue-Risiko zusammen. Aber diesmal scheinen die Verwaltungsexperten und Politiker durch die strafrechtliche Aufarbeitung der Vergangenheit rund um das World Conference Center Bonn (WCCB) für die WCCB-Gegenwart sensibilisiert zu sein.

Die Staatsanwaltschaft wirft Hübner unter anderem vor, eine andere - für die Stadt Bonn nachteiligere - Nebenabrede (Bürgschaft) gegenüber der Sparkasse KölnBonn unterzeichnet zu haben als die, zu der ihn der Stadtrat im Dezember 2005 ermächtigt hatte. Nun steht der Stadtrat heute Abend vor einer Pest-oder-Cholera-Entscheidung. Der Reihe nach: Die Fertigstellungskosten für einen WCCB-Teil, das Kongresszentrum, galoppieren auf die 80-Millionen-Marke zu. Und das in einer Situation, in der die Stadt haushaltsrechtlich ohnehin auf dem Hochseil balanciert, Giftlisten komponiert, eine Grundsteuererhöhung für unausweichlich hält und die Festspielhaus-Lobby auf ein städtisches "Go" wartet.

In dieser ungemütlichen Gesamtlage ist eine Erpressungssituation entstanden: Mutmaßliche Erpresser sind Baufirmen, mutmaßlich Erpresste ist die Stadt. Letztere hat dem Bund und den Vereinten Nationen zugesagt, den Kongresssaal bis Anfang Juni tagungstauglich zu errichten. Diese Drucksituation zwingt die Kommune zu einem Entgegenkommen gegenüber einzelnen Baufirmen, das selbst ihrem Verwaltungschef, Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD), so waghalsig erscheint, dass er eine strafrechtliche Expertise zur Untreue im Amt beauftragt hat.

Die Lage: Ein an der WCCB-Fertigstellung beteiligtes Unternehmen stellt einen Nachtrag. Das bedeutet: Es reklamiert höhere Kosten, die nicht die Firma selbst, sondern ein Dritter oder gar die Stadt Bonn selbst verursacht haben soll. Bewiesen ist nichts. Das Unternehmen droht, die Arbeit einzustellen, wenn nicht sofort gezahlt wird - ausgerechnet im für ein Konferenzzentrum essenziellen Bereich der Elektroinstallationen.

Firma erhält 800.000 Euro - sofort und ungeprüft

Die Firma kann so auftreten, weil sie weiß, dass die Stadt in der Sackgasse steckt: Bonn will nach der skandalösen und kriminellen WCCB-Vorgeschichte um jeden Preis eine UN-Veranstaltung fristgerecht durchführen. In einer Absichtserklärung (Letter of Intent, LOI) willigt die Stadt Bonn ein, dass diese Firma 800.000 Euro erhält - sofort und ungeprüft.

Zusätzlich zahlt die Stadt dem Unternehmen 100.000 Euro netto pro Woche als "Beschleunigungsvergütung" - maximal also weitere rund 800 000 Euro. Gegenleistung: keine. Kann die UN-Konferenz nicht durchgeführt werden, weil die Firma nicht fertig geworden ist, hat die Stadt keinen Anspruch auf Rückerstattung.

Das LOI-Papier sei "inakzeptabel", urteilen Baufachanwälte, weil die wöchentlichen Zahlungen "endgültig geschuldet werden, was bedeutet, dass diese Zahlungen selbst dann geschuldet werden", wenn das Unternehmen "am morgigen Tage jegliche Leistungen einstellt" - oder insolvent gehe. Ferner verweist die Kanzlei auf das Risiko, dass möglicherweise Fördermittel zurückgefordert werden könnten.

Kurzum: Die Stadt hat sich allein bei einem Unternehmen auf Zahlung von zusätzlich rund 1,6 Millionen Euro netto ohne garantierte Gegenleistung verpflichtet - das Ganze per Dringlichkeitsentscheidung. Diese wurde nach GA-Informationen von OB Nimptsch (SPD) und Bürgermeister Peter Finger (Die Grünen) bereits unterschrieben. Im Außenverhältnis sind folglich bereits Fakten geschaffen worden.

Stadt in der Bredouille

Die Stadt geriet in die Bredouille, weil das zuständige "Amt", das Städtische Gebäudemanagement (SGB), sich weigerte, die Vorlage mitzuzeichnen. Auch das Rechnungsprüfungsamt (RPA) lehnte es ab, "dem Vorgang als Nachtragsvergabe - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt" zuzustimmen.

Die Begründung liest sich wie das Kleingedruckte in Versicherungsbedingungen: "Eine Prüfung dieses umfangreichen Vorgangs als Nachtrag auf Einhaltung der städtischen Vergabevorschriften konnte nicht durchgeführt werden, da die hierzu notwendige Freigabe in Form einer Vergabedokumentation mit einem Vergabevorschlag der zuständigen Fachdienststelle (hier SGB) nicht vorgelegt wurden." Übersetzt: Das RPA konnte nichts prüfen, weil ihm nichts vorlag, das es hätte prüfen können.

Trotz des Dilemmas baute das RPA der Stadt eine Brücke und definierte den LOI als "außergerichtliche Einigung", obwohl man nicht vor Gericht steht - dazu fehlt die Zeit. Sie läuft der vom WCCB maträltierten Stadt buchstäblich davon. Folglich sahen Nimptsch und Finger keinen anderen Ausweg als zu unterschreiben.

Haben sie sich damit in die Untreue geritten? Nein, schreibt der beauftragte Strafrechtler. Der Straftatbestand der Untreue gemäß Paragraph 266 Strafgesetzbuch liege nicht vor, wenn der Stadtrat als höchstes Organ des "Vermögensinhabers" eine entsprechende Vorlage genehmige - aber nur, wenn die Vorlage "umfassend und transparent informiert".

Wörtlich heißt es: Die Anmerkungen der Rechtsanwälte "sollten aus Gründen äußerster Vorsicht über den bloßen Verweis auf die “Anlage„ angesichts der Bedeutung der bau- bzw. vertragsrechtlichen Bewertung unmittelbar in der Beschlussvorlage wiedergegeben werden".

Abstimmung am Donnerstagabend

Der Stadtrat soll heute Abend zustimmen. Nicht nur ein OB, sondern auch jedes Stadtratsmitglied ist verpflichtet, nicht gegen das haushaltsrechtliche Sparsamkeitsgebot zu verstoßen, erst recht nicht bei dramatischer Haushaltsnot. Auf fehlende oder unzureichende Information wird sich kein Volksvertreter nachträglich berufen können, denn die nicht-öffentliche Beschlussvorlage wurde geändert; sie enthält, wie vom Strafrechtler vorgeschlagen, nunmehr alle Risiken. Selbst das Wort "inakzeptabel" taucht auf. Die Vorlage ist tatsächlich maximal "transparent" und "umfassend".

Das war bei der vom Stadtrat Ende 2005 abgesegneten städtischen Bürgschaft für den Investor über 74,3 Millionen Euro noch anders. Erstens wurde die WCCB-Bürgschaft damals nebulös "Nebenabrede" genannt, zweitens enthielt die Vorlage nicht den Bürgschaftsbetrag und drittens war dem Rat verschwiegen worden, dass der Investor von der Sparkasse KölnBonn als kreditunwürdig bewertet worden war.

Die aktuelle Pest-oder-Cholera-Situation ergibt sich ebenfalls aus der Beschlussvorlage. Während die "Cholera" sich in der Zustimmung zu einem "inakzeptablen" Papier manifestiert, bedeutet dessen Ablehnung die "Pest": Eine Bauzeitverlängerung um sechs Monate würde bis zu 4,2 Millionen Euro kosten und "die Etablierung des Kongresszentrums im Markt um ein bis 1,5 Jahre verzögern", schreibt die Geschäftsführung des Betreibers, die stadteigene BonnCC Management GmbH.

Ferner drohen erhebliche Umsatzverluste. Zudem bedeute eine erneute Verzögerung des Fertigstellungstermins Imageverlust, Schaden für die städtische Glaubwürdigkeit - "der Bund dürfte sich kaum freuen, wenn er über die Verzögerungen der Fertigstellung international blamiert wird".

Doch die Logik zeigt, wie perfide die Lage für den Rat ist. Er entscheidet nicht über Pest oder Cholera, sondern: Stimmt er der Vorlage zu und verhindert die Pest, hat er diese trotzdem nicht verhindert, denn die Firma garantiert für zusätzliches Geld - nichts. Die Chaos-Situation erinnert fatal an die Lage im Mai 2009, als der Rat nochmals 30 Millionen Euro bewilligte, weil er dem Expertenrat folgte, wonach ein Baustopp ungleich teurer wäre. Doch der kam trotzdem, und die freigegebenen Millionen schraubten die städtische Bürgschaft von 74,3 auf 104,3 Millionen Euro hoch.

Die Spurensuche für das neuerliche Desaster führt unweigerlich wieder zum SGB, das den Projektsteuerer und Generalplaner unzureichend kontrollierte. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass das SGB (der GA berichtete) diese Aufgabe nicht übernehmen wollte. Personal und Kompetenz - alles reiche nicht.

Zudem grassiert im SGB eine nachvollziehbare Verunsicherung: Bei der Kontrolle von WCCB-Bauphase eins (bis 2009) habe das SGB, so die RPA-Prüfer, zwar den Stempel "sachlich und rechnerisch" oft eingesetzt, tatsächlich aber nicht geprüft. Der Ex-SGB-Chef und zwei Mitarbeiter sind angeklagt und warten auf ihren Prozess.

Unterdessen brodelt es im Rathaus. Die Linke erinnert an die "Anfangsjahr des Skandalpro-jekts", wo auch das Prinzip "Augen zu und durch" regiert habe. Der Bürger Bund Bonn (BBB) ist "fassungslos" angesichts der Ausgaben "für das einst von Ex-OB Barbara Dieckmann als “kostenlos„ angepriesene Kongresszentrum." Und die CDU will die als Kröte empfundene Beschlussvorlage "notgedrungen" schlucken.

31 Millionen vom Bund

Die Bundesregierung beteiligt sich mit bis zu 31 Millionen Euro an der Fertigstellung des WCCB. Davon waren 14 Millionen Euro bereits 2013 in einer Vereinbarung zwischen Bund, Land und Stadt schriftlich fixiert worden. Der entsprechende Bewilligungsbescheid werde demnächst erwartet, so Stadtsprecherin Monika Hörig.

Weitere drei Millionen Euro vom Land NRW seien bereits geflossen. Nachdem OB Jürgen Nimptsch beim zuständigen Bundesumweltministerium vorstellig geworden war, hat das Bundeskabinett nun weitere 17 Millionen Euro für das WCCB bewilligt, wie Ulrich Kelber, Bonner Staatssekretär im Justizministerium, mitteilte. Diese Zahlung im Nachtragshaushalt muss aber noch durch den Haushaltsausschuss des Bundestages genehmigt werden.

Im Zahlenlabyrinth des WCCB

Ursprünglich wurden als reine Baukosten für das WCCB (Kongresszentrum plus 352-Zimmer-Hotel) rund 100 Milllionen Euro angegeben. Das war eine realistische Einschätzung, denn es gab zu diesem Preis ein Schlüsselfertig-Angebot eines deutschen Baukonzerns (der GA berichtete). Das wurde jedoch vom inzwischen angeklagten Architekten der Man-Ki-Kim-Connection abgelehnt, weil das seine "Spielräume" verkleinert hätte.

Als Ende 2009 eine Insolvenzwelle das WCCB überrollte, berichtete der Insolvenzverwalter, "75 bis 80 Prozent" des Baus seien fertiggestellt. Doch es gab einen Unsicherheitsfaktor: Was hatte die Baufirma SMI Hyundai Europe tatsächlich gebaut, wo UN-Sicherheitsauflagen vernachlässigt und was sonst noch alles weggespart?

Als die Stadt 2012 Herrin des WCCB wurde, lobte der Generalplaner den Bauzustand, und auch die WCCB-Projektleiterin Marion Duisberg vom Städtischen Gebäudemanagement versicherte: "Die Bausubstanz ist prima" - trotz Baustillstands durch fünf Winter bei Frost und Schnee. Nun sollte das Kongresszentrum zum 15. März 2014 eröffnet werden, die Fertigstellungskosten wurden mit 51,5 Millionen veranschlagt.

Das kollidierte schon arg mit den fragwürdigen Prozentangaben des Insolvenzverwalters. Die Realität hat inzwischen viele Angaben als politisch motivierte Zuversichtsprognosen entlarvt. Heute kostet allein die Fertigstellung des Projektteils Kongresszentrum fast genauso viel wie damals das ganze Projekt samt Hotel. Vor allem ist es immer noch nicht fertig.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort