In der Schuldenfalle - Teil 4 Stadtkämmerer zittern vor Basel III

BONN · Da staunte der Kassenwart von Ochtrup: Die WL-Bank in Münster, die dem Genossenschafts- und Raiffeisenverband angehört, wollte ihm im vergangenen Jahr keinen Kredit mehr geben. 20.000 Ochtruper sind gerade einmal mit rund 1400 Euro pro Kopf verschuldet, in Bonn liegt dieser Wert rund drei, in Oberhausen sieben Mal höher. Trotzdem statuierte die WL-Bank an dem kleinen Städtchen im Münsterland ein Exempel.

Botschaft: Alle Kommunen in NRW sollen einmal aufwachen und ihre Haushalte in Ordnung bringen. Insbesondere die ohne genehmigtes Haushaltssicherungskonzept (HSK). Auch die Kfw-Bank denkt nach: sie will künftig die Kredithöhe auf 750 Euro pro Einwohner limitieren. Damit läge die Obergrenze für Bonn bei rund 240 Millionen. Allein die aktuellen Kassenkredite der Bundesstadt betragen über 460 Millionen.

Dahinter spielt ernste Musik. US-Immobilienkrise, Bankenkrise, Finanzkrise. Es hatte sich gezeigt, dass auch Banken waghalsige Geschäfte machen, die sie mit unzureichend Eigenkapital hinterlegt hatten. Geht etwas im Hochrisikogeschäft schief, droht durch die gegenseitige Risikoabsicherung der Banken untereinander ein Lawineneffekt, eben eine Banken- und Finanzkrise. Sie begann 2007. Dann folgte mit Milliarden die Bankenrettung durch Staaten und Steuerzahler.

Dass Profite privatisiert und Verluste sozialisiert werden, sollte jedoch eine Eintagsfliege bleiben, weshalb die Industrienationen eine härtere Gangart beschlossen. Umgesetzt hat sie der Basler Ausschuss der Bank für Internationalen Bankenausgleich (BIZ), der ein neues Reformpaket zur Regulierung schnürte; es heißt Basel III und soll die Schwächen von Basel II (2004) egalisieren.

Im Zentrum der Reform steht das Eigenkapital. Eine Bank, die Geld verleiht, soll nun nicht mehr nur zwei Prozent, sondern sieben Prozent für den Crashfall zur Seite legen. Auch wird das Eigenkapital neu definiert. Bisher gab es "weiches" und "hartes", und zur weichen Variante gehörten Wertpapiere und auch solche, deren (mögliche) Gewinne lediglich auf dem Papier standen.

Künftig soll damit Schluss sein und die genannten sieben Prozent ausschließlich aus hartem Eigenkapital bestehen, das Banker und ihre Aufseher "Kernkapital" nennen.

Parallel zur globalen Finanzkrise geriet ein anderes Paradigma ins Wanken. Auf Deutschland übertragen: Eine Stadt, ein Bundesland, ein Staat kann nicht pleite gehen. Im Notfall haftet Land für Kommune und Bund für Land. Im Rahmen dieser Haftungsgemeinschaft kehrten Banken großzügig Null-Risiko-Kredite zwischen Millionen und Milliarden aus.

Seit der öffentlichen Schuldenkrise rund um den mediterranen Oliven-Äquator hat sich allerdings auch diese eherne Annahme verflüchtigt. Die Banken schauen jetzt genauer hin, und erste Kandidaten sind wahrscheinlich überschuldete Kommunen. Siehe Ochtrup.

Basel III soll ab Januar 2013 weltweit und schrittweise bis 2018 umgesetzt werden. Sicher ist das nicht, denn hinter den Kulissen tobt ein Kampf, in dem sogar deutsche Stadtkämmerer mitmischen, während die Banken vehement gegen eine höhere Eigenkapitalquote protestieren. Sie argumentieren, dies führe zu weniger Krediten mit höheren Zinsen und zu einem geringeren Wirtschaftswachstum.

Von den höheren Zinsen könnten insbesondere die Kommunen betroffen sein, bei denen zunehmend längst das laufende Geschäft per Kredit bestritten wird, etwa die Gehälter von Stadtbediensteten. Kämmerer und Banken laufen also aus völlig unterschiedlichen Motiven im Gleichschritt gegen Basel III.

Wenn die Kreditsumme pro Bank durch das hinterlegte Kernkapital limitiert ist, droht dem unschlagbar günstigen Kommunalkredit vermutlich das Aus. Denn er bringt der Bank die niedrigste aller Renditen. Gleichwohl hängen Deutschlands Städte und Gemeinden inzwischen am Kassenkredit wie an einem Tropf.

Da überrascht es nicht, dass auch Bonns Stadtkämmerer Professor Ludger Sander der neuen Gefahr ein eigenes Kapitel in seiner Rede zum Entwurf des Doppelhaushalts 2013/14 vor dem Stadtrat widmete. Er befürchtet, dass die Geldinstitute nun "ihr begrenztes Kreditvergabevolumen stärker an Privat- und Firmenkunden ausrichten, weil hier die Erträge für die Kreditgeber besser sind". Oder sie verlangen höhere Zinsen von Sander.

Als gebe es für überschuldete NRW-Städte wie Oberhausen oder Hagen (siehe Folge 3/GA-Haushaltsserie) nicht schon genug Teufelskreise, zeichnet sich mit Basel III ein weiterer ab: So wie die großen Ratingagenturen Standard & Poors oder Moody's Staatsanleihen für Länder wie Deutschland oder Griechenland bewerten, könnte dies bald auch für Kommunen geschehen. Für das schuldenfreie Langenfeld hieße es dann AAA und für Oberhausen CC, während Bonn dazwischen läge.

Offenbar spielen solche Szenarien nicht erst in der Zukunft, sondern sind bereits Realität. "Bei Ausschreibungen von Krediten durch Kommunen zeigt sich in den letzten Monaten", so Sander, "dass sich der Kreis der anbietenden Kreditinstitute reduziert." Einzelne Banken bewerteten die Kommunen bereits "in einem internen Ranking".

Ferner argumentiert Sander, "dass Kredite mit einem Null-Risiko bei der Wertung von Verschuldungs-Obergrenzen von Kreditinstituten nicht berücksichtigt werden sollten". Die Kommunen seien "zwar hochverschuldet, aber die kommunale Familie kann sich auf den Bund und die Länder verlassen. Es besteht ein Haftungsverbund."

Andererseits gibt es Urteile des NRW-Verfassungsgerichts in Münster, wonach die Bundesländer für ihre Kommunen nur im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten haften. Johannes Hellermann, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bielefeld, sagte der "Zeit": "Die Urteile machen klar, dass die Haftungsgemeinschaft zwischen Bund, Ländern und Kommunen auch Grenzen hat."

Zudem sind die potenziell Haftenden selbst bis zur Halskrause verschuldet: Nordrhein-Westfalen mit mehr als 170 Milliarden, der Bund mit über zwei Billionen Euro.

Nun hoffen die städtischen Kassenwarte auf den Deutschen Städtetag. Der hat vor der für Basel III zuständigen EU-Kommission vorgetragen, dass die Empfehlungen aus Basel nur für "systemrelevante Großbanken" gelten sollen - und nicht, so Sander, "für regional tätige kleinere und mittlere Finanzinstitute", womit er primär die Sparkassen meint. Bonns Kämmerer befürchtet sonst "Kreditklemmen": Die lokale Wirtschaft und die Kommunen "werden hierdurch erhebliche Konsequenzen verspüren".

Die Argumente der Banken gegen Basel III sind indes von Forschern schon 2010 zerpflückt worden. Vorneweg von einer Gruppe der Stanford University (USA) und des Bonner Max-Planck-Instituts (MPG) zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, dessen Direktor Martin Hellwig erst kürzlich mit dem MPG-Forschungspreis 2012 in Berlin für seine Arbeiten zur Regulierung internationaler Finanzmärkte ausgezeichnet wurde.

In der Studie Stanford/Bonn heißt es: "Die Bankenaufseher müssen sich keine übermäßigen Sorgen machen, dass eine substanzielle Erhöhung der Eigenkapital-Anforderungen deutliche negative Folgen für Wirtschaft und Wachstum hat." Einige Argumente der Banker basierten "auf einer Verwechslung zwischen privaten und gesamtwirtschaftlichen Kosten".

Dabei geht es vor dem Hintergrund, dass Banken sich für ihre Kreditgeschäfte selbst Geld leihen, auch um Steuersparmodelle. In fast allen Ländern können Geldinstitute Zinsen als Betriebsausgaben geltend machen. "Je mehr Schulden eine profitable Bank hat", so die Studie, "desto geringer ist ihre Steuerschuld. Die Banken profitieren von den Steuervorteilen, aber die Allgemeinheit leidet darunter."

Einige Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen und sehen in Basel III kein taugliches Instrument, um eine künftige Finanzkrise zu verhindern. Um dieses Risiko wirklich zu verringern, so ein Forscherteam der Bank of England, müsste die Eigenkapitalquote bei Krediten nicht sieben, sondern oberhalb von 15 Prozent liegen. Stadtkämmerer sind von solchen Studien nicht begeistert. Und erwähnen sie erst gar nicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort