Bonn in der Schuldenfalle Das Ende der Spielräume

BONN · Wir haben es nochmals geschafft, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen", sagte Stadtkämmerer Professor Ludger Sander Anfang September 2012, als er den Entwurf zum Bonner Doppelhaushalt 2013/14 vorstellte. Das klang nach "gerade so geschafft".

Sander nannte auch den Preis dafür, die Hoheit über die Stadtfinanzen nicht an die Bezirksregierung in Köln abzugeben: Ein weiterer Verzehr des Eigenkapitals, "und alle Bürger der Stadt werden mit erheblichen zusätzlichen Steuern und Abgaben belastet".

Auch die Unternehmen: Die Gewerbesteuer wurde zum 1. Januar 2013 um 30 Punkte erhöht. Damit spielt Bonn nun im NRW-Gewerbesteuer-Oberhaus, wo auch die Sorgenkinder des Bundeslandes zu finden sind - die hochverschuldeten Städte Duisburg, Essen, Remscheid oder Wuppertal. Und trotzdem hat es nicht gereicht, weshalb Sander nun eine "haushaltswirtschaftliche Sperre" verfügte. Sie gilt ab sofort.

Die offiziellen Gründe für das Haushaltsloch in 2013: Weniger Gewerbesteuer und Einkommenssteuer, mehr Sozialausgaben und ein höherer Betriebskostenzuschuss an das Städtische Gebäudemanagement. In 2014: wie 2013 und zusätzlich weniger Schlüsselzuweisungen sowie mehr Ausgaben für Personal und Renten und Pensionen.

Umgehend reagierten die politischen Parteien: Die Mehrheitsfraktionen CDU/Grüne sieht für die plötzliche Schräglage vor allem "Entwicklungen, die fast ausschließlich von außen kommen", während die Fraktion von Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) vorschlägt, die "Umbaumaßnahmen für die Beethovenhalle auf Eis zu legen".

Die Linke fordert eine "rechtsfeste Bettensteuer", die FDP begrüßt die Haushaltssperre, und der Bürger Bund Bonn kritisiert eine "verantwortungslose Finanzpolitik" der Ratsmehrheit, "indem ständig neue Ausgaben beschlossen wurden".

Indes: Es war allen bewusst, dass der städtische Haushalt 2013/14 "auf Kante genäht" war und beim ersten Kieselstein, ob von außen oder innen geworfen, kippt. Auch der Doppelhaushalt enthielt wieder neue Schulden: 58 Millionen für 2013, 55 Millionen für 2014. Nun zeichnet sich ab, dass für beide Jahre mehr als zusätzliche 100 Millionen fehlen - zu viel für ein "Weiter so".

Denn bereits 2012 hatte Bonn über 200 Millionen neue Schulden angehäuft. Die gesetzliche Vorgabe lautet: Eine Kommune darf jedes Jahr bis zu fünf Prozent ihres Eigenkapitals verbrauchen. Sie darf auch einmal, wie 2012, kräftig überziehen, aber nicht zweimal hintereinander.

Und das wäre jetzt der Fall. Deshalb drückt Sander auf den roten Knopf: Nichts geht mehr. Die Lage ist auch deshalb so prekär, weil das Eigenkapital wie Schnee in der Sonne schmilzt. Somit sind fünf Prozent in absoluter Euro-Zahl immer weniger.

Der Stadtkämmerer mahnt stets, wenn im Stadtrat über Geld gesprochen wird, dass Bonn ein "strukturelles Defizit" habe. Mit anderen Worten: Es läuft in dieser Stadt grundsätzlich etwas schief. Wie schief, spiegelt ein Tag des Jahres 2010: Da schockte Sander die Volksvertreter mit der Nachricht, dass der Kassenkredit am 13. Dezember erstmals die 500-Millionen-Euro überschritten habe.

Das zeige "die Dramatik der Lage". Der Dispo, einst - wie beim Privatkonto - für unvorhergesehene Lebenslagen gedacht, war da längst zum Instrument zur Bewältigung laufender Ausgaben geworden. Aktuell sind es 624 Millionen. Inzwischen gehen dem Stadtkämmerer die Vokabeln aus. Er könnte sagen: "Dramatischer als dramatisch."

Oder wie Georg Schell, CDU-Fraktionschef von Sankt Augustin: "Der Kassenkredit ist der Vorbote der kommunalen Pleite." Zwischen 2000 und 2011 ist der kommunale NRW-Konsum des süßen Gifts "Kassenkredit" um rund 800 Prozent gestiegen.

Viel wurde den Städten und Gemeinden aufs Auge gedrückt: die Unterkunft für Arbeitslose, der Kita-Ausbauplan, das Asylbewerber-Gesetz und vieles mehr. Alles treibt jene Kosten, die ein Stadtrat nicht beeinflussen kann. Die Kommunen sind objektiv zur Schulterung der Soziallasten durch Land und Bund unterfinanziert. Insbesondere in NRW: Nirgendwo liegt die Kommunalisierungsquote höher - Aufgaben, die das Land Kommunen übertragen hat, jedoch oft ohne ausreichende Gegenfinanzierung.

NRW ist nach Sachsen das höchstverschuldete Bundesland, weshalb sich hier auch städtische Armenhäuser finden. Ausgerechnet dort drehen die Kämmerer ständig an der Gewerbe- und Grundsteuerschraube, denn diese fließen zu 100 Prozent ins Stadtsäckel. Doch mancherorts beschleunigt sich so nur die Abwärtsspirale.

Weil Städte und Gemeinden unter den "von außen und oben" aufgedrückten Lasten ächzen, haben sie immer weniger Geld für das, was eine Stadt lebenswert macht, etwa für Bäder, Bibliotheken, Theater, Museen oder Sportanlagen. Bundesweit ist, so das Statistische Bundesamt, der Anteil freiwilliger Leistungen am kommunalen Budget immer weiter geschrumpft. Von durchschnittlich 25 Prozent im Jahr 1980 auf 11 Prozent in 2006.

Bonn ist demnach Durchschnitt: 100 Millionen verteilt die Stadt freiwillig für das, was sie für sinnvoll hält - bei einem Etat von einer Milliarde. 58 Millionen gehen in die Kultur, wovon wiederum rund 73 Prozent allein Theater/Oper, Kunstmuseum und Beethoven-Orchester verbrauchen. Macht nach den Kulturzuschüssen pro Einwohner für Bonn, so der Kulturfinanzbericht 2010, einen Platz unter den Top Ten Deutschlands.

Etwa 1,4 Milliarden Euro haben Bonn und die Region aus Ausgleichsmitteln für den Wegfall der Hauptstadtfunktion erhalten. Als die Bundesmittel nicht mehr flossen, blieb das Infrastruktur-Erbe. In Sanders von Jahr zu Jahr erneuerter Ursachenanalyse der Bonner Krankheit taucht stets der Hinweis auf, dass "Bonn über eine sehr gute Infrastruktur - nach wie vor auf Hauptstadtniveau - verfügt mit der Konsequenz hoher Folgekosten".

Aber das ist nicht das einzige bundesweite Bonner Alleinstellungsmerkmal: "Es gibt keine andere Stadt dieser Größenordnung in Deutschland mit solch einer Volatilität bei den Einnahmen", sagt Florian Boettcher von der TU Kaiserslautern. Volatilität bedeutet: Es geht rauf und runter mit der Gewerbesteuer-Einnahme - eine Folge der Abhängigkeit von großen Zahlern wie Deutsche Post DHL oder Deutsche Telekom.

Außerdem sei Bonn "ein Grenzgänger im Finanzausgleich", so der Kommunen-Durchleuchter. Das heißt: Bei einigen statistischen Kenngrößen liegt man immer knapp über der Schwelle, um zu profitieren. Oder eben nicht.

Dass Bonns Haushalt ausgerechnet in einer Phase strauchelt, in der einige Risiken vor sich hinschlummern, müsste die Volksvertreter eigentlich alarmieren. Die Flaute an der Zinsfront hält an, und die Sparkasse hat den Rest aus der Bürgschaft für das World Conferene Center Bonn - rund 80 Millionen - noch nicht eingefordert. "Vor der Kommunalwahl 2014 passiert nichts", ist dagegen ein Politiker überzeugt.

Keine Partei will den Wähler erschrecken. Bonn spart sich also weiter das große Sparen? OB Nimptsch hatte schon 2011 gemahnt: "Der Rat hat nur die Wahl, sich selbst zu entmachten oder die Kraft aufzubringen für Beschlüsse zu zwingend notwendigen Sparmaßnahmen."

Mit der Abschaffung der 100 Müllbeutelspender für Hundekot ist es diesmal nicht getan. Das brächte 10 000 Euro pro Jahr. Zu wenig. Es geht um viele, viele Millionen, die Bonn aus den freiwilligen Leistungen abziehen muss.

Absehbar: Es naht die Hoch-Zeit der Lobbyisten. Keiner will vom Sparen betroffen sein. Die Crux: Wenn alle siegen, verliert Bonn. Dann würde die eherne Regel greifen: Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.

Die Auswirkungen der Haushaltssperre

Ein Stadtkämmerer kann nach der NRW-Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) eine haushaltswirtschaftliche Sperre anordnen, "wenn die Entwicklung der Erträge oder Aufwendungen oder die Erhaltung der Liquidität es erfordert". Davon ist der Stadtrat "unverzüglich zu unterrichten". Aus einer Haushaltssperre ergeben sich Konsequenzen für die vorläufige Haushaltsführung. Auszüge aus dem vom Bonner Stadtkämmerer Ludger Sander angeordneten Maßnahmenkatalog:

  • Dienstreisen von Amtsleitern und anderen Personen müssen vom jeweils zuständigen Dezernenten bewilligt werden.
  • Wiederbesetzungssperre für freiwerdende Personalstellen: Sie wird auf zwölf Monate verlängert. Alle hierzu bestehenden Ausnahmeregelungen für bestimmte Bereiche werden aufgehoben - zum Beispiel für Offene Ganztagsschulen, Kindergärten, Feuerwehr, Rufbereitschaft Tiefbauamt, insbesondere für den Straßentunnel Bad Godesberg.
  • Zuschüsse: Sofern noch keine verbindlichen Zusagen/Bescheide vorliegen, werden sie 2013 um zehn Prozent und 2014 um 20 Prozent gekürzt. Über Ausnahmen entscheidet die Stadtkämmerei. Bisherige Empfänger von Zuschüssen werden informiert, dass 2014 "diese Mittel nur in vermindertem Umfang gezahlt werden können".
  • Verzicht auf neue freiwillige Leistungen. Bestehende freiwillige Leistungen werden verringert.
  • Investitionen: Wurde mit einem Projekt oder einer Sanierungsmaßnahme noch nicht begonnen, wird diese zurückgestellt.
  • Werden Finanzmittel bei begonnenen Investitionen nicht benötigt, gelten diese als endgültig eingespart und dürfen nicht für Projekte verwendet werden, die teurer geworden sind.
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