Der Stauatlas Deutschland und was er über die Region sagt

Von Nadelöhr zu Nadelöhr - Industrie- und Handelskammertag listet überlastete Autobahn-Kilometer auf - Fahrer aus der Region kennen noch weit mehr Engpässe

Der Stauatlas Deutschland und was er über die Region sagt
Foto: Holger Arndt

Region. Wenn Henry Meyer morgens im Königswinterer Ortsteil Thomasberg ins Auto steigt, zählt jede Minute. Stau oder nicht Stau, heißt für ihn die Frage. Und die Antwort hängt davon ab, wann er die Rampe zur Südbrücke erreicht. "8.05 Uhr den Berg hinunter sein, das geht noch", weiß der Ingenieur aus mehr als drei Jahrzehnten Erfahrung. So lange steht sein Schreibtisch in Friesdorf bei ZF Boge Elastmetall. Und so lange kennt er als Pendler die Tücken des Verkehrs in der Region.

Dabei haben es "seine" Staus noch nicht mal bis in den Stauatlas geschafft, den der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) vorgelegt hat. Darin listet die Organisation 976 chronisch überlastete Kilometer im deutschen Autobahnnetz mit insgesamt 12 531 Kilometern auf. 73,6 Kilometer davon im staugeplagten Nordrhein-Westfalen und 27,6 Kilometer potenzieller Stillstand legen Tag für Tag die Autobahnen der Region lahm. Neuralgische Strecken wie den Kölner Ring noch gar nicht mitgerechnet.

Jeder zwölfte Autobahnkilometer ist demnach überlastet. Mit 68 betroffenen Abschnitten droht dem bevölkerungsreichsten Bundesland der Verkehrsinfarkt. Was nicht nur mit der Zahl der Einwohner, sondern auch mit der Lage zusammenhängt, die es zum Transitland macht. Von den acht notorischen Staufallen der Region betreffen zwei Rheinland-Pfalz.

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Pläne und kein Ende
Lesen Sie dazu auch den Kommentar " Ideen, nicht Ideologien "Auf der A 61 staut es sich mit insgesamt 14,2 Kilometern auf langen Abschnitten um das Meckenheimer Kreuz und das Dreieck Neuenahr. In beiden Richtungen, versteht sich. Die am stärksten überlasteten Strecken gruppieren sich im Rechtsrheinischen um die Dreiecke Sankt Augustin und Beuel.

Dort liegt die Zahl der Fahrzeuge 40 Prozent und mehr über der "durchschnittlichen Verkehrsdichte". Aber wo verläuft diese Belastbarkeitsgrenze? Der DIHK geht von 60 000 Fahrzeugen aus, die pro Tag über eine vierspurige Bahn rollen können, sechs Spuren verkraften 90 000. Mehr ist zu viel.

Und was ist mit der A 565 und der A 555, wo die Autos Schlange stehen? Warum kommen sie und andere Staus, die jeder kennt, nicht im Atlas vor? DIHK-Verkehrsexperte Patrick Thiele erläutert, dass es die Werte von Dauerzählstellen der Bundesanstalt für Straßenwesen nicht hergeben, Einzelstaus wie die im Berufsverkehr aufzuzeichnen. Auf manchen Strecken fehlen Messstellen ganz, die Daten sind nicht gerade taufrisch.

Womit Thiele begründet, dass trotz sechsspurigen Ausbaus der A 565 zwischen Dreieck Beuel und Nordbrücke sowie der A 59 zwischen Beuel und Pützchen die Zeichen immer noch auf Stau stehen: Die Daten des Stauatlas 2009 sind drei Jahre alt, aktuellere nicht verfügbar, so Thiele. Ein Grund für Kurt Schmitz-Temming von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg, tiefer gehende Untersuchungen ins Auge zu fassen. Er setzt auf Daten des Landesbetriebs StraßenNRW, der zurzeit den Verkehr in der kompletten Region zwischen Köln und Koblenz detailliert zählt und auswertet.

Dennoch erkennt Schmitz-Temming im Stauatlas die Situation in der Region wieder: "Alles steuert auf den Flaschenhals zu." Und er weiß, dass Stau und zähfließender Verkehr auch auf A 565, der A 555 oder der Südbrücke an der Tagesordnung sind. Für Schmitz-Temming steht fest: "Die Region hat eine gute Infrastruktur mit drei erreichbaren Flughäfen, ICE-Anschluss und dem Rhein als Wasserstraße."

Aber es gebe "Optimierungsbedarf" bei den Straßen. Womit der Vize des Hauptgeschäftsführer bei einer "klassischen IHK-Forderung" angelangt wäre: "Einer weiteren Rheinquerung, die Südbrücke mit A 3 und A 565 verbindet." Als Südtangente bis heute ein politischer Zankapfel.

Eine Region im Stau.

Eine Diagnose, die weder die Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen (CDU) und Ulrich Kelber (SPD), noch Rhein-Sieg-Landrat Frithjof Kühn (CDU) oder den Bonner Baudezernenten Werner Wingenfeld überrascht. Unterschiedlich nur, was daraus für sie folgt. Was wiederum für Kenner der Szene keine Überraschung bietet: Die Politik im Kreis will die Südtangente, die Bonner Mehrheit wollte sie nie.

Dennoch sieht der Bonner Abgeordnete Kelber den Stauatlas als Wasser auf seine Mühlen. Zumal er "heute schon anders aussehen würde". Wegen der Zusatzspuren auf A 59 und A 565. Und genau da soll es für Kelber, aber auch für Wingenfeld weitergehen: "Der Rest der A 59 bis zur Südbrücke muss jetzt folgen." Auch Richtung Norden müsse sie weiter verbreitert werden. Die A 565 hat Kelber bis nach Endenich im Visier.

Wo stehen Sie im Stau?Der Stauatlas gibt erste Anhaltspunkte für die Autobahnen. Aber in der Region kommt der Verkehr an weiteren Stellen mehr oder minder regelmäßig zum Erliegen. Wir wollen wissen, wo Sie im Stau stehen. Oder wo es beim Nahverkehr nach Ihrer Ansicht grundlegend im Argen liegt. Mailen Sie uns Ihre Erfahrungen an dialog@ga.de. Wir werten sie aus und veröffentlichen einen Querschnitt der Meinungen.Auch wenn neue Spuren auf dem "Tausendfüßler", einer Brücke, teuer kommen. "Manchmal kann ein Kilometer Autobahn 150 Millionen kosten, aber eben der entscheidende sein." Zum Vergleich: Ein Kilometer Autobahn kostet normalerweise zehn Millionen Euro. Der Ausbau des Tausendfüßlers ist aber zurzeit genauso Zukunftsmusik wie die Südtangente: Beide Projekte tauchen nicht im Bundesverkehrswegeplan auf.

Aus der Verkehrssituation den Bedarf für die Südtangente abzuleiten, hält der SPD-Mann Kelber für "Unsinn": Das schaffe nur mehr Verkehr, wie Gutachten belegt hätten.

Gutachten führt auch Landrat Kühn ins Feld. Und die hätten belegt, dass Teillösungen deutlich mehr kosteten, als eine "große Lösung". Für ihn ist das "eine durchgängige Schnellstraßenverbindung zwischen beiden Rheinseiten im Bereich der Südbrücke".

Das Wort Südtangente mag selbst der Befürworter kaum mehr in den Mund nehmen, aber auf ihren "hohen Kosten-Nutzen-Faktor" schwört er nach wie vor. Und bedauert die Bonner in Röttgen, Ippendorf, Friesdorf oder Mehlem, die jeden Tag die "Invasion" des Schleichverkehrs spürten, wenn Pendler versuchten, die Staus auf ihrem Weg ins frühere Regierungsviertel zu umgehen.

Auch Wingenfeld fühlt mit den vom Schleichverkehr geplagten Bonnern. Für ihn verspricht neben dem Ausbau vorhandener Autobahnen ein "besseres Verkehrsmanagement" Entlastung. Kühns Parteifreund Röttgen dagegen steht weiter zur Südtangente: "Es war ein verhängnisvoller Fehler, die Siebengebirgsentlastung aus dem Verkehrswegeplan herauszustreichen."

Für Pendler Meyer ist das ein schwacher Trost. Wie auch die Veränderungen, die er beobachtet: "Auf der Südbrücke ist es besser geworden durch die verschiedenen Abfahrten." Trotzdem reiht sich am Beueler Brückenkopf morgens oft Auto an Auto. "Je später, desto größer die Staugefahr. Dann kommen Telekom und Post."

Und mit der Staulänge wächst der Weg zur Arbeit von 25 auf 40 Minuten. Ein Ärgernis, das sich für den 63-Jährigen eher mit seinem Ruhestand erledigt als durch verkehrspolitische Lösungen. Dann steht er nicht mehr im Stau. Aber andere.

Stauatlas DeutschlandDer Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat passend zum Jahresmotto "Mobilität ist Zukunft" im Februar in Berlin den Stauatlas vorgelegt. Präsident Ludwig Georg Braun warnte, dass auf 215 Kilometern der Verkehrsinfarkt drohe, der Güterverkehr bis 2025 aber um 70 Prozent, der Personenverkehr um 19 Prozent steigen solle.

Der Atlas kann im Internet herunter geladen werden: www.dihk.de

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