Verfahren gegen mutmaßlichen Bombenleger Marco G. Eklat im Salafisten-Prozess

DÜSSELDORF · Wie oft und wann darf ein Angeklagter während seiner Hauptverhandlung beten? Es ist eine scheinbar profane Frage, die sich jedoch im Salafisten-Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zunehmend als Sand im juristischen Getriebe erweist.

Als Vorsitzender Richter leitet Frank Schreiber das Verfahren gegen das Islamisten-Quartett.

Als Vorsitzender Richter leitet Frank Schreiber das Verfahren gegen das Islamisten-Quartett.

Foto: dpa Pool

Am Dienstagnachmittag kam es vor dem fünften Strafsenat zu einem Eklat, der durchaus filmreif war: Mit Gewalt zerrte ein halbes Dutzend Polizeibeamte, maskiert mit grünen Sturmhauben, die beiden mit Kabelbindern gefesselten Angeklagten Marco G. und Koray D. auf die Anklagebank. Deren Reaktion: eine obszöne Tirade gegen Richter, Bundesanwälte und Gerichtspersonal. Am Ende dieses achten Verhandlungstages hatten die Angeklagten auf diese Weise mehr Worte verloren als im gesamten bisherigen Prozess; denn zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen schweigen sie beharrlich.

Gemeinsam mit zwei weiteren Angeklagten sollen Marco G. und Koray D. ein Attentat auf einen Pro-NRW-Politiker geplant und vorbereitet haben. Im März 2013 beendete die Polizei das Komplott mit der Festnahme des Quartetts. Mit dem 26-jährigen Marco G. wird zudem einer von ihnen beschuldigt, den gescheiterten Bombenanschlag auf dem Bonner Hauptbahnhof im Dezember 2012 verübt zu haben.

Doch was genau hat am Dienstag die Eskalation ausgelöst? Im Gerichtssaal konnte diese Frage auch nach einer einstündigen Pause nicht geklärt werden. Unmissverständlich blieb indes am Ende der neuerliche Befangenheitsantrag im Raume stehen, den der Bonner Strafverteidiger Peter Krieger dem Vorsitzenden Richter Frank Schreiber in Aussicht stellte.

Der hatte sich von der Situation im Saal ebenso überrumpelt gezeigt wie alle anderen Anwesenden und versuchte durch eine Befragung der Polizeibeamten, den Grund für das rigide Vorgehen zu erfahren. Mit der Erklärung eines Beamten, die Polizeikräfte seien vom Justizpersonal um Hilfe ersucht worden, wollte sich zumindest die Verteidigung nicht zufriedengeben.

Erst in der Pause zuvor hatte einer der Anwälte mit dem Richter über die Frage der Gebetszeiten eine Verständigung erzielt, nachdem es deshalb schon am Vormittag Differenzen gegeben hatte. Da ordnete Schreiber für den Angeklagten Enea B. verschärfte Bedingungen an: Weil er Justizbeamte für den Fall, dass sie ihn beim Gebet stören, angeblich mit dem Tode bedroht hatte, sollte er fortan die Prozesstage gänzlich in Hand- und Fußfesseln verbringen.

Der Verteidiger nutzte die Mittagspause dazu, den Richter von einem "Missverständnis" zu überzeugen. Derweil aber verstrich weitere Zeit, und inzwischen hatten sich Marco G. und Koray D. anscheinend bereits zum nächsten Gebet niedergelassen. Und nun waren plötzlich sie es, die darauf bestanden, zu Ende beten zu dürfen - worüber zu diskutieren sich das Interesse beim Justizpersonal aber offenbar in Grenzen hielt.

Was genau in der Zelle geschah, blieb der Öffentlichkeit naturgemäß verborgen. Der Bonner G. jedenfalls klagte, ihm seien Schmerzen zugefügt worden, und verlangte nach einem Arzt.

Bereits am Vormittag hatte sich Richter Schreiber davon überzeugt gezeigt, die Bandbreite für das Mittagsgebet großzügig genug bemessen zu haben. Nicht zuletzt habe man eigens für diesen Aspekt ein islamwissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben, so Schreiber, um "auf religiöse Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen - so weit das möglich ist".

Inder Sache erinnerte sich am Dienstag ein ehemaliger Weggefährte von Marco G. alsZeugen an die gemeinsame Zeit in Oldenburg. Dort hatte man gemeinsam regelmäßigeine Moschee besucht, bis Marco G. nach Bonn gezogen war. Nach dessen Verhaftunghatte einer von ihnen bei der Polizei gesagt: "Man zieht als Muslim nicht nachBonn, weil die Altstadt so schön ist, sondern weil man Kontakt zubestimmten Leuten sucht".

Auf Nachfrage des Vorsitzenden fügte er am Dienstaf hinzu: "Bonn ist die Hochburg von Leuten, die gewisse Ansichten haben, dienicht ganz korrekt sind." Dass es auf weitere Nachfragen keine konkretenAntworten gab, ließ für den Bonner Verteidiger Mutlu Günal nur einen Schlusszu: Dass sich die Aussagen des Zeugen doch wohl eher auf "Hörensagen" stützten.

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