Mutmaßlicher Bonner Bombenleger Marco G. "Die Ungläubigen werden Blut weinen"

DÜSSELDORF · Formelle Anträge, Erinnerungslücken von Zeugen und viele Pausen: Auch nach zwölf Verhandlungstagen will der Prozess gegen vier Salafisten vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf nur mühsam Fahrt aufnehmen. Um die konkreten Tatvorwürfe ging es bislang allenfalls ansatzweise. Dafür jedoch gewinnen Gericht und Prozessbeobachter zunehmend Einblicke in die salafistische Szene und die darin vorherrschenden Denkmuster.

Gemeinsam sollen die vier Angeklagten ein Attentat auf den Pro-NRW-Politiker Markus Beisicht geplant und vorbereitet haben. Im März 2013 beendete die Polizei das Komplott mit der Festnahme des Quartetts. Mit dem 26-jährigen Marco G. wird zudem einer von ihnen beschuldigt, den gescheiterten Bombenanschlag auf den Bonner Hauptbahnhof im Dezember 2012 verübt zu haben. Er wohnte seinerzeit in Bonn-Tannenbusch, und vor allem sein Werdegang war zuletzt Gegenstand der Hauptverhandlung.

Weil G. ebenso wie seine drei Mitangeklagten zu den Vorwürfen schweigt, stützen sich die Erkenntnisse des Gerichts bislang fast ausnahmslos auf die Aussagen von Zeugen - entweder Ermittlungsbeamte oder aber Personen aus dem persönlichen Umfeld des Mannes aus Tannenbusch und seiner mutmaßlichen Komplizen. Fügt man die Aussagen zu einem Bild zusammen, so wird bald offensichtlich: Der aus Oldenburg stammende G., der Anfang 2010 zum Islam konvertiert ist, hat sich unmittelbar darauf in rapidem Tempo zu einem fundamentalistschen Muslim entwickelt.

Bereits am 31. Dezember 2010 schrieb G. demnach an einen Bekannten, der jetzt im Zeugenstand Platz genommen hatte: Die Kuffar (die Ungläubigen, d. Red.) "wissen gar nicht, was bald mit ihnen passieren wird. Sie werden so leiden. Die werden Blut weinen. Möge Allah die dreckigen Götzenanbeter vernichten". Dem Zeugen fiel die Erinnerung an derlei Schriftverkehr sichtlich schwer: "Das hört sich ja wirklich hart an", meinte er. Dafür, dass es auch in den Gesprächen mit Marco G., der selbst stets unter dem Namen "Kasim" auftrat, während der gemeinsamen Zeit in Oldenburg fast immer um den Dschihad, also den "Heiligen Krieg" und die "Ungerechtigkeiten gegen die islamische Welt" gegangen sei, hatte der Zeuge indes eine Erklärung: "Darum geht es eben oft im Islam", sagte er, denn Dschihad umschreibe auch schlichtweg die Praktizierung des Glaubens durch den Einzelnen.

Auch eine andere E-Mail von Marco G. empfand er seinerzeit offenbar als nicht weiter bemerkenswert: "Geliebter Bruder", hatte der im Frühjahr 2011 geschrieben, "ich habe einen sehr guten Plan, wie wir gegen die dreckigen Kuffar vorgehen und Allahs Barmherzigkeit und Wohlgefälligkeit zu hundert Prozent erlangen können". Von einem Anschlag sei keine Rede gewesen, meinte sich der Zeuge zu erinnern. Sicher war er indes, dass der Kontakt zu G. dann sehr bald abgebrochen sei.

"Dreckige Kuffar", diese Wortwahl scheint G. auch im Familienkreis gepflegt zu haben. Derlei habe auch sein dreijähriger Sohn im vergangenen Jahr während eines Telefonats mit G. in der Untersuchungshaft geäußert, berichtete ein BKA-Beamter. Lob vom Vater habe der Dreijährige für seine Aussage geerntet, er wolle "nicht spielen, sondern kämpfen". Derselbe Beamte hatte auch registriert, dass Marco G. bei einem Haftbesuch durch Bernhard Falk, früher Linksterrorist und heute Islamist, von der Möglichkeit gewaltsamer Gefangenenbefreiungen gesprochen habe.

Thema war am Dienstag auch eine Skizze, die Beamte bei einer Durchsuchung der Wohnung in Tannenbusch fanden. Sie soll den Wohnort von Pro-NRW-Chef Markus Beisicht zeigen, den das Quartett habe töten wollen. Dort, wo vermeintlich das Wohnhaus eingezeichnet ist, steht in arabischer Schrift: "Haus des Unglaubens". Weiterhin begleiten viele Formalanträge der Verteidigung die Dispute mit den Richtern, zuweilen durchaus von rhetorischem Schliff begleitet. Als sich einer der Verteidiger gestern auf den Gesetzgeber berief, entgegnete ihm Senatsvorsitzender Frank Schreiber trocken: "Da müssen Sie ein vertrauteres Verhältnis zum Gesetzgeber haben als ich".

Bereits in der Woche zuvor hatte eine vollverschleierte Zeugin die Geduld von Richter Schreiber geprüft. Die 41-Jährige war zum Zeitpunkt des Bombenanschlags auf dem Bonner Hauptbahnhof eine von zwei Frauen von Marco G. gewesen, mit dem sie nach islamischem Recht verheiratet war. Der Richter hatte den Prozessbeteiligten zuvor von der Angst der Frau berichtet, mehr von sich zu zeigen „als sie mit ihrer Religion vereinbaren könne“. Damit er sie anhand ihres Personalausweises identifizieren konnte, zeigte die 41-Jährige dem Richter für kurze Zeit ihr Gesicht, blieb für die übrige Zeit im Zeugenstand aber vollverschleiert. „Kein Kommentar“, so lautete ihre Antwort sodann auf die Frage, ob sie zwischen November 2012 und Januar 2013 nach islamischem Ritus mit Marco G. verheiratet gewesen sei.

Nachdem der Richter die Möglichkeit von Zwangsmaßnahmen in den Raum gestellt und der Zeugin mittels einer zehnminütigen Pause die Gelegenheit eingeräumt hatte, sich „zu sammeln“, setze diese ihren Auftritt vor Gericht damit fort, dass sie die Aufforderung missachtete, sich beim Eintreten des Gerichts zu erheben, was wiederum seitens der Angeklagten sofort mit begeisterten „Allahu akbar“-Rufen quittiert wurde. „Muslime erheben sich nicht vor anderen Leuten“, erklärte sie ihr Verhalten später. Und Salafisten gebe es eigentlich gar nicht: „Wir sind halt Muslime“, erklärte sie. Bereits zuvor hatte es im Gerichtssaal teilweise eskalierende Szenen gegeben, als die Angeklagten sich in der Einhaltung ihrer Gebetszeiten gestört fühlten. Zu den Vorwürfen gegen sie schweigen sie indes beharrlich.

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