Rekonstruktion des Geschehens Acht Zeugen und eine blaue Tasche

DÜSSELDORF · Was genau passierte am Mittag des 10. Dezember 2012 an Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs? Nach mehr als 70 Verhandlungstagen im Prozess gegen den 28-jährigen Marco René G. wegen des versuchten Bombenanschlags hat der fünfte Senat des OLG Düsseldorf die Rekonstruktion des Hergangs gezielt in den Blick genommen und dazu acht Zeugen geladen.

Einen "Durchbruch" zur Aufklärung der mutmaßlich islamistisch motivierten Tat gibt es bislang nicht. Dafür mehren sich Aussagen, die nicht recht zusammenpassen wollen. Am Dienstag trat eine 45-jährige Mitarbeiterin der Deutschen Bahn in den Zeugenstand, die an jenem Tag am Informationsschalter in der Bahnhofshalle Dienst tat und dort von einem Mann über das Auffinden der herrenlosen blauen Tasche mit dem Sprengsatz informiert wurde.

Ob es sich um den 56-jährigen Dekorateur gehandelt hatte, der dieses Zwiegespräch am Montag seinerseits als Zeuge geschildert hatte, vermochte sie nicht zu sagen. Die ganze Sache habe sie sehr mitgenommen, ein halbes Jahr lang konnte sie nicht arbeiten.

Zwei Jungs werden befragt

Eindruck werden die Ereignisse des 10. Dezember 2012 auch auf die beiden Jungen gemacht haben, die sich damals der Tasche genähert hatten. Weil die Polizei mit ihren "Ermittlungen in alle Richtungen" offenbar beim Wort genommen werden konnte, fand nach Informationen dieser Zeitung auch bei den beiden Bonnern abends eine Wohnungsdurchsuchung statt.

Am Dienstag wurde einer von ihnen befragt. Aufmerken ließ Beobachter die Aussage des heute 16-Jährigen zu einem Phantombild, mit dem kurz nach dem Bombenfund nach einem dunkelhäutigen Mann gefahndet worden war. Auf dem Phantombild, das bei der Vernehmung gefertigt worden war, habe der Mann entsprechend seiner Beschreibung aber eine hellere Hautfarbe gehabt, was auch seiner Beobachtung entsprochen habe, sagte der 16-Jährige.

In der kommenden Woche soll sein Freund befragt werden, außerdem vier Beamte der Bundespolizei, die seinerzeit vor Ort waren. Noch eine Weile nachwirken dürften unterdessen die Aussagen des 56-jährigen Dekorateurs, der Prozessbeobachtern bislang als Hauptbelastungszeuge galt. Er hatte die blaue Tasche wohl als erster entdeckt und auch eine männliche Person in ihrer Nähe wahrgenommen.

Dekorateur verbreitet Ratlosigkeit

Nachdem er den Inhalt der Tasche detailliert geschildert hatte, beharrte er auch dann noch auf seiner Beschreibung, als sämtliche Tatortfotos der Polizei ganz andere Gegenstände zeigten. Nein, das sei definitiv nicht der Inhalt der von ihm geöffneten Tasche, bekräftigte er mehrfach und verbreitete spürbar Ratlosigkeit. Die Verteidigung hatte vor seiner Vernehmung ein psychiatrisches Gutachten beantragt, doch der Senat folgte dem Antrag der Bundesanwaltschaft, dies abzulehnen.

Also fand die Befragung statt - und spielte in weiten Teilen der Verteidigung in die Hände. Sie dürfte bereits damit beschäftigt sein, die zeitlichen Angaben jenes Zeugen mit der Chronologie der Ereignisse abzugleichen, wie sie die Anklage aus dem vorhandenen Videomaterial ableitet. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.

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