Serie "100 Köpfe: Wir sind Bonn" Jörg Kohlschmidt: In seiner Naschwerkstatt

BONN · Jörg Kohlschmidt hat Betriebswirtschaft gegen Biskuit und Statistiken gegen Salzkaramellschokolade getauscht. Jetzt ist der einstige Unternehmensberater Existenzgründer: Vor 18 Monaten hat der 44-Jährige die Naschwerkstatt "Spira Mirabilis" in der Brüdergasse 22 eröffnet. Hier produziert er Kuchen, Torten und Süßes aller Art.

"Ich habe immer gerne in meinen Jobs gearbeitet. Aber ich wusste auch: Das ist nicht das, womit du alt wirst", sagt Kohlschmidt. "Ich wollte lieber aus mir selbst schöpfen." Große Affinität zum Backen hatte er noch nicht, als er zehn Jahre nach dem Studium den Entschluss fasste, Konditor zu werden. Es war eher die Idee von Backstube. "Meine Mutter ist die Tochter eines Bäckers. Aber die Backstube war schon stillgelegt, als ich selbst gucken konnte."

Kohlschmidt fasste mit 35 Jahren den Entschluss, einen völlig neuen Beruf zu ergreifen. Er hat eine Sahnetorte und einen Sandkuchen gebacken - und wusste, dass ihm das auch länger Spaß macht. Es hat dann noch ein Jahr gedauert, "das alte Leben abzumelden". Heute sagt er: "Ich bereue es nicht. Ich habe mich gefunden." Auch wenn die Arbeitswoche zurzeit sieben Tage hat.

Die "Baseler Herzkirsche" gehört zu den liebsten Törtchen von Privatkunden und Caterern. Unter glänzendem Gelee aus Kirschsaft verbirgt sich eine luftige Kirschmousse. Die Kreation "Schoko Null Grad" kann man auch gefroren essen, und den Honigüberzug der "Türkischen Walnuss" schmückt eine in Salzkaramellschokolade gehüllte Nuss. Aus allem spricht die Liebe zum Handwerk.

Für Jörg Kohlschmidt war von Anfang an klar, dass er nicht nur eine Tortenmanufaktur eröffnen, sondern selbst in der Backstube stehen will. "Ich hätte das auch rein kaufmännisch machen können." Stattdessen erlernte er das Konditorhandwerk im traditionsreichen Bonner Café Rittershaus an der Kaiserstraße.

Konditormeister Chrysanth von Sturm vermittelte ihm auch solide Handwerkstechnik wie vor 100 Jahren. "Das war ein Geschenk. Wir waren außerdem im gleichen Alter. Nach zwei Jahren habe ich die Prüfung gemacht und dann direkt den Meister."

Und danach? Wenn einer bekannt ist für raffinierte Süßspeisen, dann die Österreicher. In Wien hat Jörg Kohlschmidt in kurzer Zeit sehr viel gelernt. Es folgten Stationen in einer Patisserie und einer Bäckerei in Heidelberg. Bei der Suche nach geeigneten Geschäftsräumen kam er nach Bonn zurück.

Es sollte eine Werkstatt sein, die auch für "normale Menschen" erreichbar ist. Statt ins Industriegebiet zog er in die Fußgängerzone, in ein ehemaliges Weinhaus und Restaurant in der Brüdergasse. Dunkle Buntglasscheiben wurden gegen raumhohe Fenster ausgetauscht, sodass man von der Straße fast bis zum Backofen durchschauen kann. Für Laufkundschaft geöffnet ist das Werkstattcafé nur an den "Kuchentagen", freitags, samstags und sonntags.

Trotz Marzipanüberzug und Zuckerschrift: Kohlschmidt macht Torten, die künstlerisch gestaltet sind und zugleich schmecken sollen. "Wenn man in alte Bücher schaut und Hochzeitstorten sieht: Diese Detailverliebtheit würde heute niemand mehr bezahlen, aber das konnte man auch nicht essen."

Heute sind eher andere Sachen gefragt: Zum Beispiel das Blütenschloss von Prinzessin Lillifee für einen Kindergeburtstag oder eine Feng-Shui-Torte. Entwürfe für solche Aufträge entstehen am Rechner, zum Teil wird zusätzlich ein Styropormodell gebaut.

Auch seine Rezepte entwickelt der Konditormeister überwiegend selbst. "Geschmack, Temperatur, Statik, Optik: Man muss alles genau abstimmen", erklärte Kohlschmidt. Lange haben er und sein Mitarbeiter an den französischen Macarons getüftelt. Die bunten Minibaisers mit Füllung sind nämlich Sensibelchen. "Sie zu backen ist ein kleines Mysterium, aber jetzt haben wir den Bogen raus", sagt der 44-Jährige und spritzt geduldig Himbeerfüllung auf die Gebäckhälften.

Ohnehin herrscht in der Naschwerkstatt ein anderes Tempo als in Restaurantküchen am Herd. "Bei Hauruck würde alles kaputt gehen." Und auch die Logistik ist aufwendig: "Von allen Lebensmittelberufen braucht man den meisten Platz, am meisten Geräte und Werkzeuge, und man hat am meisten abzuspülen." Hobby bleiben da auf der Strecke. Trotz der anstrengenden Startphase sagt der Existenzgründer: "Es gibt mir mehr Kraft, als es nimmt."

"Spira Mirabilis" bedeutet übrigens "Wunderspirale". Sie steht für Kreativität, Inspiration und als Schlange auch für Verführung. "Als Konditor ist beides mein Job: kreieren und verführen."

Typisch bönnsch

Jörg Kohlschmidt über Bonn:

  • Mein Lieblingsplatz ist das Café Spitz.
  • Mich nervt, dass ich immer um den Cityring rumfahren muss.
  • Typisch bönnsch ist einfach das Flair.
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