Bezirksregierung muss entscheiden Zwei Bonner Gymnasien überfordert mit Inklusion

Bonn · Das Helmholtz- und das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Bonn wollen keine weiteren zieldifferent zu beschulenden Kinder mehr aufnehmen. Ihr Hauptgrund: Die Unterstützung durch Förderlehrer sei völlig unzureichend.

Gemeinsames Lernen: Eine behinderte Schülerin sitzt in ihrem Rollstuhl im Klassenraum einer Integrierten Gesamtschule.

Gemeinsames Lernen: Eine behinderte Schülerin sitzt in ihrem Rollstuhl im Klassenraum einer Integrierten Gesamtschule.

Foto: dpa

Kurz vor dem Start der Anmeldungen fürs kommende Schuljahr an städtischen Gymnasien ist ungewiss, ob dort überhaupt noch Inklusionsplätze vergeben werden können. Von den bislang drei städtischen Gymnasien, die seit 2015 auch Schulen für Gemeinsames Lernen (GL) sind, ist das Friedrich-Ebert-Gymnasium in der aktuellen Liste der Bezirksregierung nicht mehr aufgeführt. Der Grund: Die dortige Nachfrage sei zu gering, informierte die Verwaltung den Schulausschuss und den Stadtrat. Und die Schulkonferenzen der beiden anderen, des Helmholtz- und des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums (EMA), hätten sich dagegen ausgesprochen, auf dieser Landesliste für zieldifferent zu beschulende Jugendliche zu verbleiben.

Der Schulausschuss, der sich über Jahre mehrheitlich für GL auch an Gymnasien stark gemacht hatte, reagierte „mit Befremden“, so Anja Lamodke (Grüne) und Gieslint Grenz (SPD). Mit Mehrheit votierten Ausschuss und Rat für die Beschlussvorlage der Verwaltung, die Bezirksregierung möge die Liste Bonner GL-Schulen so belassen, also mitsamt der zwei Gymnasien (siehe „Festlegung der Bonner Schulen...“).

„Gemeinsames Lernen an Bonner Schulen werden wir bei einer Reduzierung von möglichen Plätzen nicht hinbekommen“, erläuterte Schulamtsleiter Hubert Zelmanski im Ausschuss. Ein Verzicht auf GL-Plätze an Bonner Gymnasien gehe aus Schulträgersicht angesichts des Bedarfs nicht. Laut Verwaltung haben derzeit elf neue Förderkinder Gymnasialeignung. Und Privatgymnasien nehmen laut Schulamt keine GL-Schüler. Bei den für Inklusion ausgewählten städtischen Gymnasien hätten Schulkonferenzen wiederum kein Recht, sich gegen weitere Förderkinder zu stellen. Im Juli 2018 war vor dem Verwaltungsgericht Bremen die Leiterin eines städtischen Gymnasiums mit ihrer Klage gegen Inklusion gescheitert.

Die Festlegung von Schwerpunktschulen des GL liege in der Zuständigkeit der Bezirksregierung Köln, sagt das Schulamt. „Wir gehen von einer zeitnahen Entscheidung aus.“ Die 27 Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf, die die Gymnasien schon besuchen, blieben aber auf jeden Fall.

Schulleitungen schweigen über die Gründe

Über die Gründe für das Votum der zwei Schulkonferenzen wollen die beiden Schulleitungen im laufenden Verfahren keine Auskünfte erteilen, so Lutz Hasbach vom Ernst-Moritz-Gymnasium (EMA) und Andreas Steilemann, Oberstufenkoordinator am Helmholtz- Gymnasium. Dagegen werden die Elternvertretungen auf GA-Anfrage deutlich. Die Entscheidung, keine zieldifferenten Kinder mehr aufnehmen zu wollen, sei nicht leichtfertig, sondern aufgrund der Erfahrungen seit 2015 getroffen worden, sagt Astrid Bodenschatz für die EMA-Elternvertretung. Bis heute seien viele Rahmenbedingungen nicht umgesetzt. Die Unterstützung durch Förderlehrer sei am EMA völlig unzureichend. Es sei aus ihrer Sicht unfair, Familien, die ein zieldifferent zu unterrichtendes Kind anmelden wollten, guten Gewissens ein den Bedürfnissen des Kindes angemessenes Lernumfeld vorzuspielen, so Bodenschatz. „Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Keine Schule kann zaubern.“ Schule könne nicht ohne entsprechende Mittel und personelle Ausstattung allen Kindern zu einer guten Bildung verhelfen.

Auch die Helmholtz-Schulpflegschaftsvorsitzenden Ingeborg Schwalber-Schiffmann und Marion Theisen verweisen auf eine in ihren Augen unzureichende Ausstattung. „Wir fürchten, dass unsere Schule den Bedürfnissen der Schüler mit zieldifferentem Förderbedarf mit den derzeitigen personellen und sächlichen Ressourcen nicht gerecht werden kann.“ Derzeit stünden nur 1,5 Sonderpädagogenstellen für die gesamte Schule zu Verfügung.

Und es sei nicht absehbar, dass kurz- und mittelfristig fürs Helmholtz-Gymnasium ausreichend Pädagogen und qualifizierte Fachkräfte für multiprofessionelle GL-Teams gefunden werden könnten. Auf dem Arbeitsmarkt seien kaum Sonderpädagogen und Fachkräfte verfügbar. Wenn die Landesregierung die Inklusion umsteuern und sie an den Schulen bestmöglich gestalten wolle, dann wolle die Helmholtz-Elternvertretung das für ihre Schule auch: indem nur zielgleich zu unterrichtende Kinder, also Kinder, die einen Abschluss schafften, aufgenommen werden sollten.

Im Schulausschuss sah Anatol Koch von den Linken in der derzeitigen Entwicklung jedenfalls einen Rückschritt für die Inklusion in Bonn. „Das ist so, als ob sich eine Lokomotive einfach abkoppelt und ohne Ballast allein weiterfährt.“

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