Zahlreiche Abweisungen in Frauenhäusern Zu wenige Plätze zum Schutz von Frauen in Bonn

Bonn · Zum Schutz von Frauen, die zu Hause geschlagen oder anderweitig misshandelt werden, können Frauenhäuser in Bonn insgesamt 42 Plätze anbieten. Der Bedarf ist aber viel höher, sagt Frauenhaus-Mitarbeiterin Eva Risse.

Wie viele Plätze gibt es in den beiden Frauenhäusern?

Eva Risse: Im Haus, das unser Verein trägt, haben wir seit Anfang Juli 22 Plätze. Vorher waren es 20. Davon stehen 13 für Frauen und neun für Kinder zur Verfügung. Und das Frauenhaus von Hilfe für Frauen in Not hat 20 Plätze.

Das macht 42 Plätze für ganz Bonn. Reicht das für eine Stadt mit mehr 320.000 Bewohnern?

Risse: Keineswegs. Wenn wir die Empfehlungen der seit Februar geltenden Istanbul-Konvention (siehe „Die Rechtslage“) auf Bonn umrechnen, bräuchten wir laut Europarat 85 Plätze. Jetzt müssen wir sehr viele Frauen abweisen, allein in unserem Frauenhaus im vorigen Jahr 413. Wenn alle Betten belegt sind, versuchen wir, Betroffene mit Hilfe des Infonetzes in NRW (www.frauen-info-netz.de) an andere Häuser zu vermitteln.

Ist die Lage in anderen Städten nicht ähnlich prekär?

Risse: Der Köln-Bonner Raum ist besonders schlecht ausgestattet. Die Millionenstadt Köln kann kaum mehr betroffene Frauen und Kinder unterbringen als das kleinere Bonn. Dagegen gibt es im Ruhrgebiet eine relativ hohe Platzdichte. Dorthin können wir manchmal vermitteln. Wir bräuchten nach der Istanbul-Konvention in NRW aber mindestens zweimal so viele Schutzplätze für Frauen und Kinder, nämlich zusätzlich 2500.

Was sagt die Landesregierung?

Risse: Die hat erklärt, sie wolle bis 2022 nur 50 Plätze für ganz NRW schaffen. Die Zahl ist vor dem Hintergrund, dass wir Frauenhäuser seit zehn Jahren auf den Mangel hinweisen, ein Witz. Die Landesregierung will jedoch die Anzahl der Schutzplätze nicht, wie die Istanbul-Konvention es verlangt, nach der Gesamtbevölkerung berechnen, sondern nur in Relation zur weiblichen Bevölkerung von 19 bis 65 Jahren. Danach hätte NRW die Quote erfüllt – unserer Ansicht nach eine abstruse Zählung.

Sie haben in Bonn ein drittes Frauenhaus gefordert...

Risse: Mit dieser Landesregierung liegt das Ziel in weiter Ferne. Wobei wir sehr begrüßen, dass sie das Thema in den Blick nimmt. Immerhin mussten allein 2016 in NRW 3600 Frauen mit 3800 Kinder in Frauenhäusern geschützt werden. Jedes Jahr müssen mehr Frauen wegen Überfüllung abgewiesen werden, zuletzt waren es 5888. Das schreit zum Himmel. Es gibt Gründe, warum eine Bonner Frau unter Umständen einen freien Platz in Arnsberg ablehnen wird und in der gewalttätigen Beziehung ausharrt. Etwa wegen ihres Arbeitsplatzes. Was in der Zwischenzeit passiert, wollen wir uns lieber nicht vorstellen.

2009 hatten Sie den Fall: Eine Frau, die Sie abweisen mussten, wurde danach vom Mann getötet...

Risse: Ja, wir vermuten sehr stark, dass genau diese Frau bei uns vorher angerufen hatte und wir ihr nur einen Platz weit weg von ihrem Arbeitsplatz anbieten konnten.

Wie wird das Haus finanziert?

Risse: Wir erhalten vom Land eine Basisfinanzierung von 135.000 Euro pro Jahr. Dazu kommen 2018 für Häuser wie unseres Platzpauschalen von 17 500 Euro. Von der Stadt erhalten wir dieses Jahr 82.500 Euro. Dafür sind wir der Bonner Jamaika-Koalition dankbar. Wir brauchen auch Spenden. Insgesamt können wir damit gut wirtschaften.

Keine Tagessatzfinanzierung?

Risse: Dagegen hat sich unser Verein bewusst entschieden. Wir wollen alle Frauen aufnehmen können, auch die Studentin oder die Frau ohne sicheren Aufenthaltsstatus, die beide keinen Hartz-IV-Anspruch haben. Die Frauen bezahlen bei uns nur sieben Euro Tagesmiete. Unser Anliegen an die Stadt wäre jedoch zu prüfen, ob diese 45.000 Euro, die wir über diese Mieteinnahmen bekommen, nicht noch auf den Zuschuss draufgeschlagen werden könnten. Es fiele ein großer bürokratischer Aufwand weg, und wir hätten kostenlose Schutzplätze.

Welche Frauen suchen Zuflucht? Andere als vor Jahren?

Risse: Es sind Frauen und Kinder, die von ihren Ehemännern, Partnern oder Vätern körperlich oder seelisch misshandelt werden. Für sie bieten wir einen Schutzraum, damit sie sich ein Leben ohne Gewalt aufbauen. Das gesellschaftliche Klima hat sich so gewandelt, dass Frauen leichter als früher Zuflucht bei Angehörigen finden. Bei häuslicher Gewalt sagt kaum noch jemand: Da musst du halt durch. Dafür kommen mehr Migrantinnen zu uns. Sie sind nicht häufiger betroffen als deutsche Frauen, aber ihre Familien sind meist in den Herkunftsländern weit weg.

Ist Gewalt gegen Frauen heute anders oder brutaler als früher?

Risse: Neu ist das Cybermobbing, bei dem Männer Frauen in sozialen Medien beleidigen und bedrohen. Zur Frage nach physischer Gewalt: Ja, die Frauen, die heute bei uns Zuflucht suchen, haben meist extremste Formen der Gewalt erlebt. In vielen Fällen hält sich der Mann nicht an die polizeilichen Anweisungen und Gerichtsbeschlüsse des Gewaltschutzgesetzes, das es früher noch nicht gab. Denjenigen Frauen, bei denen es nicht um Leib und Leben geht, kann das Gesetz jedoch heute helfen.

Unterstützen Sie Frauen bei der Abwägung, was zu tun ist?

Risse: Natürlich, in unserer Beratungsstelle machen wir mit den Frauen eine Gefahrenprognose. Wir versuchen abzuchecken, wie gefährdet die Frau und die Kinder sind, wenn sie zu Hause bleiben. Hält sich der Mann an polizeiliche Anweisungen und Gerichtsbeschlüsse? Wenn nicht, sollten Betroffene ins Frauenhaus kommen.

Und wenn der gewalttätige Mann vor dem Frauenhaus steht?

Risse: Die Adresse ist anonym. Sie liegt unauffällig. Die ganz cleveren Täter stehen in der Kölnstraße vor unserer Beratungsstelle im Glauben, jetzt seien sie fündig geworden. Da können sie lange warten. Wenn aber doch ein Täter am Frauenhaus auftaucht, holen wir die Polizei und bringen die Frau möglichst weiter weg in einer Einrichtung unter, wo er sie nicht findet.

Was bieten Sie im Frauenhaus?

Risse: Erst einmal sichere Unterkunft. Die Frauen können mit uns überlegen, wie sie wieder eine Perspektive ohne Gewalt entwickeln. Sie haben dafür selbst die beste Kompetenz. Wir stabilisieren auch die Kinder. Das leisten Fachkräfte auf fünf Stellen. Auf einer halben davon, die von der Landesregierung finanziert wird, vermittelt eine Mitarbeiterin neuen Wohnraum. In drei bis vier Jahren hoffen wir auf einen Umzug in ein barrierefrei ausgestattetes Haus. Damit gäbe es in Bonn erstmals Plätze für gehbehinderte Frauen.

Welche drei Wünsche haben Sie für Frauenhäuser ?

Risse: Erstens sollten weitere Plätze geschaffen werden. Zweitens würden wir uns für unsere Region etwas wie „24/7“ in Hamburg wünschen, eine zentrale Notaufnahme der Frauenhäuser inklusive Koordinierung, die rund um die Uhr geöffnet ist und die Betroffenen an die Häuser weiterverteilt. Das würde uns als einziges Frauenhaus in der Region, das auch bei Vollbelegung nachts Notaufnahmen macht, ungeheuer entlasten.

Und Ihr dritter Wunsch?

Risse: Wir kämpfen überregional seit Jahren für ein Landes- oder Bundesgesetz. Damit sollte eine einzelfallunabhängige Frauenhausfinanzierung geschaffen werden. Die Kosten für Schutz und Hilfe dürfen nicht auf die Bewohnerinnen umgelegt werden. Frauen vor Gewalt zu schützen, ist eine gesellschaftliche Pflichtaufgabe.

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