Interview mit Direktor des Museums Koenig Wolfgang Wägele: "Wir können Artenvielfalt effizient beobachten"

Bonn · Der Direktor des Museums Koenig in Bonn Professor Wolfgang Wägele hofft für die Gründung eines Biodiversitätszentrums auf den entscheidenden Schub seitens der Bundes- und Landespolitik.

Der Forschungsstandort Bonn soll mit einem Zentrum zur Beobachtung der Artenvielfalt prominenten Zuwachs bekommen. Dafür kämpft derzeit der Chef des Museums Koenig, Wolfgang Wägele.

Herr Professor Wägele, worum geht es bei dem geplanten Forschungszentrum?

Wolfgang Wägele: Die frühere Landesumweltministerin Schulze-Föcking hat vorgeschlagen, dass wir hier in Bonn ein Zentrum für Biodiversitäts-Monitoring einrichten. Biodiversität heißt Artenvielfalt und Monitoring heißt Langzeitbeobachtung. Es geht also darum, eine Einrichtung aufzubauen analog zu dem, was die Klimawissenschaftler schon haben: Ein Zentrum für die langfristige Analyse von Biodiversitätsdaten.

Was sind das für Daten, und was sagen sie aus?

Wägele: Bei uns wären das Daten zur Zahl und Häufigkeit der Arten, die man in der Landschaft beobachten kann – also Vögel, Insekten, Pflanzen, Pilze. Auf diese Weise lassen sich Trends untersuchen. Das gibt es weltweit noch nicht.

Warum ist gerade Bonn Vorreiter?

Wägele: Wir haben in Bonn in jüngster Zeit Methoden entwickelt, die effiziente Langzeitbeobachtungen möglich machen. Die zentrale Rolle dabei spielt die Entwicklung einer „Wetterstation“, die nicht das Wetter beobachtet, sondern die Arten. Hier kooperieren wir mit Forschungsinstituten, die sich mit Elektronik, Sensortechnologie und Informatik beschäftigen. Wir liefern die ökologischen Komponenten für diese Station. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium gefördert.

Wie muss man sich diese Wetterstation vorstellen?

Wägele: Die Anlagen haben mehrere Fähigkeiten: Sie registrieren, wenn Wildtiere vorbeikommen, können vorbeifliegende Vögel filmen und den Duft der sie umgebenden Pflanzen messen. Auf diese Weise wird automatisch dokumentiert, welche Pflanzen gerade Knospen gebildet haben und wie der Stand der Vegetation ist. Zusätzlich haben wir eine Art Roboter entwickelt, der das ganze Jahr über in kleinen Mengen Insekten fängt und so die Veränderung der Insektenfauna dokumentiert. Ich gehe davon aus, dass wir die Prototypen in zwei Jahren präsentieren können. Die Geräte sollen dann deutschlandweit in verschiedenen Landschaftstypen aufgestellt und die Daten per Funk übermittelt werden.

Daten, die dann in Bonn zusammenlaufen?

Wägele: Das wird mutmaßlich ein Konsortium aus mehreren Partnern werden. Die beste Rechenzentrale für derlei Aufgaben steht derzeit in Bremen, an der Konzeption sind wir beteiligt. Daten von Verbänden trägt das Bundesamt für Naturschutz zusammen. In der Datenauswertung und -analyse ist ein Institut in Leipzig führend; und wir in Bonn mit unseren Datenbanken und unserer Technologie kümmern uns um die Arteninformation. Gezielt für die Monitoringforschung wollen wir in diesem Jahr eine neue Professur schaffen, die es bislang in Deutschland nicht gibt. Jetzt gilt es, auch die Politik davon zu überzeugen, dass Bonn der richtige Standort dafür ist.

Das ist ja gerade ein besonders populäres Thema...

Wägele: Es ist sehr akut, seitdem wir wissen, dass in den vergangenen 30 Jahren 70 bis 80 Prozent der Insekten verschwunden sind. Das Erschreckende dabei ist, dass diese Verluste in Naturschutzgebieten stattfinden, was völlig unerwartet war. Umso wichtiger ist diese Art der Langzeitbeobachtung, um feststellen zu können, was die Ursachen sind, welche Arten und Landschaftsformen besonders betroffen und welche Maßnahmen ratsam sind.

Der Kampf gegen den Insektenschwund findet sich sogar im Koalitionsvertrag der Bundesregierung.

Wägele: Hier ist vor allem das Bundesforschungsministerium in der Pflicht, wo im Wesentlichen die Finanzierung für rechen- und laborintensive Forschung stattfindet.

Die EU hat jetzt drei Insektengifte verboten. Ist das aus Ihrer Sicht ausreichend?

Wägele: Wir wissen es nicht. Es hat in den vergangenen 30 Jahren keine systematische Forschung zu den Effekten landwirtschaftlicher Praktiken gegeben. Es gibt viele kleine Studien, die alle in die gleiche Richtung weisen. Aber wenn uns jemand fragt: Welchen Anteil haben diese Neonikotinoide am Insektensterben, so müssen wir sagen: Das ist nicht erforscht.

Als andere Ursache wird immer wieder die industrialisierte Form der Landwirtschaft genannt...

Wägele: Die intensive Nutzung der Flächen bis an den Waldrand heran, die Vernichtung von Hecken, die Gülle, die häufige Mahd - all das hat einen Einfluss auf die Insekten. Jedoch fehlen die Daten, um das in Zahlen auszudrücken. Zugleich können wir mit unserer Forschung auch positive Effekte nachweisen: Wenn eine grüne Autobahnbrücke gebaut wird, ist natürlich interessant, wie sie sich auf Flora und Fauna auswirkt.

Welche konkreten regionalen Beispiele für die Veränderung der Artenvielfalt gibt es?

Wägele: Leute, die älter sind als 30 Jahre, bestätigen: Im Sommer bleiben die Windschutzscheiben sauber, weil keine Insekten mehr daran kleben. Bürger erzählen, dass sie in ihren Gärten Schmetterlingsblumen pflanzen – aber die Schmetterlinge bleiben weg.

Ebenso wie die Singvögel?

Wägele: Das ist in der Alltagsbeobachtung insofern schwer zu beurteilen, als man die Menge der Singvögel nicht detektieren kann. Statistisch lässt sich indes sagen: Es gehen vor allem jene Arten zurück, die in offener Landschaft leben. Feldlerchen oder die großen Starenschwärme gibt es fast gar nicht mehr. Das Dumme ist: Wenn man jahrelang unter denselben Bedingungen lebt, gewöhnt man sich daran und man vergisst, wie es früher war.

Umweltschützer kritisieren regelmäßig auch die Baupolitik in den Großstädten und Ballungsräumen, wenn dort wieder einmal ein verwildertes Gartengrundstück bebaut und nachverdichtet wird. Wie sehen Sie das?

Wägele: Es ist aus meiner Sicht zu bevorzugen, die Bebauung in den Städten dichter zu machen als sie in die Fläche zu bringen. Denn in der Fläche geht Ackerland und damit gute Erde zur Lebensmittelproduktion verloren, und es gehen Streuobstwiesen verloren. Das sind wertvolle Habitate. Insofern ist es mir lieber, wenn in der Stadt Grünflächen bebaut werden, weil dort der Schaden deutlich geringer ist. Hinzu kommt: Das Verkehrsaufkommen durch Pendlerströme vergrößert sich nicht so stark.

Zurück zu Ihren eigenen Plänen. Es geht ja hier nicht um eine begrenzte Projektlaufzeit, sondern um eine neu zu schaffende Institution.

Wägele: Das stimmt, wir brauchen Daten, die über Jahrzehnte erhoben werden.

Inwieweit besteht hier ein Zusammenhang zu dem Neubau des Museums Koenig auf dem Campus Poppelsdorf?

Wägele: Der Neubau wird vor allem Labore für Molekulargenetik und Informatik enthalten. Wir haben schon sehr früh damit begonnen, genetische Methoden zu entwickeln, die der Dokumentation von Veränderungen in unserer Umwelt dienen. Dazu gehört eine neue Datenbank, in der genetische Besonderheiten von Arten dokumentiert sind. Wir können mit dieser Datenbank jegliche Spuren von Tieren oder Pflanzen korrekt identifizieren. Dazu reichen ein Tropfen Blut, ein Haar, eine Feder oder ein Stückchen Blatt und einige Pollen aus. In diese Datenbank, die international vernetzt ist, haben wir bereits elf Millionen Euro investiert. Ebenso sind wir in der Lage, Veränderungen des Genoms zu dokumentieren. Vor diesem Hintergrund ist der Neubau in Poppelsdorf enorm wichtig für diesen Schwerpunkt.

Aber der Neubau wird zunächst unabhängig davon gebaut, richtig?

Wägele: Ja. Der Neubau wird zunächst einmal das Zentrum für Molekulare Biodiversitätsforschung beherbergen. Die Idee dazu hatten wir schon vor 15 Jahren, als von Monitoring noch gar nicht die Rede war.

Ist denn vorstellbar, dass das Monitoring-Zentrum ebenfalls in Poppelsdorf unterkommt?

Wägele: Ich schätze, dass wir zunächst mit einer kleinen Besetzung beginnen, so dass man mit angemieteten Flächen arbeiten kann. Bei einem leistungsfähigen Ausbau wird früher oder später ein Neubau nötig. Die Idee, dafür in Poppelsdorf einen eigenen Campus zu schaffen, hat zweifellos Charme. Inwieweit das gelingt, bevor die Flächen anderweitig verplant werden, liegt in den Händen des Bundesforschungsministeriums.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie jetzt, und wie viele sollen es perspektivisch sein?

Wägele: Wir haben rund 80 fest angestellte Mitarbeiter. Mit allen Honorarkräften sind es insgesamt um die 200. Ein neu zu gründendes Zentrum dürfte etwa 50 Mitarbeiter haben.

Das wäre ein weiterer Baustein im Forschungsstandort Bonn.

Wägele: In der Tat, das würde perfekt passen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Stadt Bonn vehement und erfolgreich für die Ansiedlung des Sekretariats des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) gekämpft hat. Es soll den Schutz gefährdeter Arten verbessern – und ist insofern genau jene globale Einrichtung, die uns und unsere Daten und Technologien braucht. Wenn unser Monitoring in Deutschland funktioniert, funktioniert es auch weltweit. Insofern ist die Konstellation sehr geschickt, an einem Ort die globalen Akteure zu haben und die dazu passende Forschung. Hinzu kommt, dass die Universität Bonn Forschung für Nachhaltigkeit ausbaut, in Bonn das Bundesamt für Naturschutz, das ebenfalls Umweltdaten benötigt, die relevanten Bundesministerien, mehrere wichtige Sekretariate der Vereinten Nationen und weitere Organisationen ein für Deutschland einmaliges Umfeld bilden.

Eine letzte Frage zum Museum: Wie zufrieden sind Sie mit dem Zuspruch?

Wägele: Er ist konstant. Wir hätten gerne mehr Besucher, aber die Region gibt nicht sehr viel her. Für spektakuläre Wechselausstellungen, wie es sie in der Bundeskunsthalle gibt und die in Scharen Besucher nach Bonn locken, fehlen uns die Ressourcen. Das finanzielle Risiko liegt bei solchen Projekten allein bei uns.

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