Lesung im Pantheon Wladimir Kaminer bringt Onkel Wanja mit

Bonn · Als der alte Onkel aus Moskau in Deutschland eintrifft, macht sich Wladimir Kaminer mit ihm zu Fuß auf durchs nächtliche Berlin. Mit dieser Szene beginnt das neue Buch des Autors, aus dem er diesen Sonntag ab 20 Uhr im Pantheon liest.

Der alte Onkel aus Moskau erstmals zu Besuch in Berlin - war das eine Freude für den Neffen und gleichzeitig ein gefundenes Fressen für den Buchautoren?
Wladimir Kaminer: Ich hatte Angst, mich in den Tausenden von Geschichten zu verzetteln. Es ist so viel passiert. Die Vergangenheit wird immer größer, die Zukunft dadurch auch nicht kleiner. Die Zukunft ist zwar nebelig und unbekannt, aber nicht weniger gewichtig. Beides drückt von beiden Seiten, man hat kaum noch Platz für Gegenwart. Dieses Buch ist ein Versuch, die vergangenen Geschichten einzuordnen, Platz für Gegenwart zu schaffen und vielleicht einen Blick in die Zukunft zu gewähren. Dafür brauchte ich jemanden im Buch, der viele Fragen stellt. Diese Rolle hat mein Onkel übernommen, und die Baustellen des heutigen Berlin haben für die richtige Kulisse gesorgt.

Sie werden davon lesen, wie bei Ihrem ersten Gang durch das nächtliche Berlin einfach alles danebengeht?
Kaminer: Ich werde aus dem Buch, aber auch neue Geschichten, die noch nicht veröffentlicht sind, vorlesen. Zur Zeit beschäftigt mich das Thema Pubertät meiner Kinder sehr. Wir in der Sowjetunion hatten keine Pubertät, deswegen pubertiere ich quasi mit den Kindern mit.

Wie haben Sie selbst vor mehr als zwei Jahrzehnten Berlin beziehungsweise Deutschland gesehen?
Kaminer: Ich bin damals aus einem Land gekommen, das sich gerade auflöste, in ein Land, das wiedervereinigte Deutschland, das gerade am Anfang seiner Geschichte stand. Ich habe Deutschland als ein Land gesehen, in dem jeder Lebensentwurf Realität werden kann.

Und wie sehen Sie es heute?
Kaminer: Auch heute bleibt die Zukunft des Landes, aber auch jedes einzelnen Menschen ungewiss. Ich reise viel durch Deutschland und weiß, wie unterschiedlich das Bild dieses Landes sein kann. Am interessantesten werden die Deutschen, wenn sie sich übernehmen. Das tun sie gerade in der EU.

Dem Theaterfreund klingeln bei ihrem Buchtitel die Ohren. Hat ihr Onkel etwas mit Tschechows Wanja zu tun?
Kaminer: Mein Onkel ist ebenfalls ein Romantiker, der ständig versucht, die reale und die erträumte Welt zu vereinen.

Sie sagen: Eine wunderbare Welt gehe mit Menschen wie ihrem Onkel zu Ende?
Kaminer: Eine nicht weniger spannende Welt entsteht gleichzeitig direkt vor uns, man muss nur die Augen offen halten.

Sie werden nicht müde, den Deutschen vom gar nicht so fernen Osteuropa zu erzählen. Wie steht es hierzulande heute mit den Klischees vom "Russen"?
Kaminer: Wir haben es geschafft, die Klischees zu vervielfältigen. Es sind nicht nur Wodka und Mafia sondern auch Russendisko und meine Bücher, die Teil der deutschen Literatur geworden sind.

Haben Sie ihrem Onkel eigentlich das Buch übersetzt?
Kaminer: Nein...

Info: Karten für die Lesung im Pantheon am Bundeskanzlerplatz kosten 17, ermäßigt 13 Euro plus Vorverkaufsgebühr und sind in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen zu bekommen.

Zur Person

Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit 1990 mit seiner Familie im Berlin Stadtteil Prenzlauer Berg. "Privat ein Russe, beruflich ein deutscher Schriftsteller", ist der Erfolgsautor ("Russendisko") die meiste Zeit unterwegs mit Lesungen und Vorträgen.

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