Bombenalarm in Bonn Wasserkanone zerlegte Tasche

BONN · Norbert Lennartz ist Professor für Anglistische Literaturwissenschaft an der Universität Vechta. Doch an diesem Nachmittag beschäftigt sich der Wissenschaftler, der in Bonn zu Hause ist, nicht mit britischen oder amerikanischen Meisterwerken, sondern steht sich vor dem SWB-Service-Center am City-Ring die Beine in den Bauch.

Im Bonner Hauptbahnhof ist am Montag gegen 14 Uhr ein Sprengsatz entdeckt worden: Die Bundespolizei hat den Bahnhof evakuiert und abgesperrt.

Im Bonner Hauptbahnhof ist am Montag gegen 14 Uhr ein Sprengsatz entdeckt worden: Die Bundespolizei hat den Bahnhof evakuiert und abgesperrt.

Foto: Volker Lannert

Gegen 13.45 Uhr musste er wie Hunderte anderer Menschen - Reisende, Bahnbeschäftigte und Mitarbeiter diverser Geschäfte - den Hauptbahnhof verlassen. Kurz zuvor hatte ein aufmerksamer Bürger eine verdächtige, herrenlose, blaue Reisetasche auf dem Bahnsteig 1 entdeckt.

Die Lage scheint brenzlig. Der Bahnhof wird weiträumig abgesperrt. Selbst Busse und Bahnen müssen für anderthalb Stunden eine Zwangspause einlegen. Ein Sprengstoffexperte der Bundespolizei wird hinzugezogen, der den Koffer auf dem Bahnsteig - so weit es geht - untersucht. Ein Beamter berichtet später, die Konstruktion hätte einer Zeitbombe täuschend ähnlich gesehen. Er spricht von einer Rohrbombe, einem Zylinder, der mit Drähten und einer Art Uhr verwunden gewesen wäre. Auch wollen Zeugen einen verdächtigen Mann gesehen haben, der den Koffer abgestellt und sich dann wieder vom Bahnsteig entfernt habe.

Gegen 14.30 Uhr entscheidet sich der Fachmann zum Einsatz einer sogenannten "Wasserkanone". Mittels eines hochkonzentrierten Wasserstrahls soll die Tasche ohne das Auslösen eines elektrischen Impulses und damit eine mögliche Detonation zerstört werden. Statt einer Explosion bleibt es bei einem lauten Knall, bei dem die Tasche durch den Wasserdruck in viele kleine Teile zerlegt wird.

Inzwischen übernehmen Ermittler der Bonner Kripo das Sagen auf dem Bahnhof, hüllen sich aber über Hintergründe in Schweigen. Kollegen der Spurensicherung sammeln Teile des Koffers ein. Bereitschaftspolizisten suchen systematisch die Gleise ab, zudem hilft ein Sprengstoffspürhund. Der Vierbeiner schnüffelt auch die Bahnsteige nach möglichen weiteren Funden ab. Ein herrenloser Karton, der später auf einem Bahnsteig gefunden wirde, entpuppt sich laut Kripo als ungefährlich.

Viel zu tun bekommt die Polizei auch draußen vor dem abgesperrten Bahnhof. Um die Streifenpolizisten bilden sich regelmäßig Menschentrauben. Herbert Müller etwa, der nach dem Besuch bei seiner Tochter in Bonn mit dem Zug zurück nach München will, bekommt die Auskunft von der Polizei: "Ab nach Siegburg, weil es auch von dort ICE-Verbindungen gibt." Ulrich Berghof möchte nur nach Koblenz, bekommt aber keine Infos. "Hier ist niemand von der Bahn, der Auskunft gibt, wie es jetzt weitergeht", sagt er nach zweistündiger Wartezeit.

Auf der anderen Seite vor dem SWB-Service-Center meint Norbert Lennartz süffisant: "Wir üben hier schon mal für den Karnevalszug, da steht man ja auch stundenlang in der Kälte." Ein warmer Kaffee zwischendurch? "Zu heikel, die Sperrung des Hauptbahnhofs könnte ja gleich aufgehoben werden", meint er. Zur Schicksalsgemeinschaft am City-Ring gehören auch Franziska Böttcher aus Bremen, die in Bonn eine Freundin besucht hat, sowie Lina Bungenstock aus Rheinbach und Jenny Ferber aus Remagen. Die beiden sind vom Robert-Wetzlar-Berufskolleg eine halbe Stunde zum Hauptbahnhof gelaufen, weil nach Schulschluss die Straßenbahn nicht kam. Über Anrufe zu Hause und Handynachrichten konnten sie in Erfahrung bringen, dass es sich um einen möglichen Bombenfund handelte.

Nebenan am Schalter der Stadtwerke herrscht zu der Zeit Hochbetrieb. Helga Oebel versucht die verhinderten Reisenden so weit wie möglich zu beruhigen. "Die armen Leute sind sehr verärgert, weil die Bahn keine Informationen rausgibt, was denn los ist und wann der Hauptbahnhof wieder aufgemacht wird", so Oebel.

Eine 25-Jährige ist ratlos. Nach Hause in die Schweiz wolle sie, sagt sie. Sie hatte ihre Familie in Bonn besucht, könnte dort vielleicht auch noch eine Nacht bleiben, "aber ich weiß ja nicht, ob mein Ticket morgen noch gilt".

Während auf Gleis 3 zum ersten Mal nach Stunden wieder ein Zug den Bahnhof passiert, steht Gabi Müller vor der Absperrung und will ihr Fahrrad holen. Bevor sie am Morgen nach Köln fuhr, hatte sie es an Gleis 1 abgestellt. Jetzt wird sie von einer Polizistin unter der Absperrung durchgeleitet. In Köln war sie in den Zug gestiegen, musste in Roisdorf in die Stadtbahnlinie 18 wechseln und kam mit reichlich Verspätung in Bonn an. "Es ist zwar umständlich, aber doch richtig, kein Risiko einzugehen", lobt sie die Polizei und schwingt sich auf ihr Rad.

Die Polizei bittet Zeugen, die am Hauptbahnhof verdächtige Beobachtungen gemacht haben, sich unter der Rufnummer 0221/2290 zu melden.

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