Junge Bonner wollen die Stadt mitgestalten Was passiert mit dem Viktoriakarree?

Bonn · Bei einer Grundsatzdiskussion über Bürgerbeteiligung steht das Viktoriakarree im Vordergrund. Vor allem jüngere Bürger wollen sich mehr in die Stadtentwicklung einbringen - wenn sie denn gelassen werden.

Das geplante Einkaufszentrum im Viktoriaviertel in der Innenstadt taugt sicher als Paradebeispiel dafür, was bei einer Bürgerbeteiligung alles schiefgehen kann: Ratsbeschluss für den Verkauf der stadteigenen Grundstücke an den österreichischen Investor Signa, Empörung, Bürgerbegehren, Rücknahme des Ratsbeschlusses, Projekt auf Eis gelegt.

Und nun eine Bürgerwerkstatt: Ende offen. Da ist es durchaus legitim, ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen: Wem gehört eigentlich die Stadt? Wie können Bürger sich in ihre Gestaltung einbringen? Welche Möglichkeiten stehen ihnen dazu offen?

Antworten hat am Mittwochabend in einer interessanten Diskussion, die nicht bloß theoretisch blieb, das Bündnis „Viktoriaviertel“ gesucht. Organisiert hatten sie der Arbeitskreis studentische Kultur und Politik, der Nachbarschaftsverein Viktoriaviertel und das Libertäre Zentrum (LIZ) mit Fördergeldern der linksgerichteten Rosa Luxemburg Stiftung.

Sonderlich kontrovers besetzt war das Podium im Hörsaal 17 der Uni zwar nicht. Man vertrat in vielen Punkten eine gemeinsame Grundhaltung. Aber es muss ja nicht immer der große Dissenz sein. „Städte sehen sich im Wettkampf. Sie erkennen oft das Kleine nicht mehr, das für den Bürger zählt“, sagte Stefan Hochstadt aus dem Forschungsbereich Planen und Bauen im Strukturwandel an der Fachhochschule Dortmund. Das geschehe in Politik und Verwaltung vermutlich nicht aus bösem Willen, sondern aus dem Glauben heraus, „dass es nicht anders gehen kann“.

Nachhaltiger Mehrwert

Um diese Grundhaltung aufzubrechen, muss aus Sicht von Iris Dzudzek vom Institut der Humangeografie der Uni Frankfurt auch die Bedeutung von Eigentum diskutiert werden. Also die Frage, woher der ewige Wunsch nach Profit, Wettbewerb und einem zählbaren Mehrwert rührt. Beziehungsweise umgekehrt, warum die „nachhaltige Schaffung von Mehrwert“, beispielsweise durch öffentlichen Raum oder eine konsumfreie Zone, oft Geringschätzung erfahre.

Nicht zuletzt durch die Publikumsbeiträge gab der Abend einen Eindruck davon, worum es den zumeist jungen Zuhörinnen und Zuhörern im Kern geht. Sie wollen in Eigenverantwortung Räume gestalten, im konkreten Fall das Viktoriaviertel. „Als frustrierend empfinde ich, dass wir Betroffenen nach dem Bürgerbegehren plötzlich nicht mehr angehört wurden wie zu dem Zeitpunkt, als wir noch ordentlich Lärm gemacht haben“, sagte eine Frau im Publikum.

Die aktuelle Bürgerwerkstatt wird von einigen als „von oben aufgedrückt“ empfunden. Anwohnerin und Aktivistin Clara Arnold sieht rückblickend einen Fehler darin, dass die verschiedenen Interessengruppen gegen ein Einkaufszentrum nach dem erfolgreichen Bürgerbegehren nicht zusammengefunden haben. Eine gemeinsame Linie für eine Bürgerbeteiligung habe gefehlt. In Hamburg lief es anders.

Kritik an Shoppingmall

Architekturstudentin Lisa Marie Zander berichtete, wie es der „PlanBude Hamburg“ gelungen sei, das Esso-Gelände in Sankt Pauli ausschließlich mit bürgerlichem Antrieb zu beplanen: „Immer wieder Bilder in den Köpfen schaffen, immer wieder dicke Bretter in der Politik und im Stadtbezirk bohren.“ Das Grundstück habe ein Investor schon vor sechs Jahren bebauen wollen. Bis engagierte Bürger nach langen Verhandlungen und einer eigenen Werkstatt das Ruder übernahmen. Gerade sei man dabei, so Zander, Bindungsverträge für sozialen Wohnungsbau auszuhandeln. Die Stadt bezahlt die Organisatoren für die Bürgerbeteiligung.

Der Zug ist in Bonn wohl abgefahren. „Dieser Zwickmühle ist schwer zu entkommen“, sagte Dzudzek ins Publikum. Es sei denn, es gelänge, den Ablauf der Bürgerbeteiligung zum Politikum zu machen. Eine Jury mit vielen Beteiligten soll nach jetzigem Stand eine Empfehlung für die Politik abgeben. Lohnen würde sich ein Aufstand aus ihrer Sicht: „Eine Shoppingmall ist wirklich so etwas von 80er, da ist alles besser als das.“

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