Die WCCB-Bürgschaft Warum der Millionen-Poker bundesweite Folgen hat

BONN · Das World Conference Center Bonn (WCCB) schafft immer neue Perspektiven. Mangels Promifaktor - kein Klaus Wowereit (Flughafen Berlin), kein Kurt Beck (Nürburgring) - war der WCCB-Skandal in den bundesweiten Medien kaum konkurrenzfähig. An Schadenshöhe und krimineller Energie kann es nicht gelegen haben.

Nun schauen alle deutschen Oberbürgermeister und auch die mit den Kommunen verbandelten Geldhäuser nach Bonn: Wie berichtet, erwägt die Sparkasse die Stadt Bonn zu verklagen. Kann die Stadt ihre Millionen-Bürgschaft (aktuell rund 82 Millionen) gegenüber ihrer Sparkasse in Luft auflösen? War die Nebenabrede eine nach EU-Beihilferecht rechtswidrige Veranstaltung?

Der bundesweite Blick nach Bonn hat einen zittrigen Touch und einen triftigen Grund. Sollte OB Jürgen Nimptsch (SPD) vor Gericht siegen, wäre absehbar: Die Hürden für politische Wunschprojekte würden höher. Manches Großvorhaben, das das Gemeinwohl durchaus fördern könnte, bliebe in der Schublade - aber auch mancher Unfug, der häufig unter "Leuchtturmprojekt" firmiert. Auch Sparkassen würden bundesweit künftig zaudern, politisch gewollten Projekten mit geschönten Business-Plänen zu folgen. Denn wenn Bürgschaften nichts mehr wert sind, verhageln sie nur die Bilanz.

Das EU-Beihilferecht ist eine schwierige Rechtsmaterie. Aus dem Prozess um das Desaster am Nürburgring: Kurt Beck, über 18 Jahre Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, sitzt im Zeugenstand. Der Richter fragt ihn, ob denn die Landesbürgschaft über 485 Millionen Euro rechtlich zulässig gewesen sei. Beck meint, wenn jemand mit solch einer Frage in seiner Staatskanzlei erschienen wäre, hätte er dem gesagt: "Schreib mir erst mal auf, was das heißen soll."

Auch Bonns Ex-Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) schien etwas missverstanden zu haben. So behauptete sie zwei Tage vor der Kommunalwahl Ende August 2009 in der WDR-Lokalzeit, dass die Stadt keine Bürgschaft übernommen habe. Sie sagte: "Wenn es (das WCCB/Anm. d. Red.) scheitern sollte, wäre die Stadt nur für die Zinsen zuständig, das ist natürlich weit weniger als eine Bürgschaft".

Wie im WCCB-Prozess gegen Investor Man-Ki Kim deutlich wurde, hatte man den Begriff "Nebenabrede" gewählt, damit es keiner Genehmigung durch die Bezirksregierung bedurfte. So deutete aber auch der Stadtrat die Formulierung nicht als Bürgschaft.

Der "Fall WCCB-Bürgschaft" ist auch in anderer Hinsicht ein Präzedenzfall: Während eine Prüfungskommission der EU das Beihilfeverhalten von Rheinland-Pfalz aus eigenem Antrieb durchleuchtet, ist die Stadt Bonn selbst bestrebt, ihre Bürgschaft für rechtswidrig erklären zu lassen. Dabei sind die Stadtväter kaum von intellektueller Rechts-Neugierde getrieben, sondern von dem Motiv, sich die Millionen zu sparen. Auch wenn der Kapitaldienst für einen vergünstigten 82-Millionen-Kommunalkredit nur eine jährliche Belastung von etwa fünf Millionen bedeuten würde: Das könnte der Schubser sein, der die Stadt in den Nothaushalt stößt.

Ein anderer Grund: Nimptsch hat ein Gutachten auf dem Tisch, das ihn ermuntert, vor Gericht zu gehen. Würde er es ignorieren, könnte er ins Untreuerisiko laufen. Dass derselbe Gutachter und Professor vor Jahren der gegenteiligen Auffassung war, wonach die Nebenabrede nicht gegen das EU-Beihilferecht verstoße, ist nur eine weitere WCCB-Kapriole. Längst abgehakt ist ein EU-Notifizierungsverfahren, mit dem der OB die Sache in Brüssel klären lassen wollte. Doch das kann nur der Bund beantragen. Und der hatte, als die Griechenland-Krise losbrach, andere Sorgen.

Nach GA-Informationen hat auch die Sparkasse ihre rechtlich - auf zwei Gutachten - abgestützte Gegenposition. Auch deren Vorstand hat somit keine großen Verhandlungsspielräume.

Richter neigen in Gutachten-gegen-Gutachten-Fällen dazu, die Parteien zu einem Vergleich zu drängen. Das dürfte in diesem Fall aussichtslos sein. Der Richter könnte das Verfahren auch an ein Gericht mit spezieller Kompetenz verweisen - an den Europäischen Gerichtshof.

Die Außenwelt hat längst bemerkt: Was sich da in Bonn zusammenbraut, könnte schaurige Effekte für andere Städte und Sparkassen haben. Deshalb sind auch schon die Bezirksregierung und der Sparkassen- und Giroverband eingeschaltet. Beide drängen zu vermittelnden Verfahren - bloß kein Urteil. Sparkassensprecher Norbert Minwegen: "Wir glauben weiter an ein moderierendes Gespräch." Nach GA-Informationen lehnt die Stadt das ab und vermeidet eine offizielle Stellungnahme. Nun hat Regierungspräsidentin Gisela Walsken (Köln) die Fraktionsvorsitzenden der Ratsparteien eingeladen, damit diese Nimptsch vom Prozessweg abhalten. Der OB wiederum findet Walskens Vorgehen "ungewöhnlich".

Argusäugig beobachtet auch die Stadt Köln das Treiben. Denn (Kehrseite der Fusion von 2005) sie haftet beim Bonner Prestigeobjekt mit - über ihren 70-Prozent-Anteil an der Sparkasse KölnBonn. 30 Prozent besitzt die Stadt Bonn. Erginge ein Urteil gegen das Geldinstitut, müsste Köln etwa 57 Millionen berappen, viel weniger die Bonner. Die Stadt Bonn könnte folglich nicht "zu null" aus dem Bürgschaftstheater herausgehen, denn sie gehört sich als Prozessgegner zum Teil selbst.

Bliebe die Sparkasse auf der Millionenlast sitzen, begänne vermutlich Prozess zwei, denn das Kreditinstitut hat noch einen Pfeil im Köcher: Es könnte die Stadt Bonn auf Schadensersatz verklagen, weil ein Mitarbeiter der Stadt WCCB-Chef-Controller war. Doch diese Prüfstelle war, so das Rechnungsprüfungsamt (RPA), ein Totalausfall (siehe Millionenfalle 32, 33, 34, 35 und 36). Der Mann heißt Friedhelm Naujoks, damals Chef des Städtischen Gebäudemanagements (SGB). Er ist zusammen mit WCCB-Bauunternehmer Young-Ho Hong und zwei weiteren SGB-Mitarbeitern angeklagt. Allein dieser Anklagekomplex umfasst 29 Tateinheiten zwischen Betrug und Untreue, teilweise im besonders schweren Fall.

Der 9. Juli 2009: Das war der Tag, an dem die Stadtspitze die Zusatzvereinbarung zur Nebenabrede unterzeichnete. Es war auch der Tag, an dem der misstrauisch gewordene Stadtrat (siehe Millionenfalle 7 und 20) das RPA mit dem WCCB beauftragte. Insbesondere sollte das RPA überprüfen, ob - erstens - "die Kostensteigerungen von über 60 Millionen Euro seitens der UNCC bzw. seines Generalübernehmers (Hong von SMI Hyundai Europe/Anm. d. Red.) ausreichend plausibilisiert und zeitnah im Detail nachgewiesen wurden", und - zweitens - "ob die Stadt, vertreten durch das SGB, ein geeignetes und effektives Controlling durchgeführt und damit die Interessen der Stadt gewahrt hat".

Nach 474 Seiten, in denen aus relevanten Mails und Dokumenten zitiert wird, beantworten die RPA-Prüfer im April 2010 beide Fragen mit "nein".

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