Interview mit Medienwissenschaftlerin Caja Thimm Warum das digitale Bürgerportal die Bonner nicht erreicht

Bonn · Medienwissenschaftlerin Caja Thimm erklärt im Interview, warum vor allem Jüngere bei bonn-macht-mit.de außen vor sind.

 Caja Thimm ist Professorin für Medienwissenschaft und Intermedialität an der Universität Bonn.

Caja Thimm ist Professorin für Medienwissenschaft und Intermedialität an der Universität Bonn.

Foto: Uni Bonn

Wie war Ihr erster Eindruck von der Onlineplattform bonn-macht-mit?

Caja Thimm: Fast alle Städte engagieren sich ja heute in Sachen Bürgerbeteiligung. Verglichen mit den meisten anderen vergleichbaren Portalen im Internet finde ich das Angebot hervorragend. Der Erfolg aller Seiten steht und fällt mit der Qualität der Antworten auf Anregungen der Bürger – sowohl zeitlich wie inhaltlich. Die Reaktion bei den Mängelmeldern, bei denen Bürger etwa Schmutzecken melden, ist beispielsweise sehr schnell und ergebnisorientiert. Je höher man mit solchen Angeboten die Latte hängt, desto schwerer ist das in einer Verwaltung durchzusetzen. Gut finde ich deshalb auch, dass ein eigener Ratsausschuss sich mit Bürgerbeteiligung beschäftigt.

Obwohl durchaus Menschen die Seite besuchen, bringen sie sich aber nur zu wenigen Themen in größerer Zahl ein. Woran liegt das?

Thimm: Das Angebot selektiert durch seine Struktur bereits eine bestimmte Nutzergruppe. Die Jüngeren erreichen Sie damit überhaupt nicht. Die besuchen heute von sich aus keine Websites mehr. Und auf Facebook und Twitter ist das Portal bis auf Ausnahmen nicht präsent. Das ginge deutlich besser

Könnte man damit mehr in Bewegung bringen?

Thimm: Auf jeden Fall. Die jüngere Generation, nehmen Sie allein unsere Studierenden, organisiert sich überwiegend über Facebook und WhatsApp. Die wissen sehr gut, wie Meinungsbildung online funktioniert, aber sie tun es nicht auf so einem Portal. Ein paar Nachrichten in den sozialen Netzwerken zu neuen Entwicklungen und Angeboten würden viele interessieren. Und viel Mehrarbeit ist das nicht. Ich fürchte, das ist politisch gar nicht gewollt.

Wie meinen Sie das?

Thimm: Ich habe Oberbürgermeister Ashok Sridharan angesprochen und meine Mithilfe angeboten. Er hat mich ziemlich kühl abblitzen lassen. Ich solle das über den Kanzler der Universität mitteilen. Ich werde trotzdem im Wintersemester mal eine Usability-Studie der Seite mit meinen Studierenden durchführen.

Und inhaltlich?

Thimm: Dahinter steckt letztlich immer die Angst vor der Meinung des Volkes. Mutig wäre es, in kontroversen politischen Fragen die Meinung der Bevölkerung abzufragen. Sei es als freie Meinung oder als Onlineumfrage mit einer klar formulierten Frage. Die Angst vor den Antworten ist letztlich der Hinkefuß. Denn die politischen Entscheidungen trifft am Ende trotzdem der Rat. Und der will sich nicht durch Volkes Stimme unter Druck setzen lassen. Man wird mit Bürgerbeteiligung Entscheidungen nicht grundsätzlich aushebeln können. Das wissen auch die Bürger. Viele hält das vom Engagement ab.

Also bleibt Bürgerbeteiligung letztlich ein Feigenblatt?

Thimm: Sie ist in der repräsentativen Demokratie zumindest nicht einfach umzusetzen. Andererseits können Initiativen ja auch von den Bürgern ausgehen. Warum organisieren die nicht selbst ein Abstimmungstool im Internet? Oder bringen sich mit Onlinepetitionen ein. Natürlich könnte auch eine Kommune dafür Werkzeuge bereitstellen.

Die Seite stellt zu Themen wie Seilbahn, Sportstätten oder Viktoriakarree immerhin sehr viele Informationen zur Verfügung.

Thimm: Es ist exzellent, dass auch zunächst nicht öffentliche Inhalte einfach zur Verfügung stehen. Das nimmt den üblichen Beteiligten einen Teil ihres Wissensvorsprungs.

Andererseits verlangt es auch viel Einarbeitung.

Thimm: Die muss man von Bürgern erwarten, die sich ernsthaft bei strittigen Themen in die Diskussion einbringen wollen. Nur eine Meinung aus dem Bauch heraus zu posten, ist ja keine ernsthafte Bürgerbeteiligung.

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