Gefahr in Bonner Leitungen Viele Häuser haben noch immer ein Bleiproblem

BONN · Wasser aus der Leitung - immer verfügbar, immer genießbar. Der Durstlöscher aus dem Hahn ist eine Selbstverständlichkeit. Allerdings lauert noch in vielen Leitungen im Bonner Stadtgebiet eine gefährliche Altlast.

In Gebäuden, die vor 1973 erbaut worden sind, können sich Bleirohre in der Hausinstallation befinden, die ihre giftige Substanz an das Wasser in den Leitungen abgeben.

Das musste auch Andrea O. aus Bonn feststellen. "Blei im Wasser war für uns nie ein Thema", sagt die 33-Jährige. Sie ist junge Mutter und lebte bis vor Kurzem mit ihrem Mann in einem Altbau in Bad Godesberg. Durch Zufall fiel ihr eine Broschüre in die Hand, in der vor der Blei-Belastung des Trinkwassers gewarnt wurde.

Sie machte sich Sorgen, denn wie sie erfährt, sind vor allem Kinder im Mutterbauch sowie im Säuglings- und Kindesalter gefährdet. "Könnten auch in meinem Haus alte Bleirohre liegen?", fragte sie sich. Ein Blick auf die Rohre im Keller gab der Bonnerin zunächst keine Hinweise auf Bleileitungen. "Alle Rohre, die ich sehen konnte, waren aus Kupfer."

Die junge Frau wollte es genau wissen. Doch auch die Nachfrage bei ihrer Vermieterin war erfolglos, denn auch für sie war das Thema neu. "Die Eigentümerin wusste schlichtweg nicht, ob in dem Haus aus der Gründerzeit eventuell Bleirohre verbaut worden sind." Erst als sie eine Wasserprobe analysieren lässt, erhält sie Gewissheit.

Das Ergebnis: Der Bleigehalt in ihrem Leitungswasser liegt bei 44 Mikrogramm pro Liter, mehr als das Vierfache des zulässigen Höchstwertes. "Nach der zurzeit geltenden Trinkwasserverordnung beträgt der Blei-Grenzwert im Leitungswasser zehn Mikrogramm pro Liter", erklärt Harald Färber vom Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit am Uniklinikum Bonn. Dort hat auch die 33-Jährige ihr Wasser untersuchen lassen.

"Bonn hat noch immer ein Bleiproblem", sagt Färber. Nach wie vor bekäme das Institut viele Anfragen und Proben von den Bewohnern der Bundesstadt. "Die Testergebnisse sind stark abhängig von der Probeentnahmetechnik", sagt Färber. Um einen aussagekräftigen Bleiwert messen zu können, sei es notwendig, dass das Wasser zuvor mindestens vier Stunden in den Leitungen gestanden hat. In dieser Zeit nehme das Wasser das Blei aus den Leitungen auf. Immer wieder komme es vor, dass in den Proben der Grenzwert um ein Mehrfaches überschritten werde.

Kinder besonders gefährdet

1973 wurde die Verwendung von Trinkwasserleitungen aus Blei in Neubauten verboten. Das bedeutet: In nicht sanierten Häusern, die vor diesem Datum entstanden sind, können sich noch belastete Leitungen finden. Und alte Häuser gibt es in Bonn zu Genüge. Vor drei Jahren traf es zum Beispiel die Universität. Eine Wasserprobe ergab damals einen Bleiwert im Trinkwasser, der den damals zulässigen Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Liter um das 560-fache überstieg. Von 350 Gebäuden der Uni waren 110 betroffen.

Das städtische Verteilnetz hingegen sei heute bleifrei, sagt Werner Schui, Sprecher der Stadtwerke Bonn. Das gleiche gelte für Hausanschlussleitungen. Seit Beginn der 1960er Jahre sei das giftige Schwermetall nicht mehr verbaut worden, zuvor eingesetzte Leitungsstücke seien nachträglich ausgetauscht worden. "Auf das, was mit dem von uns gelieferten Wasser in den Privathaushalten geschieht, haben wir keinen Einfluss. Wir sensibilisieren aber seit einigen Jahren Hauseigentümer immer wieder für dieses Thema", so Schui.

Andrea O. ist durch die Testergebnisse des Wassers alarmiert und lässt bei ihrem Hausarzt sofort das Blut ihrer drei Monate alten Tochter untersuchen. "Es wurde ein erhöhter Wert von 65 Mikrogramm gemessen. Tatsächlich könnte der Wert allerdings viel höher gelegen haben", sagt sie. Blei bleibt nur kurze Zeit im Blut. Der größte Teil wird in Knochen abgelagert. "Kinder nehmen im Vergleich zum Erwachsenen mehr Blei aus der Nahrung und dem Trinkwasser auf.

Selbst Bleikonzentrationen von 10 bis 25 Mikrogramm pro Liter im Trinkwasser können die Blutbildung und die Intelligenzentwicklung vor allem vor der Geburt und während der ersten Lebensjahre beeinträchtigen", teilt das Bonner Gesundheitsamt auf Anfrage des GA mit. Auf Dauer sollten Bleileitungen in der Hausinstallation unbedingt ausgetauscht werden, rät die Behörde. Bis dahin empfiehlt das Gesundheitsamt, Wasser, das längere Zeit in den Leitungen steht, vor dem Verzehr abzulassen. Etwa fünf Anfragen von besorgten Bonnern erhält das Gesundheitsamt pro Woche.

Vermieter muss Trinkwasserverordnung einhalten

"Formaljuristisch muss ein Vermieter Bleileitungen austauschen, denn er ist verpflichtet, die Trinkwasserverordnung einzuhalten. Man kann nur hoffen, dass er dem auch anstandslos nachkommt, ansonsten muss man einen Rechtsanwalt einschalten", führt Philip Held von der Verbraucherzentrale NRW aus. Zudem sind Vermieter seit dem Jahr 2013 verpflichtet, Mieter unverzüglich über Bleileitungen im Haus zu informieren, sobald sie davon Kenntnis haben.

Andrea O. hat sich zunächst damit beholfen, Frischwasser aus Flaschen zu verwenden. Mittlerweile ist sie mit ihrer Familie in ein neues Haus gezogen. "Wir können nur hoffen, dass unsere Tochter keine gesundheitlichen Schäden davongetragen hat."

Mehr Infos bietet das Institut für Hygiene auf www.ihph.de.

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