Interview mit NRW-Innenminister Ralf Jäger Versuchter Anschlag in Bonn - "Wachsam bleiben, aber nicht furchtsam"

BONN · Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger warnt vor einer vorschnellen Suche der Täter ausschließlich im salafistischen Milieu. Mit Jäger sprach Ulrich Lüke.

Wie ernst muss man den Bombenfund auf dem Bonner Hauptbahnhof jetzt eigentlich nehmen?
Ralf Jäger: Wir nehmen ihn sehr ernst, weil die aufgefundenen Materialien zündfähig sind. Wir haben noch keine Kenntnis darüber, wie der Zündmechanismus aussah. Der ist bei der ja dringenden Entschärfung mit einem Wassergewehr durch die Bundespolizei möglicherweise zerstört worden. Das wird gerade beim Landeskriminalamt rekonstruiert. Ich kann noch nicht sagen, wie lange das dauern wird. Aber klar ist: Wir nehmen diesen Anschlagsversuch sehr ernst.

Wie erklärt sich die Diskrepanz zu den ersten vorläufigen Bewertungen, nach denen es sich um eine Attrappe gehandelt hat
Jäger: Diese vorläufige erste Bewertung hat die Bundespolizei vorgenommen. Nachdem dann der Polizeipräsident in Köln die Ermittlungen übernommen hat, kamen die Sprengstoffexperten unseres Landeskriminalamtes zu einem anderen Ergebnis. Danach war klar, es handelt sich ganz sicher nicht um eine bloße Attrappe.

Wie bewerten sie Meldungen, nach denen die Sprengkraft des Bonner Fundes vergleichbar der Bombe beim Madrider Attentat war?Jäger: Das ist alles Spekulation. Wir gehen von einer Gefährlichkeit dieser Bombe aus. Wie gefährlich im Vergleich zu anderen - das rekonstruiert das LKA gerade. Das nimmt auch noch Zeit in Anspruch, weil sozusagen die Puzzlestücke wieder zusammengefügt werden müssen. Erst dann kann eingeschätzt werden, welche Sprengkraft diese Vorrichtung gehabt hat.

Müssen die Bürger jetzt öffentliche Plätze meiden?
Jäger: Nein, das wäre genau das, was, wenn es ein terroristischer Anschlag gewesen ist, die Täter beabsichtigen. Nämlich: Furcht und Schrecken zu verbreiten. Richtig ist: Deutschland und damit Nordrhein-Westfalen steht im Fadenkreuz des Terrors, aber dies ist eine abstrakte Gefährdung, keine konkrete. Wir wissen nicht, ob tatsächlich Anschläge geplant sind. Insofern: Wir müssen wachsam bleiben, aber nicht furchtsam.

Besteht Anlass zu konkreten Warnungen etwa vor dem Besuch von Weihnachtsmärkten oder Fußballspielen?
Jäger: Nein, überhaupt nicht. Wir wissen nicht, wer der Täter ist, aus welcher extremistischen Szene er möglicherweise stammt. Es wird in alle Richtungen ermittelt. Insofern sind Spekulationen nicht angezeigt, sondern man muss jetzt in Ruhe ermitteln. Wie ernst wir die Lage nehmen, kann man daran erkennen, dass zeitweise bis zu 2000 Beamte im Einsatz waren. Das zeigt: Wir sind mit hoher Intensität daran zu versuchen, den Hintergrund zu ermitteln. Gleichwohl braucht das Ganze noch Zeit, weil keine wirklich konkreten Hinweise vorliegen.

Muss man die Täter unter Salafisten suchen?
Jäger: Das will ich nicht ausschließen, aber ganz sicher müssen wir auch in alle anderen extremistischen Phänomene hinein ermitteln. Eine Spekulation oder gar Feststellung ist sicherlich zu diesem Zeitpunkt die falsche Vorgehensweise.

Die Union wirft Ihnen vor, das Risiko der Salafisten verniedlicht zu haben. Was entgegnen Sie?
Jäger: Ich weiß nicht, welche Erkenntnisse der Unionsabgeordnete Günter Krings in seinem warmen Büro in Berlin hat, die ihn zu diesem Schluss führen. Wir ermitteln hier mit hohem Ressourceneinsatz. Das war im Bereich Salafismus auch vorher schon so. Ich empfehle Herrn Krings: Wenn man von etwas keine Ahnung hat, soll man einfach die Klappe halten.

Zur Person: Ralf Jäger, Jahrgang 1961, ist seit 2000 SPD-Abgeordneter im Landtag von NRW und seit Juli 2010 Landesinnenminister. Jäger ist seit 1983 Mitglied der SPD. Von 1996 bis 2005 war er Vorsitzender des Ortsvereins Duisburg-Meiderich und seit Januar 2000 ist er Mitglied des geschäftsführenden Unterbezirksvorstandes. Von 1989 bis 2000 war er Mitglied des Rates der Stadt Duisburg. Ralf Jäger ist verheiratet und hat drei Kinder.

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