Kommentar Versuchter Anschlag in Bonn - Im Zweifel

Die Zeiten sind schnelllebiger geworden. Das ist zunächst eine Binsenweisheit. Aber mit Folgen. Wahlergebnisse werden von der Politik kommentiert, ehe die Stimmen ausgezählt sind. Und eine wache Öffentlichkeit erwartet Gewissheiten, ehe es sie geben kann. Zum Beispiel nach Terroranschlägen. Zum Beispiel in dieser Woche in Bonn. Das kann nur schiefgehen.

Was ist passiert? Selbst diese Frage lässt sich umfassend derzeit noch nicht beantworten. Auf Bahnsteig 1 des Bonner Hauptbahnhofs wird eine herrenlose blaue Tasche gefunden. Ihr Inhalt: zündfähiges Material, jedenfalls keine Attrappe, als die der Fund von den ersten Experten bewertet wurde. Was für sich genommen schon die erste Merkwürdigkeit ist. Zwei "Salafisten" werden in Gewahrsam genommen und wieder freigelassen. Der Generalbundesanwalt sieht keinen Staatsschutz- und damit terroristischen Hintergrund. "Experten" vergleichen die Dimension des geplanten Anschlags mit der von Madrid, was allein wegen der Größe der Sprengvorrichtung erkennbar maßlos übertrieben ist. Zweite Merkwürdigkeit also: Informationswirrwarr. Das ist nicht neu, siehe NSU-Terrorskandal.

Dritte Merkwürdig- oder besser Auffälligkeit: Die erste Reihe hält sich zurück. Der Bundesinnenminister will etwas sagen und lässt es dann. Die Bundeskanzlerin schweigt, die Ministerpräsidentin des Landes NRW ebenfalls. Sie tun das wohl aus guten Gründen: Sie wissen, so ist zu vermuten, zu wenig. Dennoch bleibt die Tatsache des Fundes und bleibt die Tatsache einer Großfahndung, die an die Zeiten des RAF-Terrors erinnert.

Was wäre die Alternative? Das ist die entscheidende Frage. Es gibt keine: Die Sicherheitsbehörden tun ihre Pflicht. Nichts sonst. Sie ermitteln in alle Richtungen, vernehmen die polizeibekannten Tatverdächtigen. Man kennt schließlich die Szene, selbst die salafistische. Es nicht zu tun, wäre verantwortungslos, wäre Verharmlosung.

Und es ist gleichzeitig keine Verharmlosung, wenn alle Verantwortlichen sich davor hüten, in Panik auszubrechen, Fußballspiele zu verbieten, Weihnachtsmärkte zu schließen. Wenn es Terroristen gewesen sein sollten: Ihr Ziel ist, Angst zu verbreiten. Das haben sie erreicht. Auch ohne Übertreibung. Die Aufmerksamkeit nach Montag ist eine andere als vor Montag. Das wiederum ist gut.

Und die Medien? Die haben die Aufgabe, alles, was sie wissen oder zu wissen glauben, weiterzugeben. Ohne Dramatisierung, ohne falsche Gewissheiten. Auch sie tun damit nur ihre Pflicht. Wenn es denn nicht überall Grenzverletzungen gäbe: im Boulevard, aber auch bei den Behörden. Einen jugendlichen Tippgeber so bloßzustellen, wie es die Polizei getan hat, ist unverantwortlich. Aber alles in allem gilt: Im Zweifel arbeiten die Behörden für die Sicherheit. Und das ist gut so.

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