Gewalt gegen Kinder Uniklinik erarbeitet Leitlinie gegen Kindesmissbrauch

Bonn · Woher kommt der Bluterguss - Unfall oder Gewalt? Vor dieser Frage stehen Ärzte immer wieder. Bonner Wissenschaftler haben deshalb nun einen Leitfaden herausgegeben, der bei der Diagnose helfen soll.

 Für Ärzte und Pädagogen ist es oft schwierig zu beurteilen, ob Kinder körperlicher Gewalt von Erwachsenen ausgesetzt sind. Die Uniklinik Bonn will mit ihrer Kinderschutzleitlinie bei der Aufklärung helfen.

Für Ärzte und Pädagogen ist es oft schwierig zu beurteilen, ob Kinder körperlicher Gewalt von Erwachsenen ausgesetzt sind. Die Uniklinik Bonn will mit ihrer Kinderschutzleitlinie bei der Aufklärung helfen.

Foto: dpa

Das Kind auf dem Behandlungstisch weist regelrechte Hämatome im Bereich des Halses und der Waden auf. Sogar eine Brandwunde findet sich. Die Mutter macht "balgende Geschwister" dafür verantwortlich; zudem sei das Kleine "an ein Bügeleisen geraten". Fälle wie diesen dürfte schon so mancher Kinderarzt mit Grauen erlebt haben. Und er dürfte wohl sofort körperliche Gewalt von Erwachsenen vermutet haben. Aber könnte die Ursache für die Hämatome nicht auch in einer möglichen Blutgerinnungsstörung in der Familie des Kindes liegen? Und die Diagnose "Gewalt" würde vielleicht Unschuldige belasten?

Genau all dies erst einmal abzuklären: Dazu rät Medizinern, Pädagogen und der Jugendhilfe die erste deutschlandweite Kinderschutzleitlinie für das Gesundheitswesen, die ein Team des Zentrums für Kinderheilkunde am Universitätsklinikum Bonn gerade erarbeitet hat. Deren vorläufige Fassung ist unter www.awmf.org/leitlinien abrufbar und kann bis 30. November kommentiert werden.

Im vergangenen Jahr starben 143 Kinder in Deutschland durch Gewalt. Laut polizeilicher Kriminalstatistik 2017 wurden zudem 13 539 Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch. Tatsächlich dürfte aber die Dunkelzahl der nicht angezeigten Straftaten viel höher liegen, erläutert das Bonner Team um Jürgen Freiberg.

Klare Fingerzeige für die richtige Diagnose

Zwar ergebe sich der erste Verdacht auf Kindesmisshandlung häufig in der Arztpraxis oder im Krankenhaus. Doch Defizite bei der diagnostischen Abgrenzung von Warnhinweisen zu Unfallfolgen könnten das Risiko bergen, dass ein Verdacht nicht rechtzeitig geklärt werde. An diesem Punkt setzt die Leitlinie an, die vom Bundesministerium für Gesundheit mit mehr als einer Million Euro gefördert wird. Seit 2014 arbeitet das Bonner Team auf höchstem wissenschaftlich-medizinischem Niveau daran. Es hat dabei auch nicht-medizinische Akteure mit eingebunden. "Nur wenn alle Berufsgruppen, die täglich mit Kindern und Jugendlichen umgehen, strukturiert zusammenarbeiten, kann Kinderschutz nachhaltig wirksam sein", sagt Freiberg. Deshalb seien 71 Fachgesellschaften sowie Bundesministerien und Bundesbeauftragte beteiligt gewesen.

Ziel ist es, allen Berufsgruppen von Ärzten über Lehrer bis zu Sozialarbeitern eine größere Sicherheit im Umgang mit den verschiedenen Formen der Misshandlung, von sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung zu geben. Allein 133 Handlungsempfehlungen werden in der Leitlinie mit detaillierten Fallanalysen verbunden.

Für die Diagnose können, abhängig vom Alter der Kinder, klare Fingerzeige entnommen werden. Etwa diese: Bei einem Säugling ist jedes Hämatom auffällig. Bei einem Kind ist ein Hämatom im Bereich der Genitalien und des Pos eins zu viel. Und wenn Zigaretten, Bügeleisen, Haartrockner oder Heizgeräte als Ursachen bei Verbrennungen benannt würden, sei das meist unglaubwürdig. Jedes Kind mit misshandlungsverdächtigen Hämatomen sollte einer weitergehenden Diagnostik unterzogen werden. Und das möglichst im multi-professionellen Team, also auch in Kooperation mit dem Kinderschutz.

Jetzt erwartet das Bonner Team bis Ende November das Feedback von Interessierten. Begründete Kommentare würden (anonymisiert) im Report aufgenommen. "Wir erhoffen uns eine Wissensergänzung durch den Blickwinkel unterschiedlicher Menschen", sagt Freiberg. Das umfangreiche Papier soll Anfang des kommenden Jahres abgeschlossen sein.

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