Bonner Stadtführer im Praxistest Ungewohnte Einblicke in die Geschichte

BONN · „Bonn ist nicht Rothenburg ob der Tauber, wir haben keine geschlossene historische Altstadt mehr, und unsere Schätze liegen vielfach im Verborgenen.“ Mit diesen Worten beendete Ulrich Burger seinen Vortrag. Der 50-jährige Historiker und Politologe führte jetzt zum ersten Mal eine kleine Schar von Besuchern durch die Innenstadt.

 Einfallsreich gehen die neuen StattReisen-Führer an ihre neue Aufgabe. Ulrich Burger hat sich sogar ein kleines Straßenmodell für seinen Vortrag gebastelt.

Einfallsreich gehen die neuen StattReisen-Führer an ihre neue Aufgabe. Ulrich Burger hat sich sogar ein kleines Straßenmodell für seinen Vortrag gebastelt.

Foto: Benjamin Westhoff

Und der Schatz, den er meinte, lag nicht erst seit der Zerstörung der Altstadt im Zweiten Weltkrieg im Verborgenen, sondern bereits einige hundert Jahre länger: „9000 Münzen haben Bauarbeiter hier am Boeselagerhof in den 60er-Jahren gefunden“, wusste Burger seinen Zuhörern zu berichten. Anhand eines kleinen, selbstgebastelten Modells erläuterte er, wie es auf dem Gelände der heutigen Oper bis in die 40er-Jahre ausgesehen hatte.

Burger ist einer von fünf Absolventen der diesjährigen Qualifizierungsmaßnahme, bei der Kursleiter und StattReisen Bonn-Gründer Norbert Volpert bereits zum 42. Mal Führer für seine alternativen Stadtrundgänge ausgebildet hat. Zu den festen Bestandteilen der Kurse gehört neben den Grundlagen der Stadtgeschichte auch, einmal selber eine historische oder aktuelle Recherche durchzuführen und das Ergebnis im Rahmen einer Führung zu präsentieren.

„Die Legende, dass sich an dieser Stelle ein Schatz befinden soll, war schon im 19. Jahrhundert verbreitet. Die Familie Boeselager, die die Hofanlage, in der schon Napoleon übernachtet hatte, in den 20er-Jahren an die Stadt verkaufte, hat daher extra einen Vorbehalt in den Kaufvertrag aufnehmen lassen“, erzählte Burger weiter. Was offenbar genutzt hat, denn die Münzen gingen tatsächlich in den Besitz der Familie und sind heute wohl einige Hunderttausend Euro wert. „Nur ein einziges Mal wurden die Fundstücke im Rahmen einer Ausstellung im Opernfoyer der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wobei dann auch prompt ein Stück gestohlen wurde“, schließt Burger unter Applaus seine Bonner Vortragspremiere.

Macke-Bild auf dem Sperrmüll

Auch Burgers neue Kollegen hatten sich weitgehend unbekannter Fakten angenommen: „In der Kaiserstraße 71 wurde von einem Archäologen 1991 ein Bild August Mackes auf dem Sperrmüll gefunden“, erzählte Nadia Montefusco: Das hatte die Besitzerin bei der Entrümpelung der Mansarden nicht als solches erkannt und kurzerhand zum Müll gegeben“, so die 43-jährige Kunsthistorikerin und Wahlbonnerin. Ganz von selbst sind die fünf Teilnehmer aber nicht auf die Ideen zu ihren Recherchen gekommen; Kursleiter Volpert gibt regelmäßig Tipps, die den Probanden als Ausgangspunkt für ihre Forschungsarbeiten dienen.

„Ich mag es, wie man den Besuchern bei StattReisen die nicht ganz alltäglichen Einblicke vermittelt“, erläuterte Montefusco ihre Motivation, sich zur Stadtführerin ausbilden zu lassen, nach ihrem Vortrag. Das sahen die anderen Teilnehmer ähnlich: Neben Burger und Montefusco berichtete Ursula Köpke Interessantes über das ehemalige Denkmal auf dem Kaiserplatz, Birgit Brüggen informierte über die vergessenen Straßenbahnen im U-Bahn-Tunnel unter dem Hauptbahnhof und Philipp Lührs über die Stürmung des Alten Rathauses durch Vietnamkrieg-Gegner im Jahre 1973.

Nach der Präsentation zeigte sich auch Volpert von den Vorträgen seiner Schüler beeindruckt: „Die Ergebnisse waren so spannend, dass wir das einem größeren Kreis präsentieren wollten. Und die fünf haben das so großartig gemacht, dass ich wirklich stolz bin.“

Bei den Führungen von StattReisen erfahren die Teilnehmer neben touristischen Besonderheiten auch Geschichten aus dem Alltagsleben der jeweiligen Stadt, die mit historischen Fotos oder Anekdoten veranschaulicht werden. So eröffnen die Stadtführer ihren Gästen Einblicke in kulturelle, politische und wirtschaftliche Zusammenhänge und vermitteln auf diese Weise auch ein Bild von den historischen Entwicklungen und Brüchen der Stadt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort