Uneinigkeiten beim Sicherheitskonzept Das passiert bei herrenlosem Gepäck in Bonn

Bonn · Wie ist mit herrenlosem Gepäck umzugehen und wann sollte die Polizei direkt alarmiert werden? Polizei, Deutsche Bahn und die Stadtwerke Bonn haben unterschiedliche Strategien.

Wie gefährlich sind eine Decke, eine leere Flasche und einige Hygieneartikel? Im April lösten sie jedenfalls einen großen Polizeieinsatz am Bonner Busbahnhof aus. Der Grund: Die Gegenstände befanden sich in einem verschlossenen Rucksack, der allein auf der Bank einer Haltestelle zurückgelassen wurde. Niemand wusste, was sich im Innern verbarg - erst ein Entschärferroboter des Landeskriminalamts (LKA) konnte die Situation auflösen. Und erst am vergangenen Donnerstag sorgten zwei herrenlose Taschen in der Nähe des Bundesrechnungshofs an der Adenauerallee für einen ähnlichen Großeinsatz.

Dass herrenlose Gepäckstücke für Terroranschläge genutzt werden können, ist den Bonnern spätestens seit dem versuchten Sprengstoffanschlag am Bonner Hauptbahnhof im Dezember 2012 bewusst. Der Islamist Marco G. hatte damals eine Rohrbombe in einer Reisetasche an Gleis 1 deponiert, allerdings explodierte die Bombe nicht. Heute, im Jahr 2017, ist die Angst vor Terroranschlägen die größte Angst der Deutschen - das ermittelte zuletzt eine Umfrage der Versicherung R+V. Alleingelassenes Gepäck dürfte also auch weiterhin für Verunsicherung sorgen. Wie wird in Bonn mit solchen Situationen umgegangen? Ist es notwendig, immer die Polizei zu rufen - oder hysterisch?

"Wir haben den Eindruck, dass die Bürger ein gesundes Gespür dafür haben, wann sie den Notruf wählen und wann nicht", sagt Polizeisprecher Robert Scholten. "Wenn nämlich eine Unsicherheit bleibt, rufen sie in der Regel an - und das ist genau richtig so." In der aktuellen Sicherheitslage sei es immer angemessen, sich an die Polizei zu wenden. Vor Ort angekommen würden die Beamten zunächst versuchen, die Tasche zuzuordnen. "Je nachdem, wo wir sind, machen wir dann vielleicht eine kurze Durchsage oder fragen Zeugen, die uns etwas zum Besitzer sagen können."

"Nehmen wir die Innenstadt als Beispiel: Wenn es keine Zeugen gibt und das Gepäck an einem Ort mit vielen Menschen liegt, würden die Kollegen schon nach wenigen Minuten den Entschärfer rufen", so Scholten. Dabei sei es egal, ob es sich um eine kleine Tasche oder einen großen Koffer handele. Wie oft die Entschärfer des LKA in Bonn bisher zum Einsatz kamen, will das Landesamt zum Schutz seiner Mitarbeiter nicht mitteilen.

Bundespolizei rät zu möglichst schneller Alarmierung

Am Bonner Hauptbahnhof weist die Deutsche Bahn ihr Personal an, ein herrenloses Gepäckstück zunächst eine Weile zu beobachten. "Gibt es Hinweise - etwa Beobachtungen von Zeugen -, dass das Gepäckstück tatsächlich vergessen wurde, wird es als Fundsache behandelt und zur nächsten Fundsammelstelle gebracht", teilt ein Bahnsprecher mit. "Dort kann es vom Besitzer abgeholt werden." In allen anderen Fällen werde die Bundespolizei informiert.

Diese rät allerdings, sie sofort zu alarmieren: "Reisende oder Bahnmitarbeiter sollen auf jeden Fall die Polizei oder Bundespolizei anrufen", so Martina Dressler von der Bundespolizeiinspektion Köln. "Niemals selber anfassen, sondern uns mit einer genauen Ortsangabe anrufen, etwa: Bahnsteig 1 Block C." Wenn der Besitzer auch mit einer Durchsage nicht gefunden werden könne, werde der Bahnhof ganz oder teilweise gesperrt - für Reisende und den Zugverkehr. Dann werde entweder der Entschärferdienst der Bundespolizei alarmiert - "oder unsere Sprengstoffspürhunde, die teilweise vor Ort sind und eingesetzt werden können."

Gelassenheit bei den Stadtwerken

Während Bundespolizei und Bonner Polizei bei allen zurückgelassenen Gepäckstücken zum Notruf raten, empfehlen die Stadtwerke Bonn (SWB) ihren Fahrgästen ein anderes Vorgehen: "Das würde eher zu einer Kurzschluss- und Panikreaktion führen", sagt Sprecher Michael Henseler, "wenn man jetzt rät, dass sich Fahrgäste wegen einer Fundsache unbedingt an unsere Fahrer wenden sollen." Wer sehr unsicher sei, könne den Fahrer am nächsten Haltepunkt zwar ansprechen, "aber das sei das höchste Maß, was man machen sollte."

Die meisten Gegenstände, die in den Bussen und Bahnen der SWB liegenblieben, würden von den Fahrern ins Fundbüro gebracht. "Dass Dinge gefunden werden, die man genauer betrachten müsste, ist eine große Ausnahme", so Henseler. Jeden Tag fänden sich Dutzende Gegenstände, vom Brillenetui bis zum Schulrucksack. In diesem Jahr meldeten sich SWB-Mitarbeiter in 18 Fällen bei ihrer Leitstelle, weil sie wegen gefundener Gepäckstücke verunsichert waren. In zwei Fällen konnten die Mitarbeiter den Fund dank Zeugenaussagen selbst zuordnen. In 15 Fällen übernahm das die Polizei - die Einsätze verliefen jedoch ohne größere Störungen. Nur in einem Fall musste ein Bus evakuiert werden, um ein Gepäckstück ohne Gefahr für die Fahrgäste anzusehen.

Die SWB-Fahrer würden immer wieder zu aktuellen Themen geschult - auch zur Früherkennung von Gefahren, so Henseler. "Aber es geht keiner unserer Fahrer davon aus, dass irgendwas passiert, weil er ja primär seinen Fahrdienst macht." Die Fähigkeit zur Früherkennung hänge auch davon ab, wie viele Fahrgäste der Fahrer habe: "Ist etwa eine ganze Schulklasse dabei, hat man als Fahrer gar keine Chance zu sehen, ob hinten auf der Rückbank irgendwas liegen bleibt."

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