Inszenierte Familie Torsten Körner zeigt Politiker Willy Brandt in seinem Umfeld

BONN · Willy Brandt - das war der Regierende Bürgermeister zur Zeit des Mauerbaus, der SPD-Kanzlerkandidat der 60er Jahre, der Außenminister der ersten großen Koalition, der Bundeskanzler, der die Oder-Neiße-Linie als deutsche Ostgrenze akzeptierte, der Friedensnobelpreisträger und der wichtigste Sozialdemokrat in Deutschland - zumindest der Nachkriegszeit.

 Der Bundeskanzler mit seiner Frau Rut 1972 in ihrem Haus auf dem Bonner Venusberg.

Der Bundeskanzler mit seiner Frau Rut 1972 in ihrem Haus auf dem Bonner Venusberg.

Foto: dpa

Doch in seinem Buch "Die Familie Willy Brandt" will der Autor Torsten Körner nicht den Politiker in den Mittelpunkt stellen. "Die Familie Brandt wurde nicht von einem Bundeskanzler regiert, und sie soll hier auch nicht dazu dienen, Willy Brandt über krumme Wege durch Küche, Bad und Bett als Menschen auf die Schliche zu kommen", schreibt der Autor.

Stattdessen gehe es ihm darum, eine Familiengeschichte zu schreiben - aus Sicht der Kinder, der Ehefrau, von Freunden oder Feinden der Familie. Doch natürlich ist es auch ein politisches Buch geworden. Denn wie sagte Körner gestern Abend bei der vom Haus der Geschichte und dem Literaturhaus organisierten Vorstellung vor rund 100 Besuchern: "Politik und Privatheit gehen ineinander."

Schon als Regierender Bürgermeister von Berlin in den 50er und 60er Jahren seien Brandt und sein Familienleben inszeniert worden. "Axel Springer hat ihn medial groß gemacht", so Körner. Und dazu habe auch das Bild der glücklichen Familie gehört. Vor allem später, als Brandt mit seiner zweiten Frau Rut und den beiden jüngeren Söhnen nach Bonn gezogen war und auf dem Venusberg wohnte. Während Sohn Lars, so Körner, schnell erkannt habe, wie er aus dem inszenierten Leben ausscheiden konnte, erlebte Matthias, wie er "eingespannt" wurde.

Im Buch beschreibt Körner, wie der Bundeskanzler mit Herbert Wehner eine Fahrradtour machen soll, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die beiden wieder zueinander gefunden haben. Matthias, damals noch ein Kind, soll mit. Doch das Trio kommt nicht weit, denn Willy Brandt, ungeübt auf dem Rad, fällt von demselben, verlässt die Szenerie unter lautem Fluchen und verschwindet einfach im Garten.

"Ein aufmerksames, ein empfindsames Kind wird den doppelten familiären Riss bemerken: Die Kluft zwischen der inszenierten und der realen Familie und den widersprüchlich zerrissenen Vater, der das weite Land regiert, aber in diesem Haus herumirrt wie ein Ortsunkundiger", schreibt Körner.

Die Familie Brandts habe sich ihm "nicht von Anfang an geöffnet", sagte der Autor gestern Abend, doch das habe sich im Laufe seiner Recherchen geändert. "Das war dann ein sehr schöner Weg zur Familie." Gerade mit Matthias, der heute als Schauspieler in der Öffentlichkeit steht, habe er oft gesprochen. Als ein besonderes Geschenk bezeichnete Körner, dass er Einblick in den Nachlass von Rut Brandt nehmen konnte, obwohl der erste Sohn Peter zum 100. Geburtstag des Vaters im Dezember selbst ein Buch herausbringen wird.

Auch mit Brandts Tochter Ninja aus erster Ehe sprach Körner. Sie hatte einen Brief ihres Vaters aufbewahrt, den er ihr schrieb, als sie sieben Jahre alt war. Dass er nur noch selten zu ihr nach Norwegen komme, begründete er 1947 damit, dass er helfen müsse, "Deutschland wieder aufzubauen". Der Politiker war offenbar schon damals nicht vom Menschen zu trennen.

Torsten Körner: Die Familie Willy Brandt. S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013. 510 Seiten. 22,99 Euro

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