Kunstmuseum in Bonn Tatiana Trouvé hatte freie Hand

BONN · Es plätschert von der Decke, woanders sickert Wasser aus vollgesogenen Matratzen quer über den Fußboden, tiefe Furchen haben sich in den Putz eingefräst: Für ein Haus sind das brachiale Eingriffe, für ein Museum eigentlich unhaltbare Zustände. Das Einverständnis von Gebäudemanagement und Kunstmuseums-Intendanz aber lag vor, Tatiana Trouvé, die 45-jährige Bildhauerin aus dem italienischen Cosenza in Kalabrien mit Wohnsitz in Paris, hatte freie Hand in Bonn.

 Gesetze der Gravitation außer Kraft: Tatiana Trouvés "350 points towards infinity".

Gesetze der Gravitation außer Kraft: Tatiana Trouvés "350 points towards infinity".

Foto: Franz Fischer

Und das war gut so. Denn sie hat recht unerschrocken Beschlag von den ohnehin reizvollen und eigenwilligen Räumen des Architekten Axel Schultes genommen, hat diese ins Bizarre, Rätselhafte gewendet, kurz: das Kunstmuseum verzaubert.

Ganz anders als die "unsicheren Räume" der letztjährigen Ausstellung "Heimsuchung" mit ihrem wie ein Abenteuerspielplatz angelegten Parcours wunderlicher, emotional aufgeladener Stationen, konzentriert sich Trouvés Ausstellung "I tempi doppi" mehr oder weniger auf Grunderfahrungen mit dem Dreidimensionalen - und dessen Entzauberung. Kaum etwas ist, wie es scheint, alles muss neu gesehen, oft auch neu empfunden werden, die Beziehungen zwischen den Dingen werden neu gedeutet, ein mögliches künstlerisches Koordinatensystem aus Beuys und Kiefer, Kounellis und Arte povera neu sortiert.

Acht Räume hat sie gestaltet, für jeden der sich im Kunstmuseum auskennt, sind das acht neue skulpturale und sinnliche Erfahrungen. Die reichen von einem vermeintlich simplen Wasserspiel, bei dem es aus Tüten unter der Decke tropft, wobei das Wasser von zwei Falltüren im Boden aufgenommen wird, bis hin zu hochkomplexen Räumen mit kostbar anmutenden Glasvitrinen, die aber schnöden Kunsttransport-Kisten nachempfunden sind, und archaisch wirkenden Bronzegüssen, die aber wenig mehr als eine banale Anspielung auf antike Exponate sind.

Nichts ist, wie es scheint, nichts funktioniert wirklich, doch die Sinne lassen sich erst einmal täuschen. Schuhwerk und Schalenkoffer stellen sich als präzise überarbeiteter Bronzeguss heraus, Kupferrohre führen ins Nichts und scheinen doch eine tiefere Bedeutung zu haben; unvermittelt leuchten Glühbirnen auf; was woanders wie eine Tüte aussieht, ist eine Abformung aus Beton; die im Raum abgestellten, mehrfach geknickten Kartonagen bestehen aus kunstvoll und täuschend echt patiniertem Aluminium-Guss.

Nur die tiefen, langen Furchen in der Wand des großen weißen Raums, in die Trouvé Holzkeile getrieben hat, um die Verletzung noch deutlicher zu machen, die sind echt. Und doch wirken sie von weitem wie eine zarte Grafik aus Schnüren, die sich über den Raum gelegt hat, Boden und Wände wie ein Geschenk verzurrt. In diesem Raum, der trotz der brachialen Eingriffe seltsam entmaterialisiert anmutet, meint man hinter ein Rätsel von Tatiana Trouvé dringen zu können: "Gedanken werden zu plastischen Wesen", meint sie, offensichtlich stand hier der Gedanke einer umfassenden Raumverpackung Pate für eine Realisation, bei der dann die Wandfräse zum Einsatz kam und Verpackungsmaterial in Bronze und Aluminium nachgebaut wurde.

Trouvé, die ihre dreidimensionalen Rätsel auch schon auf den Biennalen in São Paulo und Venedig, in Paris und Zürich gezeigt hat, gibt sich im zentralen Raum des Kunstmuseums raffiniert und spielerisch zugleich: 350 herabhängende Senkblei-Stücke sind kurz vor dem Fußboden aus dem Lot geraten, die Gesetze der Schwerkraft sind hier aufgehoben. Nicht der einzige Ort bei dieser sehr sinnlichen, schönen Schau (mit einigen Abgründen), wo der Besucher ins Grübeln gerät. Tatiana Trouvés erste große Ausstellung in Deutschland reist weiter in die Kunsthalle Nürnberg.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2; bis 4. Mai. Di-So 11-18, Mi 11-21 Uhr. Eröffnung: heute, 20 Uhr

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