Bonner Zentrum für seltene Erkrankungen Tätersuche mit Joe Bausch zum Jubiläum

Bonn · Schätzugsweise 16.000 Bonner leiden an einer der rund 7000 bislang bekannten seltenen Erkrankungen. Zum fünften Geburtstag des Zentrums für seltene Erkrankungen an der Bonner Uni-Klinik forderten die verantwortlichen Mediziner deshalb nach einer deutlich besseren Finanzierung für derartige Einrichtungen.

 Freuen sich über fünf erfolgreiche Jahre des Zentrums für seltene Erkrankungen auf dem Venusberg: Professor Wolfgang Holzgreve (von links), Professor Annette Grüters-Kieslich, Moderator und Tatort-Pathologe Joe Bausch und Professor Thomas Klockgether

Freuen sich über fünf erfolgreiche Jahre des Zentrums für seltene Erkrankungen auf dem Venusberg: Professor Wolfgang Holzgreve (von links), Professor Annette Grüters-Kieslich, Moderator und Tatort-Pathologe Joe Bausch und Professor Thomas Klockgether

Foto: Wein

Spurensicherung, Rasterfahndung und eine Intervention zum Schutz des Opfers: Wer den Ärzten am Zentrum für seltene Krankheiten (ZSEB) auf dem Vernusberg zuhört, der sieht sich alsbald mit haarsträubender Ermittlungsarbeit konfrontiert. Wie in einem guten Krimi gleicht die oftmals einem Wettlauf mit der Zeit, geht es um Leben und Tod. „Aber kein Fall ist in 90 Minuten erledigt“, fasste Joe Bausch zusammen, der seit Jahren den Gerichtsmediziner im Kölner Ermittlerteam spielt. Bausch führte am Freitagnachmittag durch ein Festprogramm zum fünfjährigen Bestehen des Zentrums.

Da war zum Beispiel der Fall eines kleinen Patienten: Äußerlich ein Junge, waren bei ihm dennoch das X- und das Y-Chromosom vertauscht. Das passiert statistisch einem von 500.000 Menschen. Doch damit nicht genug: Die Gallenflüssigkeit staute sich bis zur Leber zurück, die Nebennieren waren viel zu klein und das Knochenmark geschwächt. Alles seltene Defekte, die miteinander scheinbar nichts zu tun hatten. Plötzlich verschwand das siebte Chromosom aus dem Erbgut des Kindes. Kleinwuchs, Durchfälle und Lungeninfekte waren Folgen. Mit 18 Monaten war der Kleine tot.

Beharrliche Recherche führte zu sieben anderen Betroffenen weltweit. Alle hatten dieselbe Genmutation. Die schien zunächst damit nichts zu tun zu haben, wurde nun aber als Ursache sichtbar. Und damit nicht genug: Zwei Patienten wurden im Frühstadium Stammzellen transplantiert. Sie überlebten. Damit gibt es nun nicht nur eine probate Therapie gegen dieses Leiden. Auch die Eltern des toten Jungen konnten ohne zusätzliche Sorgen ein zweites Kind bekommen, da sie nicht Träger der Mutation waren, also kein Erbleiden vorlag. Vergangenes Jahr kam das Mädchen gesund zur Welt.

„Manche Proben gehen auf der Suche nach Antworten um die ganze Welt“, sagte Pathologe Nicolas Wernert. Bei 30.000 beschriebenen Krankheiten finde man bei jeder Sektion etwas – „bis zum Messer im Rücken; und das ist keine Fiktion“. Wernert bedauerte, dass im Klinikalltag längst nicht mehr jeder verstorbene Patient seziert werde. Schließlich wachse damit kontinuierlich auch das Wissen um die seltenen Krankheiten. Auch Bausch, der selbst für 1000 Häftlinge als Hausarzt tätig ist, bedauerte die Diskrepanz aus immer mehr kriminalistischer Fernsehunterhaltung und immer weniger pathologischer Forschung.

Die Kinderärztin Annette Grüters-Kieslich, die sich an der Berliner Charité um Patienten mit seltenen Krankheiten kümmert, forderte mehr finanzielle Mittel. Die Krankenkassen müssten den Uni-Kliniken endlich den Mehraufwand erstatten. Bislang werden die – sämtlich selbst ernannten – Zentren aus Drittmitteln, EU-Geldern und Quersubventionen getragen. Dabei verharmlose der Begriff die Aufgabe. Statistisch gesehen leiden rund 16.000 Menschen in Bonn an einer der 7000 bekannten seltenen Erkrankungen. Über die Diagnose hinaus müsse ihnen eine langfristige Behandlung ermöglicht werden. Dabei würden häufig auch unbekannte genetische Zusammenhänge bekannt – mit hohem gesellschaftlichen Nutzen. Bausch war sichtlich beeindruckt. „So spannend war kein einziger Tatort in der letzten Zeit“, erklärte er unumwunden.

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