Hochinfektiöser Pilzbefall: Eltern kritisieren Gesundheitsamt Sorge um "Kinderkopfschänder"

BONN · Viele Eltern des städtischen Montessori-Kinderhauses in Tannenbusch sind in Aufruhr. In der größten Bonner Kindertagesstätte, in der 175 Kinder betreut werden, sind nach bisheriger Erkenntnis zwei Kinder an der bisher in Deutschland als weitestgehend ausgerottet geltenden Kopfpilzart Microsporum audouinii erkrankt.

Experten nennen den Pilz salopp auch "Kinderkopfschänder", weil er hoch infektiös ist und zu bleibenden Kopfhautschäden führen kann (siehe Interview unten). Es soll zudem weitere Verdachtsfälle geben. Seit Montag ist die Kita geschlossen. Und auch eine Notgruppe mit 35 Kindern berufstätiger Eltern soll ab heute dicht bleiben. Die Einrichtung wird desinfiziert und erst Ende des Monats wieder geöffnet.

Einige Mütter erheben schwere Vorwürfe gegen Mitarbeiter des städtischen Gesundheitsamtes. Die städtischen Ärzte hätten seit Anfang März von dieser Pilzerkrankung Kenntnis gehabt, behaupten sie. Mitte März seien die Eltern darüber informiert worden, es gebe eine Kopfpilzerkrankung, ohne dass der Pilztyp genannt worden sei. Dann sei angekündigt worden, dass die Köpfe der Kinder untersucht würden und die Einrichtung zwecks Desinfektion Ende März für drei Tage geschlossen werde. Doch dazu kam es nicht.

"Kopfbeschau und die Reinigungsmaßnahmen wurden abgesagt, das hat uns stutzig gemacht", sagte eine der Mütter, die ihren Namen zum Schutze ihres Kindes nicht in der Zeitung lesen will. Sie habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu erfahren, was wirklich los war. Allerdings ohne großen Erfolg.

"Bei der Stadt hat man mich für dumm verkauft und mir zwischen den Zeilen zu verstehen gegeben, ich sei hysterisch", sagte sie. Erst auf einer Informationsveranstaltung am Morgen des 27. März habe das Gesundheitsamt die Eltern offiziell über die Infektion mit dem Microsporum audouinii informiert. "Und das auch nur unzureichend", meinte eine andere Mutter, die ebenfalls anonym bleiben will.

An dem Morgen sei den etwa 30 anwesenden Eltern lediglich ein Schreiben mit einer Kurzinformation zu diesem Kopfpilzbefall ausgehändigt worden. Auch sei der Info-Brief nur auf Deutsch verfasst worden. Als die Eltern erfuhren, dass nur ein Teil der Räume desinfiziert werden sollte, war der Unmut groß, berichtete sie weiter. Später sei dann doch entschieden worden, die komplette Einrichtung zu desinfizieren und von allen Kindern eine Bürstenprobe zu nehmen.

Allerdings habe es erst am 7. April eine Info an alle Eltern geben. Die Bürstenproben seien anschließend im laufenden Kita-Betrieb genommen worden. "Damit sind sie für uns nur bedingt aussagekräftig, weil die Kinder sich ja wieder gemischt haben", klagten die Mütter.

Zudem seien die Eltern irritiert, dass die Erziehrinnen bis zur Schließung der Notgruppe Schutzhauben tragen mussten, die Kinder dagegen nicht. Die Stadt verwahrte sich gestern gegen die Vorwürfe der Mütter: "Eine Elterninformation kann erst stattfinden, wenn eine Sachlage ausreichend analysiert ist. So wurde auch in diesem Fall verfahren", teilte das Presseamt mit. Bei der Info-Veranstaltung sei versichert worden, dass die Eltern sich gegenseitig bei der Übersetzung helfen. Der Kurzinformationszettel habe zur weiteren Vervielfältigung in der Einrichtung gelegen.

Das Tragen der Hauben der Erzieherinnen sei ohne Absprache mit dem Gesundheitsamt erfolgt, hieß es aus dem Presseamt weiter. Sie waren vorgesehen für Desinfektionsmaßnahmen in der Einrichtung. Die Desinfektion der Kita erfolge derzeit durch einen externen staatlich geprüften Desinfektor.

Auf die für die Eltern ebenfalls wichtige Frage, ob angesichts der vielen kinderreichen Familien in der Kita auch die umliegenden Schulen über den Kopfpilzbefall im Montessorihaus informiert worden und welche Maßnahmen dort geplant seien, war gestern keine Antwort aus dem Stadthaus zu erhalten.

Kurz gefragt

Er gilt als ausgewiesener Experte auf dem Gebiet von Pilz-Erkrankungen: Dr. Martin Köberle (37) ist Labordirektor an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein der Technischen Universität München. Mit ihm sprach Lisa Inhoffen.

Woher kommt der Microsporum audouinii?
Martin Köberle: Dieser Kopfpilz war bis in die 1960er Jahre auch in Deutschland weit verbreitet. Nachdem er bis vor einigen Jahren als ausgerottet galt, ist er jetzt vermutlich durch Personen wieder neu eingeschleppt worden, die sich in Ländern der dritten Welt, vor allem in Afrika aufgehalten haben.

Wie wird er übertragen?
Köberle: Er wird in erster Linie von Mensch zu Mensch übertragen. Es ist ein hochinfektiöser Pilz. Deshalb sind besonders Kinder betroffen, weil sie meistens sehr engen Körperkontakt haben. Es können aber auch Sitzmöbel oder Spielsachen von den Pilzsporen befallen sein. Deshalb ist eine gute Desinfektion mit fungiziden Reinigungsmitteln sinnvoll.

Wie äußert sich der Pilzbefall?
Köberle: Es juckt und brennt stark auf dem Kopf. Die Haare brechen ab und der Haarwuchs bleibt aus, möglicherweise kommt es zu Narbenbildung auf der Kopfhaut. Nicht umsonst spricht man vom Schänder der Kinderköpfe.

Wie wird der Microsporum audouinii festgestellt ?
Köberle: Indem wir Kulturen anlegen. Allerdings braucht man für den Nachweis meistens mindestens zwei Wochen

Wie behandelt man den Pilz und wie lange dauert die Therapie?
Köberle: Es gibt gut wirkende Medikamente, die auch für Kinder geeignet sind. Eine Therapie dauert in der Regel zwei bis zu mehreren Monaten.

Wäre die Wiedereinführung einer Meldepflicht sinnvoll?
Köberle: Wir haben nach einer Epidemie in München unter anderem in Kitas vor einigen Jahren mit dem Gesundheitsamt eine freiwillige Meldepflicht vereinbart. Es ist allerdings keine lebensbedrohliche Erkrankung.

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