Häusliche Gewalt So wurde ein 41-jähriger Familienvater zum Täter

Bonn · Erfahrungsbericht aus der Täterberatung: Die Geschichte eines Mannes, der nach außen hin stets funktionierte. Zu Hause aber brachen die Aggressionen aus ihm heraus. Er zog die Notbremse und meldete sich bei der Täterberatung an.

 Häusliche Gewalt ist noch immer ein Tabuthema. Experten gehen von einer großen Dunkelziffer aus.

Häusliche Gewalt ist noch immer ein Tabuthema. Experten gehen von einer großen Dunkelziffer aus.

Foto: picture alliance / Maurizio Gamb

Es war ein schleichender Prozess, den er so gar nicht bemerkt hat. Zuerst waren da Sticheleien, Beleidigungen. Von beiden Seiten. Dann zog er am T-Shirt seiner Frau, es kam zu Schubsereien. Doch dabei blieb es nicht. Aus den vornehmlich verbalen Attacken wurde mehr. Und der 41-Jährige, der anonym bleiben möchte, schlug zu.

Einmal. Doch es reichte, um ihn aufzuwecken. Er wollte sich ändern – und bekam von seiner Bewährungshelferin, die ihm wegen einer anderen Straftat zur Seite stand, Infos über das Angebot des Arbeiter-Samariter-Bunds. „Zuerst konnte ich mit der Täterberatung gar nichts anfangen“, sagt der Mann. Doch er ging trotzdem. Freiwillig. Wohl auch, weil seine Frau gegangen wäre, wenn er nichts an sich, an seinem Verhalten verändert hätte.

Der erste Schritt: Er übernahm die Verantwortung für sich und sein Handeln. Und zwar komplett. Ohne Wenn und Aber. Doch wieso schlug er überhaupt zu? Die Ursachen liegen zum Teil in der Vergangenheit, sagt der 41-Jährige. Schon als 16-Jähriger war er alleine, erwachsene Bezugspersonen fehlten. Seine erste Frau, mit der er sieben Jahre lang verheiratet war, hat er nie geschlagen. „Verbale Gewalt kam aber vor.“ Er stürzte sich in die Arbeit, Neinsagen gab es nicht. „Ich habe immer nur gebrannt, in jeder Lage.“ Damals habe er sich selbst verloren, rekapituliert der 41-Jährige. Er habe aufgehört, über Gefühle zu sprechen, habe seine und die Bedürfnisse seines Umfelds ignoriert. „Ich habe mich selbst vernachlässigt, habe nur noch funktioniert.“ Kein Sport, kein Ausgleich, nur noch Arbeit. Hinzu kamen die drei Kinder, von denen eines bei einer Pflegefamilie lebt. Die Frau wurde depressiv, er selbst griff immer häufiger zum Alkohol. „Kommunikation gab es bei uns nicht mehr“, erzählt er.

Körperliche Signale ignoriert

Nach außen habe er funktioniert. Aggressiv aber wurde er in den eigenen vier Wänden. Nicht bei der Arbeit, nicht bei Freunden. Allerdings nahm er die Konflikte im täglichen Miteinander mit nach Hause, Distanz war nicht möglich. „Ich habe mich schnell persönlich angegriffen gefühlt und alles auf mich bezogen“. Das sei heute anders. Den Punkt, an dem die Beziehung kippte, an dem die verbale Gewalt immer weiter zunahm, „haben wir nicht mitbekommen“. Heute, nach einigen Sitzungen bei der Täterberatung, wisse er, dass man Signale wahrnehmen müsse – zum Beispiel körperliche. Dann könne man die Situationen früh genug reparieren.

„Ich renne Hin und Her und bekomme Magenkribbeln“, beschreibt der 41-Jährige. Früher habe er das ignoriert, „jetzt gehe ich und suche später das Gespräch“. Allerdings erst dann, wenn auch das Gegenüber dazu bereit ist. „Darauf muss man achten. Das habe ich früher nicht getan.“ Genauso verfahre nun auch seine Ehefrau. „Silvester haben wir dann festgestellt, dass 2018 gewaltfrei verlaufen ist, und das in jeglicher Hinsicht“, so der 41-Jährige. Soll heißen, dass es keine Schläge, keine Beleidigungen, keine massiven Streitigkeiten gegeben hat. Das sei durch die Täterberatung möglich geworden. „Ich habe gelernt, gewaltfrei zu kommunizieren, Dinge und Situationen erst mal zu beobachten, zu bewerten und erst dann zu reagieren.“ Er habe gelernt, was seine Hemmungen und seine Auslöser sind. „Mit diesem Portfolio kann ich sehr gut im Alltag reagieren.“ Einfach sei es nicht, aber eine große Chance.

Das fällt nicht nur dem Umfeld auf, das merken auch die Kinder. Zwar seien sie nie Zeugen der Auseinandersetzungen geworden. „Die Lautstärke haben sie aber mitbekommen.“ Sie hätten das Gefühl gehabt, sich auf eine Seite schlagen zu müssen. Das habe Druck erzeugt. Der ist nun weg. Die Kinder sind entspannt – genau wie ihre Eltern. So soll es auch bleiben, ist der 41-Jährige sicher. Denn: „Wenn man heute darüber nachdenkt, wie wir miteinander umgegangen sind, kann man es nicht mehr nachvollziehen.“

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