Statistik des Arbeitskreis Opferschutz Sensibilisierung für das Thema sexueller Mißbrauch wächst

Bonn · Der Arbeitskreis Opferschutz bietet eine anonyme Spurensicherung für Missbrauchsopfer an. Im Jahr 2017 sammelte der Arbeitskreis in 24 Fällen sexuellen Mißbrauchs Spuren. Die Sensibilität für das Thema wächst.

 Von links: Dr. Alexander Poretschkin (Weißer Ring), Conny Schulte (Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt), Psychologin Dr. Maria Mensching (St.-Marienhospital Bonn), Brigitta Lindemann (Gleichstellungsbeauftragte des Rhein-Sieg-Kreises) und Katja Schülke (stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bonn).

Von links: Dr. Alexander Poretschkin (Weißer Ring), Conny Schulte (Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt), Psychologin Dr. Maria Mensching (St.-Marienhospital Bonn), Brigitta Lindemann (Gleichstellungsbeauftragte des Rhein-Sieg-Kreises) und Katja Schülke (stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bonn).

Foto: Thomas Kölsch

Jede siebte Frau in Deutschland soll einigen Dunkelstudien zufolge im Laufe ihres Lebens Opfer einer Vergewaltigung geworden sein. Bei sexuellem Missbrauch liegt die Zahl voraussichtlich um ein Vielfaches höher. Doch nur wenige Betroffene ringen sich zu einer Anzeige durch, wie der Arbeitskreis Opferschutz Bonn/Rhein-Sieg am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im Institut für Rechtsmedizin betonte.

Oft aus Angst vor Repressionen, bei Gewalttaten auch aufgrund eines erlittenen Traumas, bleiben mehr als 90 Prozent der Fälle undokumentiert. Und auch wenn die Sensibilität für Missbrauch in all seinen Facetten gerade durch die Debatten nach der Silvesternacht in Köln bis hin zum #meToo-Aufschrei in den sozialen Medien durchaus gestiegen ist, ist die Dunkelziffer noch immer erschreckend hoch. Auch, weil die Politik keine landesweiten Regelungen erlässt.

Bonner Modell in 53 Städten

Seit nunmehr elf Jahren bietet der Arbeitskreis Opferschutz die „Anonyme Spurensicherung nach Sexualstraftaten“ (ASS) an, mit der gerichtsverwertbare Proben auch dann gesammelt werden können, wenn das Opfer sich noch nicht zu einer Anzeige entschieden hat. „Unser Ziel ist es, den Betroffenen vielfältige Handlungsoptionen zu geben“, erklärte Conny Schulte von der Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt. „Häufig benötigen sie erst eine psychische Stabilisierung, bevor sie überhaupt darüber nachdenken können, sich an die Polizei zu wenden. Umso wichtiger ist es dann, wenn es noch verwertbare Spuren gibt. Durch die ASS können wir das gewährleisten: Zehn Jahre lang werden die entnommenen Abstriche im Institut für Rechtsmedizin unter einer Chiffre gelagert. Doch leider wird dieser Ansatz noch immer nicht flächendeckend verfolgt.“ Dadurch würde es schon an Kleinigkeiten wie etwa den Abrechnungen der Leistungen hapern: Zwischen 200 und 300 Euro kostet eine ASS-Untersuchung, die die teilnehmenden Krankenhäuser aus eigener Tasche bezahlen müssen.

Immerhin haben in Nordrhein-Westfalen inzwischen 53 Städte und Gemeinden das Bonner Modell aufgegriffen. Eine Selbstverständlichkeit ist es aber noch nicht. Und auch die Opfer wissen oft nicht, dass es entsprechende Möglichkeiten gibt. 2017 verzeichnet der Arbeitskreis Opferschutz bislang 24 Fälle, in denen die ASS zum Einsatz kam, nach Schätzungen der Experten nur ein Bruchteil der eigentlichen Taten.

„Dabei gibt allein schon das Wissen, dass sie verwertbare Daten in der Hand haben, den Betroffenen ein befreiendes Gefühl“, sagte Alexander Poretschkin vom Weißen Ring. „Sie fühlen sich nicht länger ohnmächtig, sondern können etwas tun, wenn sie dazu bereit sind.“ Zugleich habe der gesellschaftliche Diskurs geholfen. „Je mehr die Leute darüber reden, desto weniger fühlen sich Betroffene allein und trauen sich, mit ihren Geschichten zur Polizei zu gehen“, sagte Schulte. Oder sich überhaupt zu äußern, wenn es etwa um Belästigungen im Betrieb geht. „Auf jeden Fall erhalten wir derzeit überdurchschnittlich viele Anfragen von Arbeitgebern bezüglich entsprechender Fortbildungsmaßnahmen. Die merken eben, dass etwas passieren muss.“

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