Hells Angels Bonn Rocker unter Druck

Koblenz · Gegen neun mutmaßliche Mitglieder der Hells Angels Bonn läuft ein Prozess in Koblenz. Die Staatsanwaltschaft will ihnen Bildung einer kriminellen Vereinigung nachweisen. Am Ende könnte ein Urteil mit bundesweiter Signalwirkung stehen

Der Mann, der den Polizisten Manuel K. erschoss, lächelt entspannt. „Moin“, grüßt Karl-Heinz B., als er in Handschellen den Saal 102 des Koblenzer Landgerichts betritt. Auf den gekreuzten Armen balanziert er drei Ordner voller Ermittlungsakten, in denen er später blättern wird. Der 49-Jährige – groß, schlank, die langen Haare zum Pferdeschwanz gebunden – lacht seinen Mitangeklagten zu. Einer der anderen Männer reckt die gefesselten Hände in die Höhe und formt das Victory-Zeichen. Es ist ganz so, als wollten beide sagen: Die können uns gar nichts.

Der gelernte Konditor Karl-Heinz B., langjähriges Mitglied der Hells Angels, hat schon einmal über Polizei und Justiz triumphiert. Das passt gut ins Weltbild der Rocker, die sich als „Gesetzlose“ sehen, mit dem Staat prinzipiell nicht kooperieren und ihre Angelegenheiten nach eigenen Regeln klären – notfalls mit Gewalt. Er hat den SEK-Beamten K. (42) im Jahr 2010 durch die geschlossene Haustür erschossen, als die Polizei das Wohnhaus des Hells Angels im Westerwald-Örtchen Anhausen stürmen wollte. Das Koblenzer Landgericht verurteilte B. wegen Totschlags zu fast neun Jahren Haft. Doch der Bundesgerichtshof sprach ihn später frei, weil er in vermeintlicher Notwehr gefeuert habe: Der Todesschütze war vor der Razzia von den verfeindeten Bandidos bedroht worden und wähnte sich offenbar in höchster Gefahr.

Jetzt steht er mit acht weiteren mutmaßlichen Hells Angels erneut vor einer Koblenzer Strafkammer. Die Männer im Alter zwischen 35 und 59 Jahren gehören laut Anklage alle zum Charter Bonn, das sein abgelegenes Hauptquartier in Unterelsaff bei Neustadt (Wied) hat. Ihnen werden brutale Revierkämpfe mit anderen Motorradclubs vorgeworfen; es geht um Körperverletzung, räuberische Erpressung, Geiselnahme, unerlaubtes Führen von Schusswaffen.

Im Kern dreht sich aber alles um die Frage, ob das Charter eine bewaffnete kriminelle Vereinigung gebildet hat. Gelingt es der Staatsanwaltschaft, das zu beweisen, wäre es ein Durchbruch im Kampf gegen die Rockerkriminalität in Deutschland: Das Strafmaß im Koblenzer Prozess wäre höher – und es würde leichter, ganze Hells-Angels-Charters mit Vereinsverboten zu belegen. Bisher wurden nur einzelne Mitglieder von Rockergruppen verurteilt. Symbole von einigen Rockerclubs und ihre Bedeutung

Natürlich ist nicht jeder, der zu einer Motorrad-Gang gehört, gleich ein Verbrecher. Aber aus solchen Gruppen heraus werden immer mehr schwere Straftaten begangen, wie das Bundeskriminalamt (BKA) bilanziert. Im Jahr 2014, so die aktuellsten Zahlen, richteten sich 48 Verfahren der Organisierten Kriminalität gegen Rocker (2013: 32, 2012: 26). Dabei ging es in 22 Verfahren um Hells Angels, in zehn Verfahren um Bandidos, in vier Verfahren um Angehörige des Gremium MC und in drei Verfahren um Angehörige des Mongols MC. Schwerpunkt laut BKA: Rauschgifthandel, gefolgt von Gewaltverbrechen, vier davon Straftaten gegen das Leben. Bei Kämpfen zwischen verfeindeten Gruppen gab es in den vergangenen Jahren Schwerverletzte und Tote. So brachte 2009 ein junger Hells-Angels-Unterstützer in Duisburg einen Bandido auf offener Straße mit einem Kopfschuss um.

Razzia bei den Hells Angels In Aachen versuchen Polizei und Justiz, einen Revierkampf zwischen beiden Rockergruppen zu unterbinden. Dreizehn Männer haben die Ermittler dort in Untersuchungshaft gebracht, darunter einen Bandido aus Bonn. Rund 40 Bandidos zeigten sich im Dezember 2015 demonstrativ in der Bonner Innenstadt. Die Polizei prüft, ob sie etwas mit den Schüssen zu tun haben, die am Morgen desselben Tages auf die Tür einer Bar abgefeuert wurden. In Köln wird den Hells Angels nachgesagt, dass sie noch immer in der Türsteherszene mitmischen, obwohl NRW-Innenminister Ralf Jäger das Kölner Charter 2012 verboten hatte.

Ein Vereinsverbot hat für Rocker gravierende Folgen

Dieses Verbot könnte der Grund dafür sein, dass Karl-Heinz B. und seine „Brüder“ ihr Bonn-Charter ein Jahr später im Internet für aufgelöst erklärten. Denn ein offizielles Vereinsverbot hat für Rocker gravierende Folgen: Sie dürfen dann ihre Kutten mit den aufgenähten Zeichen wie dem geflügelten Totenkopf nicht mehr tragen. Die Kutten sind Symbol ihrer vermeintlichen Macht (siehe Interview). Es soll schon deutsche Rockerbosse gegeben haben, die für eine erbeutete gegnerische Kutte 50 000 Euro ausgelobt haben.

Weil das Bonn-Charter der Hells Angels angeblich nicht mehr existiert, sind im Koblenzer Landgericht keine Kutten zu sehen – weder bei den Angeklagten, noch ihren Kumpanen in den Zuschauerreihen. Etliche Charter-Mitglieder haben nach GA-Recherchen allerdings eine Art Tarnfirma mit Sitz in Unterelsaff gegründet. Unter den Kommanditisten: Neben Karl-Heinz B. drei weitere Männer, die jetzt angeklagt sind. Außerdem der Vater des Salafisten-Predigers Pierre Vogel, der inzwischen aber wohl in eine andere Hells-Angels-Regionalgruppe gewechselt ist.

Dem Bonn-Charter wirft die Staatsanwaltschaft Straftaten zwischen Mai 2013 und April 2015 unter anderem in Neustadt, Bad Breisig, Bergisch-Gladbach, Ahrweiler und Bad Godesberg vor. In einem Fall sei das Opfer lebensgefährlich verletzt worden. Die Ermittler hatten sich mit Hochdruck auf die Spur der Hells Angels gesetzt, nach Abhörmaßnahmen und Observationen folgte im April vorigen Jahres eine Razzia in Rheinland-Pfalz und NRW mit 650 Polizisten. Das Charter Bonn, so die Ankläger, sei mitnichten aufgelöst, sondern straff organisiert weitergeführt worden.

Zur Verlesung der Anklage kam es auch am zweiten Prozesstag am Mittwoch nicht. Einer der Angeschuldigten, der Ex-Präsident (59) des Charters, konnte wegen einer schmerzhaften Erkrankung wieder nicht teilnehmen, weshalb die 1. Strafkammer die Verhandlung auf den 17. Februar vertagte.

Eine Verurteilung als kriminelle Vereinigung hält Anwalt Rüdiger Böhm für unwahrscheinlich. Der Verteidiger von Karl-Heinz B. vertritt seit rund zwanzig Jahren Mitglieder von Rockerclubs. „Die kriminelle Vereinigung ist doch nur Wunschdenken der Ermittler“, sagt der Anwalt mit den schlohweißen langen Haaren. „Ein solches Urteil gab es in Deutschland noch nie.“ Vielleicht geht es aber diesmal doch anders aus. Denn zwei Angeklagte haben das Grundgesetz der Rocker gebrochen: Sie haben, so die Staatsanwaltschaft, bei den Ermittlern ausgesagt.

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