Station für Krebspatienten und Geburtshaus in Dottendorf Robert-Janker-Klinik und Geburtshaus in direkter Nachbarschaft

Bonn · Im Herzen von Dottendorf gibt es eine ungewöhnliche Nachbarschaft. In der Robert-Janker-Klinik werden Krebspatienten behandelt, darunter unheilbar Kranke. Ein Drittel der Patienten stirbt dort. Derweil kommen gleich nebenan, im Bonner Geburtshaus, Babys auf die Welt.

Anfang und Ende menschlichen Lebens haben schon manche Metapher erzeugt. Vom Kreislauf ist dann oft die Rede, von Erneuerung und Wiederkehr oder von einem schmalen Grat. Wie schmal der Grat tatsächlich sein kann, das versinnbildlicht mitten in Dottendorf eine ungewöhnliche Nachbarschaft. Gerade einmal zehn Schritte misst hier der Abstand zwischen Beginn und Vollendung. Auf der Palliativstation der Robert-Janker-Klinik nehmen unheilbar kranke Patienten Abschied von ihren Angehörigen. In Sicht- und Hörweite kommen auf dem gleichen Grundstück im Geburtshaus Bonn Kinder auf die Welt. Ein Besuch kurz vor Weihnachten.

Es ist eine eigenartige Mischung aus würdevoller Haltung und routinierten Handgriffen, mit denen Herr P. am späten Nachmittag aus dem Zimmer mit der Nummer 108 geschoben wird. Erst am Vorabend war er auf der Palliativstation der Robert-Janker-Klinik im Schatten der Quirinuskirche aufgenommen worden. Nun, am Morgen danach, ist er an seiner unheilbaren Krankheit gestorben. Gerade erklären Katri Elina Clemens und André Wyss das inoffizielle Motto der Station erklärt, das da in schwungvollen Lettern über dem Esstisch der Gemeinschaftsküche hängt: „Das Leben in die Mitte holen“.

Der Spruch, umgeben von freundlicher und positiv stimmender Inneneinrichtung mit ihrem leuchtenden Rot, er wirft Fragen auf in einer Krankenhausstation, die ein Drittel der Patienten nicht mehr lebend verlässt. Vielleicht rührt daher auch das Missverständnis, wenn manche ihre Station mit einem Hospiz zur Sterbebegleitung verwechseln, wie die Medizinerin Clemens erwähnt. Die 53-Jährige ist Chefärztin der Klinik für Palliativmedizin innerhalb der Robert-Janker-Klinik. Bis zu neun Patienten erfahren in Einzelzimmern eine ganzheitliche, hochspezialisierte inter- und multidisziplinäre Behandlung, individuell auf den Patienten abgestimmt.

Zwei Mal wurde auf der Station schon geheiratet

Wie verändert dieses Wissen die medizinische Arbeit? „Man muss bereit sein zuzuhören, Trauer und Leid zu teilen und das Schicksal individuell zu begleiten. Das lässt einen nicht kalt“, sagt die gebürtige Finnin, die seit 1983 in Deutschland lebt und in Bonn studierte. Eine wesentliche Rolle komme den Angehörigen zu, die die Diagnose in dem selben Maße trifft. Wenn junge Menschen sterben, leben meist noch die Eltern. „Sie zu begleiten, ist oft noch schwerer als die Behandlung der Patienten selbst.“ Inzwischen hat Antje ten Hoevel auf dem Stationsflur Position bezogen. Zwei Mal im Monat kommt die 51-Jährige mit ihrer Böhmischen Wanderharfe in die Janker- Klinik und bringt ihre Musik buchstäblich ans Krankenbett.

André Florin Wyss stammt aus der Schweiz und arbeitet als Evangelischer Seelsorger im Haus. Er stellt optisch das dar, was man gemeinhin als „Mann wie ein Baum“ umschreibt. Mit einer Dose Schokolade besucht er die Neuankömmlinge im Haus. Auf diese Weise entstehe Vertrauen, auf dem Gespräche und ein Bild gedeihen, erklärt er. „Denn die Menschen möchten auch jemandem ihre Lebensgeschichte erzählen. Bei uns können sie das in einem geschützten Rahmen tun“, sagt Wyss. Jahr für Jahr kocht der 42-Jährige zu Weihnachten in der großen, freundlich wirkenden Gemeinschaftsküche für alle, die sich an Heiligabend auf der Station befinden – Personal, Patienten, Angehörige.

„Meine Wahrnehmung ist die, dass Weihnachten hier mit besonderer Freude begangen wird, und es eigentlich viel entspannter zugeht als es oftmals in vielen Familien der Fall ist“, sagt Wyss. Auch Karnevals- und Geburtstagsfeiern mit DJ sind hier schon über die Bühne gegangen, und zwei Mal wurde hier schon geheiratet. „Frau Dr. Clemens ist da sehr innovativ, wir können hier sehr gut improvisieren“, sagt Wyss schmunzelnd. „Ob Sie es glauben oder nicht: Hier wird sehr viel und schallend gelacht“, ergänzt die Ärztin. Ob da zuweilen Hoffnung aufkommt? „Mit diesem Wort bin ich vorsichtig“, sagt Wyss. „Hier kommen sehr viele Patienten mit ganz großen Hoffnungen an, denen nicht bewusst ist, wie schwer es um sie steht.“ Beispielsweise, wenn sich verklausulierte Diagnosen mit einem maximalen Therapiewunsch der Patienten mischen.

Hier in Dottendorf schließlich muss ihnen die Hoffnung auf Heilung meist genommen werden. Sie in diesem Übergang aufzufangen, wenn der letzte Strohhalm Hoffnung schwindet, und sie den letzten Weg annehmen, sei eine wichtige Aufgabe, sagt André Wyss. Katri Clemens ergänzt: „Die Sterbephase ist verhältnismäßig kurz. Wir wollen ermöglichen, dass die Patienten bis dahin noch möglichst intensiv am Leben teilnehmen können, egal wie lang dieses Leben noch ist.“ Das schönste Kompliment habe der Klinik ein Patient mit einem Eintrag ins Gästebuch gemacht: Beim nächsten Mal wolle er wieder hier sterben. Es gab auch schon einige Menschen – auch dies so eine merkwürdige Verflechtung –, die hier in just jenem Haus starben, in dem sie einst geboren wurden. Als das Gebäude nämlich noch die Geburtsstation des Marienhospitals beherbergte.

Vielfach nutzten die Patienten die Zeit des Abschieds, um ungeklärte Verletzungen oder unbewältigte Baustellen des Lebens aufzuarbeiten. Die Mauern, die Menschen errichten haben, reichten nicht bis in den Himmel, zitiert Wyss einen orthodoxen Abt. „Und hier tanzen wir schon auf der Mauer“, sagt der Seelsorger. Mascha Kaléko sagte: Den eigenen Tod stirbt man nur; mit dem Tod der anderen muss man leben.

Inwieweit es ihm gelingt, Trost zu spenden, mag Wyss nicht selbst beurteilen. „Wir versuchen, dem Patienten so viele positive Gefühle und Gedanken wie möglich auf den Weg zu geben.“ Zum Beispiel, dass man jemandem wünscht, für jede vergossene Träne eine positive Erinnerung an den Patienten zu haben. „Und sich vor Augen zu halten, dass die Tränen nur da sind, wo die Liebe war.“

Ornamente, Stuck, Parkettboden und Pastellfarben begrüßen den Besucher, sobald der die Wendeltreppe im Turm der Burg Dottendorf hinter sich gelassen hat. Und ihn begrüßt Monika Brühl, die Leiterin des Geburtshauses Bonn, das hier seit 2010 kleinen Menschen auf die Welt hilft. „Atme, meine Liebe“, steht in einer Kalligraphie über einem Bett.

111 Kinder wurden hier in diesem Jahr geboren, das bislang letzte am 20. Dezember um 11.25 Uhr. Ein Mädchen, wie die schwarze Schiefertafel links neben dem Eingang verrät.„Als Hebamme bin ich dort, wo das Leben anfängt, und wo alle Menschen ringsum von einer positiven Hoffnung getragen werden“, sagt Monika Brühl. Ihre fachliche Überzeugung fasst die 68-Jährige in wenigen Sätzen zusammen: Seit Menschengedenken bringe ein neugeborenes Kind stets ein Stück Hoffnung auf ein heileres Leben mit sich. Damit verbunden sei, dass das Leben eines Kindes schon während der Schwangerschaft so beginnen kann, dass dieses Kind so unverletzt und ungestört durch die Kindheit kommt, dass es sich gut entwickeln kann. Durchaus bewusst wählte Brühl den Weg in die außerklinische Geburtshilfe und fand in den 1980er Jahren zur Geburtshausbewegung. Schließlich gründete sie selbst den Verein für Geburt in Würde und Menschlichkeit Doula. Sein Ziel: Die Gründung eines Geburtshauses und Zentrums für Primärgesundheit. Im Jahr 2000 war es so weit.

Die natürliche Geburt als spirituelle Erfahrung

Bereits weit vor der Geburt während der Schwangerschaft sorgen sieben Hebammen, von denen drei das Geburtshaus mitgegründet haben, für individuelle Betreuung, ihre Klientel ist breit gestreut. Brühl: „Es kommen die, die bei der Geburt Selbstbestimmung, Ungestörtheit und Natürlichkeit wollen.“ Ohnehin ist Natürlichkeit ein zentrales Thema der Hebamme. Dass Frauen ihre Kinder zu Hause unter Zuhilfenahme einer Hebamme zur Welt brachten, sei bis Mitte der 50er Jahre normal gewesen. „Frauen können Kinder gebären – selbst wenn kein Fachpersonal im Umkreis von 100 Kilometern verfügbar ist“, sagt die Mutter eines Sohnes. Die Schulmedizin habe dieses Urvertrauen in die natürliche Kraft teilweise überlagert, teilweise erschüttert.

Gewiss halte auch das Geburtshaus medizinische Standards vor. Wehenfördernde Medikamente, Schmerzmittel, PDA und der Rest des anästhesistischen Werkzeugkastens würden allerdings nicht routinegemäß eingesetzt. Auch das hat mit der Überzeugung zu tun, dass die reine, natürliche Geburt mehr positive Lebensenergie für die kommenden 80 oder 90 Jahre vermittelt als jedes pharmazeutische Produkt. „Unsere Gesellschaft hat das Vertrauen in die Gebärfähigkeit der Frauen verloren. Wir meinen, wir müssten es kontrollieren oder gar therapieren. Dabei ist die Menschheit nicht in den städtischen Unikliniken geboren worden, sondern in Höhle und Steppe“, sagt die Hebamme. Die Wandlung von Leid, großer Schmerzerfahrung und Erschöpfung in Glück, Erleichterung und Freude, die eine natürliche Geburt erfahrbar macht, sei ein tiefes spirituelles Erlebnis. „Dafür sitzen buddhistischen Mönche teilweise 50 Jahre lang auf dem Kissen“, sagt die Gründerin und schlägt einen Bogen zur Weihnachtsgeschichte.

Schließlich werde die bei jeder Geburt, jenem Augenblick voller Empfindsamkeit, aufs Neue erzählt: „Die Andacht der Eltern und der Hirten vor dem Kind verdient jedes Neugeborene. So entsteht die Liebe, die ein Leben lang anhält.“ Aber, ergänzt Monika Brühl und macht eine kurze Pause: Man muss die Andacht auch zulassen.“

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