WCCB - Die Millionenfalle, Teil 64 Risiko-Monopoly

BONN · Alle haben sich geirrt. Durchschnittliche Optimisten ebenso wie durchschnittliche Skeptiker. Das World Conference Center Bonn (WCCB), "die größte Ruine der Republik", so der "Spiegel" in seiner neuen Ausgabe, ist keine lauwarme Angelegenheit.

 Besuch auf der Langzeit-Baustelle: Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch begrüßt den Wachdienst am WCCB.

Besuch auf der Langzeit-Baustelle: Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch begrüßt den Wachdienst am WCCB.

Foto: Volker Lannert

Dass auch fast zwei Jahre nach dem öffentlichen WCCB-Zusammenbruch nur Verschönerungsarbeiten nahe des Bauzauns stattfinden, hatten im Spätsommer 2009 weder Optimisten noch Skeptiker für möglich gehalten. Eine Bestandsaufnahme.

  • Heimfall kontra Zwangsversteigerung: Auch rund sieben Millionen Euro Beraterkosten haben Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) keine WCCB-Zukunftslösung beschert, die im Rat mehrheitsfähig war.Ob die Berater es nicht besser konnten oder durften ( siehe Millionenfalle 50), ist offen. Auf Druck von CDU/Grüne wechselte Nimptsch vor zwei Monaten die Pferde. Nun verhandelt der Bonner Insolvenzrechtler Johannes Gather mit WCCB-Insolvenzverwalter Christopher Seagon. Strategie der Stadt: Weiterbau und Rechtsfragen entkoppeln.

Bonn will lieber heute als morgen die Baukräne rotieren sehen, aber nichts ist schwieriger als das. Der größte Stolperstein heißt weiter Arazim, eine Investmentfirma aus Zypern (siehe Millionenfallen 37, 51, 57). Der von "Investor" Man-Ki Kim leichtfertig zugelassene Grundbucheintrag zugunsten Arazims bleibt der Kasus knaxus - neben der verständlichen Forderung Seagons, für die Gläubiger möglichst viel Geld herauszuschlagen, und der verständlichen Haltung Bonns, das Millionengrab endlich preisgünstig zu verschließen und für den sogenannten Heimfall (Rückübertragung von Grundstück samt Aufbauten an die Stadt) möglichst wenig an Seagon zu bezahlen. Das Patt ist jedoch nicht kostenneutral: Rund 19 000 Euro kostet seit September 2009 der Baustillstand. Pro Tag.

Um Seagons Verhandlungsposition zu schwächen, haben CDU/Grüne die Zwangsversteigerung als Option auf das WCCB-Schachbrett geworfen. Diese könnte die Sparkasse KölnBonn, mit 104,3 Millionen Euro größter Gläubiger Seagons, aus eigenem Recht beantragen. Das hat sie bereits getan, aber noch nicht in letzter Konsequenz durchgezogen.

Nun will Bonn der Sparkasse die WCCB-Grundschuld samt Zinsen abkaufen, um selbst die Zwangsversteigerung zu forcieren. Morgen soll der Stadtrat in einer WCCB-Sondersitzung darüber beschließen.

Der Plan: Nach erfolgter Zwangsversteigerung könnte die Stadt Bonn das WCCB über einen Zwangsverwalter und ohne zeitraubende europaweite Ausschreibung fertig bauen. Dies wird jedoch nur als letzter Ausweg angesehen, weil er mit juristischen Unwägbarkeiten gepflastert ist. Parallel versucht die Stadt via Gather, doch noch einen "einvernehmlichen Heimfall" auszuhandeln. Zuletzt im Dezember 2010 betrug das Verhandlungsergebnis 8,5 Millionen Euro - ohne Baupläne und mit Arazim im Grundbuch. Diese Beschlussvorlage für den Stadtrat war die 65. Version einer Einigung - und wurde abgelehnt.

  • EU und Bürgschaft: Nach städtischen Statements haben sich Sparkasse und Stadt auf ein Notifizierungsverfahren geeinigt: Danach soll Brüssel entscheiden, ob es sich bei der bürgschaftsähnlichen Nebenabrede der Stadt über 104,3 Millionen Euro um eine nach EU-Paragrafen unrechtmäßige Beihilfe handelt. Solche Verfahren kann nicht ein regionales Bankhaus gemeinsam mit einer Kommune einleiten, sondern stellvertretend für beide nur ein Bundesorgan. Die Stadt hat daraufhin ( siehe Millionenfalle 56) die Nebenabrede, die in ihrer Höhe dem doppelten Kultur- und Bäderetat entspricht, erst einmal aus ihrem fragilen Haushalt verbannt. Als gäbe es sie nicht.Nach GA-Informationen gibt es auch das EU-Verfahren nicht, weil die Stadt inzwischen ausgestiegen sein soll. Die Sparkasse führt die Forderung weiter in ihren Büchern. Da sich Kredite in der Regel nicht in Luft auflösen, besteht ein gewisses Risiko für die Stadt. Möglicherweise meinte das der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus-Peter Gilles vergangene Woche im Stadtrat, als er sagte: Selbst wenn bald einige WCCB-Lösungen kämen, blieben große Risiken. Gilles: "Wenn die uns vor die Füße fallen, sind wir finanztechnisch erledigt." Übersetzt: Dann hilft auch kein Sparen mehr, um einen Nothaushalt und den Hoheitsverlust über die Stadtfinanzen zu verhindern.
  • Aktueller WCCB-Wert: Immer wieder werden (zu) zuversichtliche Datumsangaben für eine WCCB-Fertigstellung genannt. Im November 2009 glaubte Nimptsch noch, "wenn wirklich alles optimal läuft", könne im April 2010 die erste Großveranstaltung im WCCB stattfinden. Doch Kims juristisches Erbe erwies sich als vermintes Gelände.Realistisch ist eine Wiederbelebung der Baustelle, wenn wirklich alles optimal läuft, im Frühjahr 2012. Das bedeutet: Der unfertige Hoffnungsbau steht - unausgesprochen - vor seinem dritten Winter, gegen den ihn wieder stromsaugende Heizungsrotoren gegen Frost & Co. verteidigen werden. Wertsteigernd ist das nicht. Überhaupt existiert bis heute kein verlässliches Wertgutachten über das, was da von Bauchef Young-Ho Hong, gegen den weiter ermittelt wird, gebaut wurde.

Das geschätzte Betrugsvolumen aller Akteure reicht von 20 bis 40 Millionen. Rechnet man mit diesen fehlenden Geldern die Baukasse rückwärts, könnte es ein böses Erwachen geben. Entsprechend hoch würden die Fertigstellungskosten ausfallen und sind alle Zahlen, die heute dazu kursieren, unfundierte Schätzungen.

  • WCCB-Gesamtschaden: Nichts ist ungewisser als der Endbetrag, der eines Tages auf Stadt und Steuerzahler zukommt. Allein Bürgschaft inklusive Zinsen, Berater-, Zwangsverwalter- und Fertigstellungskosten summieren sich auf weit mehr als 200 Millionen. Ob der Landeszuschuss eines Tages zurückbezahlt werden muss, wie es ein Gutachten von PricewaterhouseCoopers (PwC) für nicht unwahrscheinlich hält, hängt auch vom Ausgang der nahenden Gerichtsverfahren ab.So ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Friedhelm Naujoks, ehemaliger Leiter des Städtischen Gebäudemangements, wegen des Verdachts auf Betrug im besonders schweren Fall. Er hatte gegenüber der Bezirksregierung das Testat verfasst, wonach die WCCB-Finanzierung "wirtschaftlich und auskömmlich" sei. Das war die Voraussetzung für die Freigabe des 35,8-Millionen-Zuschusses des Landes.
  • Wer hat was gewusst? Am 30. September soll die erste Anklagerunde vor Gericht starten. Unter den Angeklagten sind auch Man-Ki Kim, der Investor ohne Geld, und sein Anwalt Ha-S. C. Dass die Stadt früh - zumindest früher als öffentlich zugegeben - von Kims Eigenkapitalnot wusste, haben Rechnungsprüfer ausreichend dokumentiert.Ob Kim oder C. mehr beweisen können, gehört zu den vielen Fragen, auf deren Beantwortung Bonns Bürger warten. Auch rund 5 000 städtische Angestellte: Welcher der WCCB-Kollegen, gegen die ermittelt wird, hat auf Anordnung "von oben" möglicherweise ungesetzlich gehandelt und wer eigenmächtig? Gab es beim WCCB eine Art - Dilemma: Verstoße ich gegen die Anordnung oder das Gesetz? - "Befehlsnotstand" für Mitarbeiter?
  • WCCB und Hardthöhe: Beeinflusst der Unglücksstern "WCCB" auch das Bonn-Berlin-Gesetz? Folgt man dem Flurfunk im Rathaus und auf der Hardthöhe, könnte der Bund der Stadt ihr größtes Sorgenkind (WCCB) finanziell vom Hals nehmen, während das Rathaus sich verpflichtet, seinen Widerstand gegen einen Komplettumzug des Verteidigungsministeriums nach Berlin nur rhetorisch zu zeigen: So viel öffentlicher Widerstand wie nötig, um nicht das Vertrauen der Bevölkerung zu verlieren, aber substanziell so wenig, dass es so aussieht, als hätte man gegen höhere Mächte nichts ausrichten können.Ob das nur ein hartnäckiges, plausibles Gerücht ist? Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Staatssekretär sprachen zuletzt bei Landräten und OB Nimptsch vor. Eine heikle Mission: Das Ministerium wollte nur Einzelgespräche. Öffentlich wurde "zur Sache" geschwiegen. Ansonsten spiegelte alles Nonverbale weitgehend Handelseinigkeit. Aber wozu?
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