Freispruch von Walid S. Reaktionen zum Urteil im Fall Niklas

Bonn · In Bad Godesberg gehen die Meinungen über den Prozess und das Urteil auseinander. Niklas' Mutter macht das Urteil sehr zu schaffen. Auch Pfarrer Wolfgang Picken äußert sich zum Urteil.

Der Freispruch im Prozess um den gewaltsamen Tod ihres 17-jährigen Sohnes macht Denise Pöhler sehr zu schaffen. „Sie weiß nicht, wie sie neben dem Tod ihres Sohnes verarbeiten soll, dass die Tat ungesühnt und der Täter – wer auch immer es ist – unbehelligt bleibt“, teilte Pfarrer Wolfgang Picken, der Pöhler seit dem Tod ihres Sohnes als Seelsorger begleitet, in ihrem Namen mit.

Denise Pöhler bitte um Verständnis, „dass sie nach der Aufregung und den Anstrengungen der letzten Monate den Jahrestag von Niklas' Tod in der nächsten Woche in Stille begehen will“. Sie lade aber dazu ein, in Gedenken an Niklas eine Kerze zu entzünden – ob am Rondell, am Grab, in einer Kirche oder im eigenen Zuhause. „Ein Gedächtnis an Niklas' Tod soll später, vermutlich am Fronleichnamstag, stattfinden“, so Picken.

Wie bewertet er das Urteil? „Das Gericht hat meiner Meinung nach in seiner Urteilsbegründung mit großer Präzision herausgearbeitet, dass und warum Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten bestehen.“ Deshalb müsse es nach dem Verständnis unseres Rechtsstaates zum Freispruch kommen. „Frau Pöhler hatte sich aus demselben Grund bereits entschieden, keinen eigenen Antrag vor Gericht zu stellen“, so Picken. Allerdings bleibe der Wunsch „nach Aufklärung des Geschehens“. Dem stehe die nüchterne Feststellung gegenüber, „dass die Ermittlungsergebnisse wohl nicht ausreichen, um einen Täter zu überführen und verantwortlich zu machen“. Dieses Ausbleiben von Gerechtigkeit erschwere die Trauer. „Nicht wenige fürchten zudem, die fehlende Aufklärung könnte manche zu Gewalttaten ermutigen“, meinte Picken.

„Es ist ernüchternd, dass wir hier vor einer offenen Wunde stehen in Bad Godesberg, die so schnell nicht heilen wird“, sagte Bezirksbürgermeisterin Simone Stein-Lücke. Sie sei dankbar für das deutsche Rechtssystem, „das gründlich prüft und dann erst urteilt“. Alle hätten sich gewünscht, dass der Täter schnell gefunden und verurteilt wird, aber „die Umstände haben dies offenbar nicht erlaubt“.

Beängstigend, folgerichtig, ungerecht: Die Passanten in der Bad Godesberger Fußgängerzone sind geteilter Meinung, was den Prozessverlauf und das Urteil angeht. „Ich verstehe nicht so ganz, dass er freigesprochen wurde“, sagte eine Jugendliche, die in der Nähe von Walid S. wohnt. Die Situation sei beängstigend, „es muss doch einen Täter geben“. Dass einige Zeugen nicht ausgesagt hätten, sei ein Problem, meinte Friederike Invernizzi. So sei es schwierig, einen Schuldigen zu finden. Die Situation sei bitter für Niklas' Familie, „aber wenn man es nicht beweisen kann, kann man keinen verurteilen“. Das sehen auch Wolfgang und Martina Kokisch so. „Es ist hart, aber so ist unser Rechtsstaat. Wäre es anders, würde Willkür herrschen.“ Ihrer Meinung nach seien Fehler im Vorfeld, bei der Beweissicherung, gemacht worden. „Man hätte die Gruppen viel früher mehr in den Fokus nehmen müssen. Aber die Ermittlungen gehen ja zum Glück weiter.“

„Es zählen nur die Täter, nicht die Opfer“, stellte eine 75-Jährige fest. Diese würden zweimal angegriffen: bei der Tat und vor Gericht. „Meiner Meinung nach war die Beweislage ausreichend, er hätte verurteilt werden müssen.“ Sie denke vor allem an die Mutter. „Sie tut mir richtig leid. Es ist furchtbar.“ Kritik übte auch der 18-jährige Max. Die Ermittlungsbehörden sollten härter vorgehen. Durch den Freispruch verfestige sich der Eindruck, dass man nicht zur Rechenschaft gezogen werde, egal was man tue.

Uneins waren sich der 15-jährige Nick und seine beiden 14-jährigen Begleiterinnen. Man hätte Walid S. bestrafen müssen, fand die eine, während die anderen feststellten: „Ohne ausreichende Beweise kann man das nicht machen. Das wäre nicht korrekt.“ Einfluss auf ihr Leben habe die Tat schon: Ihre Eltern seien vorsichtiger geworden, Rhein in Flammen in der Rheinaue sei für sie vermutlich tabu. Nick aber fühlt sich in Godesberg weiter sicher: „So etwas passiert überall, nicht nur in Bad Godesberg.“

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