Räume gesperrt Quecksilber in Bonner Uni-Gebäude

Bonn · Im ehemaligen Chemischen Institut der Universität Bonn sind 147 Räume mit Quecksilber belastet, 30 von ihnen stark. Als erste Maßnahme wurden nun Räume gesperrt, für andere Räume maximale Nutzungszeiten vereinbart.

Die Räume des ehemaligen Chemischen Instituts der Uni Bonn sind offenbar seit Jahrzehnten mit Quecksilber verseucht. An der Meckenheimer Allee, wo bis 1972 Chemiker mit schädlichen Stoffen hantierten, befinden sich mittlerweile Arbeits- und Büroräume für Mikrobiologen und Geografen. Die Uni sperrte jetzt die Räume.

Die Mengen, die ein Sachverständigenbüro gemessen hat, liegen deutlich über den Grenzwerten des Umweltbundesamtes. Quelle der Quecksilberbelastung sei das Abflusssystem, so das Gutachten, das dem GA vorliegt. Es stellt fest, dass „Minderungsmaßnahmen notwendig“ sind.

Die Universität hat beschlossen, dass der Betrieb bis auf einige Einschränkungen wie gewohnt weitergeht. Ehemalige Mitarbeiter und Studenten, die dem Quecksilberdampf womöglich jahrelang ausgesetzt waren, wurden bisher nicht gezielt über das Ausmaß der Belastung informiert. Eine Sanierung am denkmalgeschützten Gebäude würde nach Ansicht von Experten sehr hohe Kosten verursachen.

Wenn es nicht ein Malheur gegeben hätte, wäre die Quecksilberbelastung in der Raumluft vermutlich nie aufgefallen. Im Frühjahr ging im Keller des Gebäudes ein Messgerät kaputt, wodurch das giftige Schwermetall freigesetzt wurde. Nachdem das Quecksilber beseitigt war, untersuchten Experten routinemäßig die Luft – und machten eine Entdeckung, die sie sich zunächst nicht erklären konnten. Denn nicht nur im betroffenen Raum, sondern auch auf Fluren, in anderen Zimmern und Geschossen sowie Hörsälen schlugen die Geräte aus. Insgesamt 147 Räume, darunter drei Hörsäle, sind betroffen (siehe „Quecksilber schädigt das Nervensystem“).

Heinz-Jörn Moriske, der die Beratungsstelle Umwelthygiene des Umweltbundesamtes leitet, sieht die Universität in der Pflicht, unverzüglich zu handeln. Die Behörde ist nicht für den Vorfall zuständig, wurde aber vom GA um eine fachliche Einschätzung der Messwerte gebeten. Moriske: „In manchen Büros dürfte eigentlich niemand mehr sitzen.“

Bis 1972 wurde der Komplex intensiv von der Chemie genutzt, danach stand er mehr als zehn Jahre leer und verfiel. 1984 stellte ihn die Stadt unter Denkmalschutz, drei Jahre lang gab es aufwendige Sanierungen. Danach zogen die Geografen, später die Mikrobiologen ein. Seitdem nutzten die Forscher auch keine Chemikalien wie Quecksilber mehr. Offensichtlich wurden aber die alten, verseuchten Abwasserleitungen nicht getauscht – was nun nach Einschätzung von Moriske aber getan werden müsste, um die Quecksilberquellen zu beseitigen. „Wenn das Abwassersystem die Ursache ist, muss es wahrscheinlich raus.“ Die Gutachter empfehlen, die alten Leitungen zunächst mit Kameras von innen zu untersuchen und sie zu reinigen.

Schwangere dürfen Räume nicht betreten

Die Universität hat als erste Maßnahme Nutzungseinschränkungen beschlossen. Deshalb kleben an vielen Türen Hinweiszettel. Fünf Räume dürfen maximal für eine Stunde täglich, weitere neun etwa vier Stunden pro Tag genutzt werden. Zwei Räume sind komplett gesperrt. Schwangeren ist es nicht mehr erlaubt, die Untergeschosse des Gebäudekomplexes zu betreten. In einer Infoveranstaltung im September wurden einige Mitarbeiter und Studenten auf die Regelungen hingewiesen. Zudem gab es eine Veröffentlichung auf der Internetseite der Uni.

Die genauen Werte wurden Studenten und Mitarbeitern nach eigener Aussage nicht mitgeteilt. Stattdessen sollen sie oft die Fenster öffnen. Laut „Flurfunk“, wie die Studenten sagen, sei die Situation „nicht so schlimm“. Bei den Untersuchungen seien „sehr strikte“ Grenzwerte angesetzt worden. Und auch Uni-Sprecher Andreas Archut nennt die Belastung „nicht alarmierend“. Er führt als Argument an, dass die Messungen bei geschlossenen Fenstern und ausgeschalteter Lüftung gemacht worden seien – ein Szenario, das den ungünstigsten Fall annimmt. Die Bandbreite der Messwerte reiche von „stark erhöht bis sehr niedrig“.

Doch nur die Labore haben Lüftungen, die nun rund um die Uhr laufen. Dass in den anderen Räumen ständig die Fenster offen stehen, dürfte unwahrscheinlich sein. „Wir gehen davon aus, dass keine Gefährdung besteht, sofern die vereinbarten maximalen Nutzungszeiten der betreffenden Räume eingehalten werden, die mit dem Betriebsärztlichen Dienst festgelegt wurden“, so Archut. Bisher hätten sich nur „einige wenige“ bei Uni-Ärzten vorgestellt. „Es gab keine Klagen über gesundheitliche Beschwerden.“ Unklar ist jedoch, was mit den Hunderten von Studenten und Mitarbeitern ist, die seit dem Einzug der Geografen 1987 mutmaßlich den Dämpfen ausgesetzt waren.

Ursache der Quecksilber-Belastung ungeklärt

Laut Archut ist die Ursache der Belastung nicht geklärt und geht „mutmaßlich auf den rund 100 Jahre andauernden Betrieb des Gebäudes als Chemisches Institut zurück“. Das Gutachten kommt zu dem eindeutigen Ergebnis: „Quellen sind nach ersten Messungen die Abwasserleitungen.“ Nicht nur im Gebäude, sondern auch in außenliegenden Gullys, wie beispielsweise im Innenhof, wurde Quecksilber nachgewiesen. Von dort fließt das Abwasser in die Kanalisation. Das Gutachten wird durch Aussagen ehemaliger Institutsangehöriger untermauert: Damals habe man Quecksilber einfach in den Ausguss geschüttet, sagten sie dem GA. Dementsprechend entdeckten die Gutachter starke Belastungen in Waschbecken- und Bodenabflüssen.

Die Stadt Bonn ist über den Vorfall nicht offiziell informiert worden, wie das Presseamt mitteilt. „Wir schätzen diese Funde aber auch so ein, dass es eine interne Angelegenheit der Universität ist und in erster Linie deren Arbeitsschutz und Betriebsärzte gefragt sind“, so eine Sprecherin der Stadt.

Meldungen haben dagegen das Landesministerium für Kultur und Wissenschaft sowie der Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) NRW erhalten, der die Gebäude an die Uni vermietet. „Sie nutzt und betreibt sie eigenständig, verantwortet also auch die Gebäudeeinrichtung und die technischen Anlagen“, sagt BLB-Sprecher Tim Irion. Deshalb habe die Universität bei diesem Vorfall die Federführung und beauftrage auch die Gutachter.

Die Raumluft-Belastungen in der Uni im Überblick

Zur Beurteilung von Quecksilber als Dampf in der Raumluft gibt es die Richtwerte I und II des Umweltbundesamtes: Der Richtwert I (35 Nanogramm pro Kubikmeter Raumluft) beschreibt den sogenannten Vorsorgewert, bei dem auch bei lebenslanger Exposition von keinen gesundheitlichen Schäden auszugehen ist.

Der Richtwert II oder auch landläufig auch Gefahrenwert (350 Nanogramm pro Kubikmeter Raumluft) ist ein wirkungsbezogener Wert. Er stellt die Konzentration eines Stoffes dar, bei deren Erreichen beziehungsweise Überschreiten unverzüglich zu handeln ist. Insbesondere bei Daueraufenthalt in den Räumen ist die Gesundheit empfindlicher Personen einschließlich Kindern gefährdet.

Arbeitsplätze wie beispielsweise Labore unterliegen dagegen spezifischen Grenzwerten. Für Quecksilber liegt er bei 20.000 Nanogramm pro Kubikmeter Raumluft.

(Quelle: „Bericht zu Untersuchungen auf Quecksilber im Gebäudekomplex Meckenheimer Allee 166/168 der Universität Bonn“)

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