Gericht spricht Ehemann frei Prozess Mord ohne Leiche: Entscheidender Beweis nicht gefunden

Eitorf/Bonn · Im Prozess zum sogenannten "Mord ohne Leiche" der verschwundenen Sandra D. aus Eitorf wurde der Angeklagte am Mittwoch vor dem Bonner Landgericht freigesprochen. 2014 lautete das Urteil noch elf Jahre wegen Totschlags.

Auch vier Jahre nach ihrem Verschwinden gibt es keine Spur von Sandra D. aus Eitorf. „Noch immer wird nach dem entscheidenden Beweis gesucht“, erklärte der Vorsitzende Richter Hinrich de Vries am Mittwoch und sprach den Ehemann der Verschwundenen frei. Im Juli 2014 war der 43-Jährige zu elf Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt worden, im Oktober 2015 wurde das Urteil aufgehoben und seither vor dem Bonner Landgericht neu verhandelt.

Das erste Urteil hatte sich vor allem auf ein Geständnis gestützt, das der Angeklagte seiner neuen Freundin 2013 gemacht haben soll. „Damals hätte ich vermutlich auch so entschieden“, erklärte de Vries. Aber es müsse als Zeichen gesehen werden, dass der entscheidende Beweis immer noch nicht gefunden worden sei. Ein falsches Geständnis ließe sich nicht ausschließen. „Noch nie ist eine Zeugin so oft zu Wort gekommen“, fasste der Richter zusammen und zählte die Tausenden Seiten Kommunikation, Chat-Verläufe und Vernehmungen auf, die von der ehemaligen Lebensgefährtin des Freigesprochenen ausgingen.

So habe sie auch Zweifel an dem Geständnis geschürt: Er hätte unter anderem aus emotionaler Abhängigkeit oder sexueller Gefälligkeit ein Geständnis abgelegt haben können. Oder weil die Diplomatentochter dem Koch intellektuell überlegen gewesen sei. Möglicherweise habe er ihr imponieren wollen – diesen Grund gab er selbst immer wieder als Erklärung für sein falsches Geständnis an. Viele Ideen zur Ermordung und zum Verschwinden der Leiche kamen zudem von der Zeugin selbst.

Unernste Antworten

Der 43-Jährige habe häufig auch unernst geantwortet, führte der Richter aus. Vieles habe gewirkt, als ob sie ein Geständnis herausgefordert habe. Hinzu komme, dass es schwierig sei, den Inhalt des Geständnisses auf Richtigkeit zu prüfen, da ohne Leiche Täterwissen nicht überprüft werden könne.

De Vries blickte auch noch einmal auf das Wochenende des Verschwindens zurück: Am 5. September 2012 habe es einen heftigen Streit gegeben, woraufhin sich Sandra D. am 7. September mit ihrem mutmaßlichen Geliebten traf. Am 8. September frühstückte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, bevor ihre Tochter von den Großeltern abgeholt wurde. Gegen Mittag fuhr das Ehepaar gemeinsam zur neuen Wohnung, bevor Sandra D. am späten Nachmittag ihre Schicht im Supermarkt antrat. Als sie am späten Abend nach Hause kam, aß das Ehepaar gemeinsam, es entbrannte ein neuer Streit, bevor sie gegen 22.30 Uhr schlafen gingen. Dann verschwand Sandra D. spurlos.

Es sei zwar denkbar, dass er sie umgebracht habe, aber es sei auch nicht auszuschließen, dass sie ihre Familie freiwillig verlassen habe, schloss der Richter. Vielleicht habe man sich zu früh auf den Ehemann konzentriert und dabei Ermittlungen in Richtung anderer Möglichkeiten vernachlässigt, gab er zu bedenken.

Beispielsweise sei heute nicht mehr eindeutig zu klären, was der mutmaßliche Geliebte der Ehefrau zum Zeitpunkt ihres Verschwindens tat und warum einige Kurznachrichten auf dessen Handy gelöscht wurden. „Meinem Mandanten geht es gut, er ist ein freier Mensch und hat eine neue Arbeitsstelle gefunden“, erklärte Verteidiger Jürgen Graf nach der Urteilsverkündung.

Antrag auf Entschädigung abgelehnt

Der Prozess habe ihm gezeigt, dass es sich lohne, für einen Mandanten zu kämpfen. Nun sei sein Mandant „richtig freigesprochen“ und nicht aus Mangel an Beweisen. Schließlich käme auch jemand anderes als Täter in Betracht. Einen Antrag auf Entschädigung für die rund zweieinhalbjährige Haft lehnte die Kammer jedoch ab.

Rechtsanwältin Dagmar Schorn vertrat die heute zehnjährige Tochter der verschwundenen Sandra D. und dessen Vater vor Gericht als Nebenkläger. Der heute 22-jährige Sohn von Sandra D. kam am Mittwoch selbst zum Prozess. Schorn berichtete, dass die Tochter heute bei ihrem Vater lebe. Vater und Tochter seien sich jedoch sicher, dass der Freigesprochene der Täter sei. Schorn appellierte an den Ehemann, anonyme Hinweise auf den Verbleib der Leiche zu geben. „Dann könnte sie bestattet werden und die Kinder hätten einen Ort zum Trauern.“

Ob nun dennoch weiter in dem Fall ermittelt werde, konnte die Staatsanwaltschaft zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

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