Ziel ist eine geordnete Entwicklung Neuer Bonn-Vertrag ist wichtig für die ganze Region

Bonn · Die Region bereitet sich auf Gespräche mit der Bundesregierung vor, um den Standort zu stärken. Der zuständige Bundesminister Horst Seehofer zeigt wenig Interesse. Zwei Landräte und mehrere Abgeordnete drängen zur Eile.

Wenn Oberbürgermeister Ashok Sridharan am 25. März zur großen Gesprächsrunde ins Alte Rathaus einlädt, geht es hinter verschlossenen Türen um nicht weniger als die Zukunft der ganzen Region. Es kommen Vertreter der Kreise Rhein-Sieg, Ahrweiler und Neuwied sowie der Staatskanzleien von NRW und Rheinland-Pfalz, dazu die Europa-, Bundestags- und Landtagsabgeordneten aus der Region. Auch die Gewerkschaft DBB Beamtenbund ist dabei sowie Michael Hoch, der Rektor der Bonner Universität. Sie werden versuchen, ein gemeinsames Papier für Gespräche mit der Bundesregierung zu verabschieden. Verhandelt wird: Der Bonn-Vertrag, den SPD, CDU und CSU in Berlin in ihrem Koalitionsvertrag verankert haben.

Das grundsätzliche Ziel: geordnete Entwicklung statt schleichendem Abbau von Ministeriumsposten in Bonn. Die Bundesregierung soll sich dauerhaft zum Berlin/Bonn-Gesetz bekennen; die Region als Verwaltungsstandort des Bundes und Kompetenzzentrum für Wissenschaft, Nachhaltigkeit, Internationales, Entwicklungszusammenarbeit und IT-Sicherheit gestärkt werden – im gesamtstaatlichen Interesse. Dazu wird unter anderem die Ansiedlung „neuer nationaler und internationaler Einrichtungen“ vorgeschlagen, wie es in einer Stellungnahme der Stadt, der Kreise und Bundesländer heißt. Und weiter: „Für die Region steht die Sicherung der ministeriellen und bundesbehördlichen Arbeitsplätze in den Standorten in NRW und Rheinland-Pfalz im Fokus.“

Intern hat die Arbeitsgruppe eine lange Liste konkreter Maßnahmen aufgeschrieben. In einem Papier aus November 2018, das dem GA vorliegt, waren das mehr als 60 Ideen, Projekte und Forderungen. Nicht bei allen hatte die Gruppe bis November Konsens erzielt; es fehlt bis heute eine Priorisierung, welches die wichtigsten Punkte sind.

Absehbar ist, dass die Arbeitsgruppe die Ansiedlung neuer Bundesbehörden vorschlagen wird – wobei es keine Abwerbung aus anderen Ländern geben soll. Thema dürften auch hohe Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sein, vom Ausbau des Bahnnetzes bis hin zur Beschleunigung des Projekts Rheinquerung bei Wesseling. Auch bereits öffentlich benannte Ziele wie die dauerhafte Förderung des Beethovenfestes durch den Bund stehen auf der Liste. Und: Das Forschungsmuseum Alexander Koenig macht sich wie berichtet Hoffnungen auf ein neues Wissenschaftliches Zentrum für das Monitoring der Biodiversität, das mit neun Lehrstühlen ausgestattet werden könnte.

„Die Stärkung der Wissenschaft und der Forschung in unserer Region war eine der tragenden Säulen der damaligen Ausgleichsvereinbarung“, erinnert Uni-Rektor Hoch. „Ich bin überzeugt, dass mögliche künftige Ausgleichsvereinbarungen die herausragende Rolle der Wissenschaft und der Forschung, deren Ergebnisse letztlich allen zu Gute kommen, berücksichtigen werden.“ Die Universität sehe sich als „Bindeglied zwischen lokalen und überregionalen Akteuren, zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“. Die neue Agentur für Disruptive Innovation in der Cybersicherheit (ADIC) hätte, so die Überlegungen in der Arbeitsgruppe, perfekt nach Bonn gepasst, wo unter anderen das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sitzt. Doch die Region war zu spät dran: Die Bundesregierung hat vor wenigen Wochen verkündet, die ADIC in der Region Leipzig/Halle ansiedeln zu wollen.

Die Uhr tickt

Das Beispiel zeigt, dass die Uhr tickt. Der Kohleausstieg weckt Begehrlichkeiten in Ostdeutschland und anderen Regionen; die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst erhöhen den Druck auf die Parteien. Dazu passt, dass der zuständige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kürzlich in Bonn erklärte, er sehe für einen Bonn-Vertrag „keinen akuten Handlungsbedarf“. Es gehe vielmehr darum, strukturschwache Regionen zu stärken. Er sei dafür, das Thema Bonn/Berlin nicht isoliert zu betrachten. In die Verhandlungen mit der Region wird neben dem Seehofer-Ressort aber auch Kanzleramtschef Helge Braun involviert sein (siehe unten).

In der Arbeitsgruppe gehen die Ansichten auseinander, wie groß der Zeitdruck wirklich ist. In der gemeinsamen Stellungnahme von Stadt, Kreisen und Ländern wird als Ziel für die Unterzeichnung des Vertrages „Mitte kommenden Jahres“ ausgegeben. Zwei Landräte verlangen jedoch mehr Tempo. „Wir haben in den internen Abstimmungsprozessen der Region schon zu viel Zeit verloren“, kritisiert Jürgen Pföhler (CDU) aus Ahrweiler. „Oberbürgermeister Sridharan als Vorsitzender unserer Arbeitsgruppe und NRW-Ministerpräsident Laschet müssen jetzt endlich mit Nachdruck den Verhandlungsprozess mit der Bundesregierung in Gang setzen.“

Ähnlich äußert sich der Neuwieder Landrat Achim Hallerbach (CDU). Der Vertrag solle spätestens bis Ende des Jahres geschlossen werden. „Jede weitere Verzögerung birgt das Risiko“, so Hallerbach, „dass Begehrlichkeiten aus anderen Regionen Vorzug gewinnen und wir Nachteile erleiden“. Sridharan reagiert befremdet auf die Kritik. „Das Vorgehen ist mit allen Beteiligten abgestimmt“, so der Oberbürgermeister. „Ende März wollen wir unsere Verhandlungspositionen in der Arbeitsgruppe abschließend abstimmen.“ Außerdem sei er mit der Bundesregierung bereits in Vorgesprächen.

Doch auch Katja Dörner (Grüne) drängt. „Wichtig ist, mit den Verhandlungen schnell zu beginnen“, meint die Bonner Bundestagsabgeordnete. Da die Bundesregierung das Berlin/Bonn-Gesetz seit Jahren unterlaufe, biete der Zusatzvertrag eine große Chance. „Aber das Zeitfenster, eine gute Lösung für Bonn zu erreichen, ist meiner Einschätzung nach nicht allzu lange offen.“

Für Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) ist ebenfalls „Eile geboten“, wie die Bundestagsabgeordnete aus dem Rhein-Sieg-Kreis betont. „Ein verbindlicher Zeitplan muss jetzt auf den Tisch.“ Die Verhandlungen dürften sich keineswegs um eine „Kompensation für den sogenannten Rutschbahneffekt“ drehen, merkt sie an. „Es geht um die Stärkung der Bundesstadt Bonn in ihrer Funktion als zweites politisches Zentrum unserer Republik und den Erhalt der ministeriellen Arbeitsplätze ebendort.“

Bis Anfang 2020 sollte der Vertrag stehen, empfiehlt der langjährige Bonner Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber (SPD) – früh genug vor den Wahlen im Bund, in Berlin und NRW. „Nach dem Kohlekompromiss verstärken vor allem Politiker aus den östlichen Bundesländern den Druck in Berlin. Die Zeit drängt also“, sagt der heutige Bundesdatenschutzbeauftragte. Zwar findet er Seehofers „herablassende Reaktion“ ärgerlich, würde sie aber nicht überbewerten. Kelber: „Am Ende entscheiden Andere, ob dieser Punkt des Koalitionsvertrags erfüllt wird.“

Zu dieser Art von Gelassenheit rät auch der Bonner Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. „Wichtiger als Tempo ist, eine langfristig tragfähige Lösung mit klaren Abgrenzungen zu erreichen“, erklärt der FDP-Politiker. Ein Punkt bleibt für Lambsdorff in den Gesprächen mit Berlin allerdings unverhandelbar: Die Vereinten Nationen brauchten an ihrem deutschen Hauptstandort ministerielle Ansprechpartner, mindestens in den Ressorts Umwelt, Bildung und Entwicklung. Lambsdorff: „Diese drei Ministerien müssen ihren Arbeitsschwerpunkt in Bonn haben.“

CDU-Mann Norbert Röttgen warnt davor, einen zu großen Zeitdruck aufzubauen. „Das Wichtigste ist, dass wir eine Verständigung darüber erzielen, welche Rolle die Bundesstadt Bonn und unsere Region auf der Basis des Berlin/Bonn-Gesetzes künftig im föderalen Gefüge Deutschlands spielen sollen“, unterstreicht der Bundestagsabgeordnete aus dem Rhein-Sieg-Kreis. „Dabei geht es nicht um Schnelligkeit, sondern darum, dass diese Verständigung langfristig tragfähig ist.“

Seit Jahren ist im Bundestag ein Ritual zu beobachten. Die Linke beantragt den Komplettumzug der Bundesregierung nach Berlin, und die Mehrheit lehnt mit ebensolcher Regelmäßigkeit ab – wohl auch deshalb, weil der Antrag von den Linken kommt. Claudia Lücking-Michel (CDU), bis 2017 für Bonn im Parlament, hat das Spiel mehrfach miterlebt. Sie weiß, dass der Rückhalt in der Hauptstadt schwindet. „Wir können nur hoffen, dass keine andere Fraktion diesen Antrag stellt“, sagt Lücking-Michel. „Es gibt im Bundestag keine Mehrheit mehr für Bonn.“

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