Flüchtlinge in Bonn Nach der Flucht die nächste Odyssee

Bonn · Die Behörden lassen einen anerkannten syrischen Asylbewerber monatelang unversorgt. Seine Vermieterin ist empört über das Durcheinander. Vor allem wartet der 55-Jährige seit Monaten auf die Herausgabe seines Passes, der bei der Bamf zur Überprüfung liegt.

Ghassan al Takriti ist ein ruhiger Mann. Für die emotionale Achterbahnfahrt der vergangenen Monate hat der Syrer mit dem sorgsam gestutzten, grau melierten Bart nur ein Schulterzucken übrig. Seine Vermieterin Sabine Schwachula indessen wird deutlich: „Mich wundert nicht mehr, dass Wohnungseigentümer ungern an Flüchtlinge vermieten. Das muss man sich auch finanziell leisten können. Und die Betroffenen werden in die Illegalität getrieben.“

Schwachula hat ihren Untermieter erkennbar ins Herz geschlossen. Der 55-Jährige ist so verschüchtert vor deutschen Behörden, dass ihm schon das Gespräch mit dem GA Schweißperlen auf die Stirn treibt. Tatsache ist: Im Oktober ist der Bürgerkriegsflüchtling in eine Einliegerwohnung in Poppelsdorf eingezogen. 40 Quadratmeter, Küchennische und Bad. Ein paar gebrauchte Möbel, ein kleiner Fernseher. Genau das, was das Sozialamt für einen Single für angemessen hält.

In der Vergangenheit bekam Schwachula dafür 640 Euro Miete von Wochenendpendlern der Telekom und anderen Unternehmen. Doch sie wollte ihren Beitrag zur Integration leisten und berechnet dem Syrer nur 387 Euro Kaltmiete, damit das Jobcenter das anerkennt. „Dazu kamen immer neue Fragen der Behörde: Wer alles im Haus wohnt, wie lange wir duschen, wie viel wir heizen. Das ging extrem in den Intimbereich“, erzählt sie.

Jobcenter zahlt Vermieterin kein Geld

Geld sah sie vom Jobcenter drei Monate lang keines, obgleich der Mieter den Wohngeldanspruch abgetreten hat. Damit nicht genug: Auch al Takriti bekam keinen Cent Unterhalt. Unterstützer wie Ulrike Heider-Klieme aus Alfter halfen ihm aus. „Wir wollten doch nicht, dass er betteln muss“, sagt sie.

Dabei ist der Syrer keiner von denen, die ihre Papiere weggeworfen haben und mit falschen Angaben für Verwirrung sorgen. 1961 in Damaskus geboren, war er nach dem Abitur zunächst als Fuhrpark-Manager für einen kanadischen Ölkonzern tätig. Als die Bedingungen für internationale Unternehmen schwieriger wurden, machte er eine Ausbildung zum Physiotherapeuten und war in zwei Kliniken in Damaskus tätig.

2011 floh er mit Frau und zwei Kindern über die Grenze in die Türkei. „Die Türken versprachen, uns zu helfen“, sagt er. Helfen hieß: Die Kinder mussten in Alanya auf eine türkische Schule, obgleich sie kein Türkisch sprachen. Al Takriti musste arbeiten – schwarz und zu prekären Bedingungen, denn eine Arbeitserlaubnis gab es nicht.

Seine Frau hat Magenkrebs

Als immer mehr Flüchtlinge kamen, erlebte der Familienvater, wie viele Landsleute ihre Kinder mit Schleppern übers Meer schickten und etliche dabei ertranken. Mit Freunden fuhr er an die bulgarische Grenze. Aus Protest blockierten sie zwei Wochen lang den Grenzübergang mit einem Friedens-Camp.

Danach war klar: Der Flüchtling musste das Land verlassen. Zwei Tage versteckte er sich mit Freunden ohne Lebensmittel auf der winzigen Naturschutz-Insel Bayrak Adasi. Dann schwamm er fünf die Kilometer zum griechischen Samos, erzählt er. Dabei hatte er nur seinen Ausweis und 400 Euro – mit Plastikfolie und Isolierband mehrfach verklebt. Über Athen, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Österreich kam er am 10. Oktober 2015 nach München. Nach Stationen in verschiedenen Auffanglagern schickte man ihn nach Alfter. Al Takriti hatte gehofft, seine Familie bald nachzuholen. Seine Frau hat Magenkrebs. Sein 15-jähriger Sohn und die 13-jährige Tochter sollen eine Zukunft fern des Kriegs haben.

Doch jetzt begann eine Odyssee durch die Behörden, die Integration in weite Ferne rückt. Das Ausländeramt des Rhein-Sieg-Kreises kassierte den Ausweis und stellte eine „Bescheinigung über die Beantragung eines Aufenthaltstitels“ aus. Ein Jahr später lud das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Syrer zur Anhörung und gewährte Schutz für zunächst ein Jahr. Eine politische Entscheidung. Denn nur ein Schutzstatus für drei Jahre erlaubt den Familiennachzug. Und der ist derzeit nicht gewünscht. Al Takriti hat gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt. In Alfter lernte er über das Netzwerk Asylkompass Ulrike Heider-Klieme kennen. Die pensionierte Psychotherapeutin half zuerst mit Deutschstunden. Doch inzwischen hat sie den Kampf mit den Behörden aufgenommen. Sie suchte für den Syrer auch eine eigene Bleibe. In Alfter und im Kreis war nichts zu finden. „Keiner wollte einen Syrer aufnehmen“, sagt Heider-Klieme. Über zig Ecken kam das Appartement von Sabine Schwachula ins Gespräch.

Der Stadt ist das Problem unbekannt

Der Umzug nach Poppelsdorf wurde genehmigt. Der Kreis gab aber al Takritis Pass bis heute nicht heraus. Und das Jobcenter Bonn erkannte die Ersatzbescheinigung des Rhein-Sieg-Kreises nicht an. Was der Syrer wohl nicht verstand: Das Ausländeramt hätte ihm einen fiktiven Ausweis, eine Fiktionsbescheinigung, ausstellen können. Angeblich habe ihn das Jobcenter mehrfach darauf hingewiesen, betont Behördensprecher Markus Waschinski.

Rita Lorenz aus der Pressestelle des Rhein-Sieg-Kreises bestätigt: „Alle Ausweisdokumente Geflüchteter werden über die Kommunen für das Bamf zur Überprüfung der Echtheit eingezogen.“ Warum das im Fall al Takriti so lange dauert, ist auch im Siegburger Kreishaus ein Rätsel. Es sei auch bekannt, dass Jobcenter Bescheinigungen nicht anerkennen. „Es ist ärgerlich, dass eine Behörde ein Dokument ausstellt, das die andere nicht akzeptiert. Uns sind da leider die Hände gebunden“, sagt Lorenz.

Nach Monaten immer neuer Schriftwechsel erklärte sich das Jobcenter für unzuständig. Wegen des einjährigen Schutzes sei das Ausländeramt der Stadt Bonn verantwortlich. Auch der Rhein-Sieg-Kreis hat Ende Januar al Takritis Akte dorthin geschickt. „Eine Mitarbeiterin hat nun entschlossen gehandelt“, erklärt Heider-Klieme. Seither bekommt der Flüchtling Unterstützung. In der Stadtverwaltung kennt man das Problem offiziell aber nicht, erklärt Pressesprecherin Monika Hörig auf Anfrage. Das Jobcenter sei zuständig gewesen – was sich ja als Fehler herausgestellt hat.

55-Jähriger möchte als Masseur arbeiten

Statt Hartz IV zu beziehen, würde Ghassam al Takriti lieber als Masseur arbeiten, um seiner notleidenden Familie Geld zu schicken. Doch erst muss er Deutsch lernen und seine Kenntnisse nachweisen. Seine Diplome seien in Damaskus bei einem Luftangriff verbrannt. Ein Praktikum an den späten Nachmittagen nach dem Deutsch-kurs wäre toll, auch unbezahlt, damit ihm ein Kollege sein Wissen bescheinigen könne. Dann könnte es ein Ersatzdiplom geben. Und zur Integration würde der Syrer auch gerne einem Schwimm- oder Volleyballverein beitreten.

Im Frühjahr dürfte sich entscheiden, ob es mit der Integration von Ghassan al Takriti nach anderthalb Jahren endlich etwas wird. Dann werde über seinen Widerspruch entschieden, habe ihm sein Bonner Anwalt Jens Diekmann gesagt. Bekommt der Syrer Recht und einen längeren Aufenthaltstitel, dann könnte seine Familie nachkommen. Bei seinem Bruder hat das geklappt. Doch der wohnt in Lübeck. Obgleich er anders als al Takriti aus einem sicheren Viertel in Damaskus stammt, habe er in Schleswig-Holstein gleich Asyl für drei Jahre erhalten.

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