GA-Serie: Sicher leben Mit einem Schluck K.o.

Bonn · Unbemerkt tröpfeln Kriminelle Drogen ins Glas, um Opfer wehrlos zu machen. Anschließend nutzen sie deren hilflose Lage aus. Dabei kann es nicht nur Frauen treffen. Bei Verdacht ist schnelles Handeln gefragt.

 Täter nutzen unachtsame Momente, um Opfern versteckt K.o.-Tropfen ins Glas zu geben.

Täter nutzen unachtsame Momente, um Opfern versteckt K.o.-Tropfen ins Glas zu geben.

Foto: Marcel Dörsing

Die Substanzen sind farblos und haben keinen spezifischen Geschmack oder Geruch. Selbst einige Minuten, nachdem das Opfer sie zu sich genommen hat, merkt es meist noch nicht, was mit ihm passiert - vor allem, wenn zusätzlich Alkohol im Spiel ist. "Wieso ist mir plötzlich schwindelig? Warum bin ich so müde?" - erst kommt die Verwirrung, dann setzt die volle Wirkung ein, die den Tropfen ihren Namen gibt: Der "K.o." Besonders perfide: Täter nutzen die wehrlose Lage ihres Opfers aus, zum Beispiel, um es auszurauben oder zu vergewaltigen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat 2014 deutschlandweit 99 Straftaten im Zusammenhang mit Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB) und Gamma Butyrolacton (GBL) registriert. Dabei handelt es sich um die beiden bekanntesten K.o.-Tropfen-Stoffe. Außerdem berichtet das BKA für 2014 von zwölf Todesfällen, die im Zusammenhang mit dem Konsum von GHB und GBL standen.

Doch diese Zahlen beziehen sich ausschließlich auf den Drogenmissbrauch zu Rauschzwecken. Wie oft die Substanzen nachweislich zum Beispiel zur Vorbereitung einer Vergewaltigung benutzt wurden, ist unklar. Zahlen dazu hat das BKA nicht.

Ein Dutzend Delikte in Bonn

In Bonn hat die Polizei im vergangenen Jahr rund ein Dutzend Delikte in Zusammenhang mit K.o.-Tropfen registriert. Darunter: zwei Fälle von Vergewaltigung, in denen Opfer den Verdacht äußerten, betäubt worden zu sein.

Die Zahlen klingen nicht sonderlich alarmierend, doch Vorsicht: Es liegt in der Natur dieses versteckten Verbrechens, dass viele Taten im Dunkeln bleiben. Die Taten dürften weit häufiger vorkommen, als die Statistik belegt.

Als der General-Anzeiger vor rund einem Jahr über den bislang ungeklärten Todesfall des Bad Godesberger Studenten Jens Henrik Bleck berichtet hat, meldeten sich zahlreiche Leser in der Redaktion. Die Recherchen von GA-Reporter Wolfgang Kaes zeigten: K.o.-Tropfen könnten bei den Ereignissen in der Diskothek, die dem Tod des 19-Jährigen vorausgingen, eine Rolle gespielt haben.

Und auch Leser berichteten davon, schon selbst Opfer einer K.o.-Tropfen-Attacke geworden zu sein, oder ein Kind oder Bekannte zu haben, denen es so erging. Im Oktober dieses Jahres berichtete der General-Anzeiger erneut über den Fall Jens Bleck. Wieder meldeten sich rund zwei Dutzend Leser. Zu ihnen zählt Rolf Schubert (Name von der Redaktion geändert).

Seit über 30 Jahren ist Schubert als Taxifahrer im Nachtleben der Region unterwegs. Das Taxi, sagt er, sei für viele ein Beichtstuhl und der Fahrer der Beichtvater. Noch öfter allerdings ist er der letzte, dem Partygänger am Ende der Nacht begegnen.

Immer wieder Fälle in der Region

"Aus den letzten sechs Jahren kann ich vier Fälle konkret benennen, bei denen ich sagen würde, dass da K.o.-Tropfen im Spiel waren", sagt Schubert. Er erinnert sich an ein junges Geschwisterpaar, Anfang 20, das in Rheinbach in sein Taxi stieg. "Ich dachte erst, dass das eine Mädchen zu viel getrunken hatte", so Schubert. "Doch es seien nur ein oder zwei Kölsch-Cola gewesen, sagte mir die Schwester." Innerhalb weniger Minuten war das Mädchen kaum noch ansprechbar. "Ihre Schwester hat sie unentwegt geschüttelt, damit sie nicht das Bewusstsein verliert."

Eine andere Nacht, ein anderer Fall: Ein junger Mann stieg in Schuberts Taxi zu. "Er zählte sozusagen zu meinen Stammgästen. Ich habe ihn oft gefahren, daher kenne ich ihn auch, wenn er etwas getrunken hat." An diesem Abend jedoch stieg der Jugendliche mit starrem Blick in Schuberts Taxi. "Er wollte etwas sagen, brachte aber keinen Laut heraus." Dann habe er wie ohnmächtig im Sitz gehangen, so Schubert weiter.

Zwei Tage später sei er wieder auf seinen Fahrgast getroffen. Dabei habe dieser berichtet, dass er zwar jedes Wort, das im Auto gesprochen wurde, mitbekommen habe, jedoch unfähig gewesen sei, etwas zu erwidern. "Ich denke, mir hat jemand etwas ins Glas geschüttet", sagte er zu Schubert.

Nachweis einer Vergiftung ist schwierig

Die Unfähigkeit zu sprechen, die Trübung des Bewusstseins - laut Cornelius Heß, Leiter der Forensischen Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn, können das Anzeichen für eine Vergiftung mit K.o.-Mitteln sein. Der Nachweis jedoch gestaltet sich schwierig, zumindest wenn GHB oder GBL benutzt worden sind. "Im Gegensatz zu anderen Drogen, wie zum Beispiel Ecstasy, oder Arzneimitteln, ist GHB bereits nach zwei bis vier Stunden weder im Blut noch im Urin nachweisbar", so Heß. In den allermeisten Fällen werde mutmaßlichen Opfern erst 24 Stunden später Blut zur Analyse entnommen.

Auch die Haaranalyse, die frühestens vier Wochen später entnommen werden kann, biete keine verlässlichen Ergebnisse. Am Bonner Institut laufen Forschungen, um anhand von Abbauprodukten auf eine Vergiftung schließen zu können - bislang jedoch ohne Erfolg. "Die Substanzen und auch deren Abbauprodukte sind körpereigene Stoffe, das macht es schwieriger, Rückschlüsse auf eine externe Gabe zu ziehen", so Heß.

Etwa fünf Verdachtsfälle untersuchen er und seine Mitarbeiter in der Woche. Die Proben stammen dabei laut Heß nicht aus Bonn - den Auftrag hat das Institut nicht erhalten - , sondern vornehmlich von bayerischen Polizeidienststellen, mit denen die Bonner Rechtsmedizin zusammenarbeitet. "In zwei Jahren haben wir ein einziges Mal GHB nachgewiesen, allerdings nicht im Blut, sondern in einem Getränk, das zufällig gesichert werden konnte", erinnert sich Heß. "GHB hat völlig unterschiedliche Wirkpotenzen, je nach Dosierung." Und im Falle einer K.o.-Tropfen-Attacke ist die Dosierung völlig unvorhersehbar.

Über das Blut gelangt der Wirkstoff zu speziellen Rezeptoren im Gehirn, an denen zum Beispiel auch Alkohol andockt. "Dort führt es zu einer Dämpfung der Zellen", so der Rechtsmediziner. In höherer Dosierung verursache es Übelkeit, Verwirrtheit, Bewusstlosigkeit und kurzzeitigen Gedächtnisverlust. "GHB wirkt atemdepressiv. Haben Betroffene zusätzlich auch Alkohol im Blut, kann das Mittel tödlich sein", erklärt Heß.

Verdacht sofort der Polizei melden

GHB ist zwar verboten, doch das Internet bietet immer noch Möglichkeiten, an das Mittel heranzukommen. Zudem werden auch andere zentraldämpfende Substanzen wie Beruhigungs- oder Schlafmittel als K.o.-Tropfen missbraucht. Zum Teil sind sie sogar frei erhältlich. 2014 wurde laut aktuellem Drogenbericht der Bundesregierung im Schnitt jede Woche eine neue, bislang unbekannte Droge im Umlauf entdeckt.

Dazu zählen sogenannte Legal Highs. Bei diesen Stoffen wird die chemische Struktur illegaler Betäubungsmittel so verändert, dass der neue Stoff nicht mehr oder besser gesagt noch nicht dem Gesetz unterliegt.

Hin und wieder melden sich Betroffene in der Rechtsmedizin, wenn sie den Verdacht haben, mit K.o.-Tropfen betäubt worden zu sein. Cornelius Heß verweist sie dann stets an die Polizei. "Schnelles Handeln ist gefragt", sagt Heß, denn bis jetzt ist das die einzige Chance, dass Tat und Täter nicht im Dunkeln bleiben.

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