Prozess um Messerattacke in Bonner Flüchtlingsunterkunft „Ich schwöre bei Gott, ich erinnere mich an nichts“

Bonn · Vor dem Bonner Landgericht hat am Dienstag der Prozess gegen den 24-jährigen Flüchtling aus Guinea begonnen, der am 1. August 2015 im Paulusheim einen Mitbewohner mit zwei Messern verletzte und anschließend von Polizisten niedergeschossen wurde.

Stark hinkend betritt der 24-jährige Flüchtling aus Guinea, der am 1. August 2015 im Paulusheim einen Großeinsatz der Polizei auslöste, den Gerichtssaal. Er wurde damals von SEK-Beamten mit sechs Schüssen niedergestreckt, nachdem er zuvor einen Mitbewohner mit Messern attackiert und immer noch mit den zwei Messern in der Hand aus dem Fenster gesprungen und auf die Polizisten zugerannt war. Durch die Schussverletzungen ist er nachhaltig beeinträchtigt, kann auch einen Arm nicht mehr heben. Für ihn geht es vor dem Landgericht nun nicht um Bestrafung. Denn laut Gutachten litt er zur Tatzeit an einer Psychose und war deshalb schuldunfähig. Und so hat die Staatsanwaltschaft seine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik beantragt.

Der 24-Jährige kommt als freier Mann zu dem Verfahren vor der 3. Großen Strafkammer. Er ist zwar seit der Tat in der Landesklinik untergebracht, inzwischen jedoch in der offenen Abteilung, da er den Ärzten zufolge nicht mehr psychotisch ist. Ob er noch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt und untergebracht werden muss, will nun das Gericht mit Hilfe des Sachverständigen herausfinden.

Fest steht: Am 1. August war er gefährlich, wie die Zeugenaussagen am ersten Prozesstag belegen. Sein 27-jähriges Opfer, ein Landsmann, schildert, wie sich der 24-Jährige schon Wochen zuvor immer mehr verändert habe. Er kennt den 24-Jährigen gut, war mit ihm befreundet und ist es immer noch, wie er erklärt. Erstmals auffällig geworden war der 24-Jährige am 13. Juni am Bertha-von-Suttner-Platz, als er wegen eines Ausschlags unbedingt mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden wollte. Als die Sanitäter sich weigerten und ihn an den Hausarzt verwiesen, drehte er durch, klammerte sich an einen Laternenmast, schlug wild um sich und schrie. Wie Polizisten nun im Zeugenstand aussagen, hatten sie den Eindruck: Mit dem stimmt was nicht.

Dass etwas ganz und gar nicht stimmte, wurde dem 27-jährigen Mitbewohner dann am Vorabend des 1. August klar: Da sei der 24-Jährige sehr durcheinander gewesen und habe, obwohl Moslem, mit ihm immer in die Kirche gehen wollen und etwas von einem toten Vogel erzählt. Die ganze Nacht über sei er ständig zu ihm gekommen und habe seine Bitte wiederholt.

Schließlich, so der Zeuge, habe er einen Sicherheitsmann über den Zustand des Freundes informiert. Doch der habe nur gesagt, sie seien doch beide Afrikaner und müssten sich doch gut verstehen. Als der 24-Jährige immer wieder bei ihm aufgetaucht sei, sei er dann um sechs Uhr mit dem 24-Jährigen tatsächlich zur Kirche gegangen, um endlich Ruhe zu haben. Doch die Kirche sei geschlossen gewesen. Einer Studentin, die ehrenamtlich in dem Flüchtlingsheim arbeitete, schrieb der 27-Jährige, wie er sagt, dann eine SMS, worin er ihr erklärte, man müsse am nächsten Tag mit dem Freund zum Arzt.

Bis zum Mittag habe er den 24-Jährigen nicht mehr gesehen. Im Paulusheim habe es ein großes Fest gegeben, und plötzlich habe der Freund in seinem Zimmer gestanden – mit zwei Messern in den Händen. „Dann ging alles ganz schnell und ich war verletzt. Als er dem 24-Jährigen die Stichwunden an Arm und Finger gezeigt habe, habe der gesagt: „Heute werde ich Blut trinken.“ Der Angreifer war nicht mehr ansprechbar, wie jetzt auch Polizisten schildern. „Und plötzlich sprang er mit den Messern in Händen aus dem Fenster im zweiten Stock und rannte den SEK-Kollegen in die Arme“, schildert ein Beamter.

Vor Gericht beteuert der 24-Jährige nun: „Ich schwöre bei Gott, ich erinnere mich an nichts.“ Der Mann, der in der Heimat Frau und Kinder hat, machte sich 2011 auf eine zwei Jahre dauernde Reise über Land und in einem Boot über das Meer nach Deutschland, nachdem er in Guinea alles verloren hatte. Ab 2014 lebte er im Paulusheim, wo er als fröhlicher, freundlicher Mensch bekannt war, wie sein Opfer sagt. Der 27-Jährige besuchte seinen Freund in der Landesklinik insgesamt 50 bis 60 Mal. Es gehe ihm jetzt besser, versichert er. Aber fröhlich sei er nicht mehr.

Ob die Schüsse auf ihn damals rechtmäßig abgefeuert wurden, ist noch immer ungeklärt. „Die Ermittlungen gegen die Polizisten dauern an“, erklärte Staatsanwaltschaftssprecherin Karen Essig gestern auf Anfrage.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort