Ellen Klandt veröffentlicht Briefverkehr der Eltern Liebesbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg werden zum Buch

Bonn · Ellen Klandt hat den Briefverkehr ihrer verstorbenen Eltern entdeckt und zu einem Buch verarbeitet. Die Mutter versuchte 1944 die Bombenangriffe auf Bonn zu überleben, der Vater gehörte zur Truppe, die Leningrad belagerte.

Es ist dieser Moment im Buch von Ellen Klandt, der ungemein schmerzt: Die 1950 geborene pensionierte Lehrerin hält nach dem Tod der Eltern deren Liebesbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg in Händen – und sie begegnet „zwei Fremden“, die sie fast nicht wiedererkennt. „Was in ihrer Jugend und dann während des Kriegs war, haben sie uns Töchtern nie erzählt. Ich habe nie Antworten bekommen“, meint Klandt immer noch fassungslos und betrachtet zwei Fotos: das der blutjungen Mutter, anfangs Verkäuferin aus der Kölnstraße, und das des wenig älteren Vaters in Wehrmachtsuniform, der wenigstens ein halbes Lächeln versucht.

Klandt ist anhand der Briefe plötzlich eines klar geworden: Bevor die Mutter 1944 die Bombenangriffe auf Bonn zu überleben versuchte, war der Vater Teil der Truppe gewesen, die die berühmt-berüchtigte Blockade Leningrads ausgeführt hatte. 1,1 Millionen Russen fielen ihr zum Opfer. Die Deutschen hatten sie systematisch verhungern lassen. Der Vater war an einem Kriegsverbrechen beteiligt gewesen...

Fliegeralarm in zugigen Bunkern

Ellen Klandt schaut auf die in so feinen Handschriften verfassten Dokumente. Sie hat Teile zu einem Buch gemacht, das aber genauso von ihrer eigenen Generation handelt. „Denn zur Erzählung jedes Lebens gehören auch die Stimmen unserer Vorfahren, gegen die unsere eigene Stimme sich durchsetzen muss – leise, aber deutlich“, sagt Klandt. „Zwei schöne Fensterplätze in den Krieg“ hat sie das Buch betitelt. Denn die Mutter in Bonn klettert in den Briefen zwar über zerfetzte Leichen. Der Vater verharrt bei Fliegeralarm in zugigen Bunkern, während Granaten hämmern. Aber irgendwie haben sich die beiden in einem künstlichen Kosmos verschlossen, schreiben sich von Schlagern und Durchhaltefilmen. Natürlich habe in Feldpost nichts Regimekritisches stehen dürfen, weiß die Tochter. „Aber ist in den Briefen überhaupt Krieg?“

Gut, die Mutter stand den Nazis kritisch gegenüber, das weiß Klandt. Doch was war mit dem Vater? Der war nicht in der kämpfenden Truppe, sondern in der Schreibstube eingesetzt, erfährt sie nun. Aber wusste er nicht, weshalb sie vor Leningrad standen? „Kein Wort davon.“ Die Tochter ist entsetzt. Was waren das für Listen, die er anlegte? Ihr liegt auch sein Kriegstagebuch vor. Sachlich beschreibe er da „die größten Ungeheuerlichkeiten. Keine Gefühle.“ Sie begreift, dass er nur Obergefreiter blieb. „Immerhin das.“ Sie findet erleichtert Passagen, in denen ihm dämmert, dass Krieg Unrecht sein könnte, und er Gefühle für die russische Bevölkerung andeutet: „Sie haben so viel Leid mitmachen müssen.“ Und dann überkommt Klandt „Mitleid mit dem jungen Kerl, der mein Vater einmal gewesen ist“, der von sinnlosen Torturen schreibt, von Kälte, Hunger, Zigaretten, Schnaps – und Angst.

Traum vom kleinen Glück

„Ich bedaure, dass ich die Briefe erst nach dem Tod meiner Eltern lesen konnte“, sagt die Tochter nun. Sie hätte ansonsten sicher mehr Verständnis für sie aufbringen können. Denn wortkarg und hart mit sich selbst und den Kindern seien die Eltern später gewesen. Klandt beginnt zu begreifen, warum. Die Eltern hätten sich nach diesem erbarmungslosen Krieg wohl immer nur als „Davongekommene“ begriffen. In ihren Liebesbriefen jedoch, hätten zwei blutjunge Menschen, während die Welt in Stücke ging, wenigstens für kurze Zeit versucht, einen Traum vom kleinen Glück zu leben.

Verleger Hans Weingarz erhält für seinen Beueler Kid Verlag viele Manuskriptangebote mit Familiengeschichten, die in Bonn spielen. Doch das von Ellen Klandt sei anders gewesen, sagt er. Der Leser erfahre hier, was der Zweite Weltkrieg bei den Eltern, aber auch deren nachgeborenen Kindern angerichtet habe. „Die Autorin steht dabei repräsentativ für das, was die Kinder der 1950er Jahre in ihrer Kindheit zu bewältigen hatten und bis heute haben.“

Ellen Klandt, „Zwei schöne Fensterplätze in den Krieg“, Kid Verlag 2017, 15,80 Euro.

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