Saisonstart 2016 in Bonn Lennie und die Kunstflaneure
Bonn · Gelungener „SaisonstART“ von 17 Bonner Galerien, Museen und Kulturinstitutionen. „Große Geister“ im Kunstmuseum und zwei frisch eröffnete Rhein-Ausstellungen in der Bundeskunsthalle und im LVR-Landesmuseum lockten das Publikum an.
Lennie hatte einen arbeitsreichen Samstag, alle Pfoten voll zu tun. Der sympathische braune Labradoodle der Galeristin Judith Andreae ließ es sich nicht nehmen, jeden Besucher des alten Schulhauses an der Bad Godesberger Paul-Kemp-Straße persönlich zu begrüßen und schwanzwedelnd zu betreuen. Beim mittlerweile dritten Saisonstart der Bonner Galerien, Museen und Kunstinstitutionen hatte die Galerie Andreae besonders viel Zuspruch, was natürlich auch mit den Straßenfest „3. Promenade Paul Kemp“ zu tun hatte, das der Galeristin das Publikum förmlich ins Schulhaus spülte.
Draußen Flohmarkt, drinnen ein hochinteressanter junger Foto- und Videokünstler: Felix Contzen, der bei den Professoren Jürgen Klauke und Boris Becker studierte und mittlerweile bei Marcel Odenbach in Düsseldorf ist, zeigt unter dem sperrigen Titel „Geologischer Aufschluss Stolpergefahr“ exzellente Fotografie, die von romantischen Utopien und Seelenzuständen sowie vom Scheitern einer Namibia-Recherche berichten. Im Keller folgt der Arachnophobiker Contzen per Video einer Spinne auf einem Werk von Tony Cragg.
Schöner Auftakt einer Kunstexkursion durch Bonn: Der „SaisonstART“ bot rund acht Stunden Kunst in 17 Stationen. In der südlichsten Station, der Bad Godesberger Galerie von Carla Reul, ging es mit wunderbaren Raum- und Wandobjekten aus Papier von Christine Reifenberger, die die Anmutung von hauchzartem, kostbarem Porzellan haben, eher beschaulich zu. Dafür war in den drei großen Kunsthäusern erwartungsgemäß mehr los.
„Große Geister“ im Kunstmuseum, zwei frisch eröffnete Rhein-Ausstellungen in der Bundeskunsthalle und im LVR-Landesmuseum lockten das Publikum an, die jeweiligen Intendanten, Stephan Berg und Rein Wolfs, sowie Gabriele Uelsbergs Vize Lothar Altringer führten die Besucher persönlich. In der Bundeskunsthalle und im Kunstmuseum bot man den Kunstfans einen wahren Führungsmarathon.
Museumsreife Qualität erwartete die Saisonstart-Flaneure auch andernorts: Im Galeriehaus Lotharstraße 104 gab es die gerade eröffnete Ausstellung von Maik + Dirk Löbbert zu bestaunen, eine unglaublich witzige, intelligente Auseinandersetzung mit Uwe Schröders Architektur. Im letzten Raum ein gruseliges Schrankwand-Eiche-Rustikal-Erlebnis. Ganz große Klasse.
Auf dem Weg gen Norden ein Stopp beim Paul-Clemen-Museum der Kunsthistoriker in der Bonner Universität: Da konnte der Besucher zum Kurator werden, sich aus einem Dutzend Bildern eines Aussuchen, das dann an die Wand gehängt und mit einem Studenten diskutiert wurde. Das schärft den Blick und macht Spaß. Auch in anderer Hinsicht profitierte der Saisonstart von Studierenden und Absolventen des Kunsthistorischen Instituts. Vom Frankenbad aus gingen zwei geführte Touren durch die Nordstadt, die Kunsthistorikerin Franziska Mailbeck betreute die Tour A, der Kunstgeschichte-Student Leon Jankowiak die Tour B. Insgesamt neun Institutionen standen auf dem Programm.
Die Nordstadt-Szene gab sich von ihrer Schokoladenseite. Mit leichter Erdnuss-Note wie im Kunstverein, wo Kuratorin Sarah Kristin Happersberger mit umwerfendem Charme in die Kunst des niederländischen Allroundkünstlers Wim T. Schippers einführte und dessen riesigen Erdnussbutter-Bodenbelag erklärte. Nebenan in der Gesellschaft für Kunst und Gestaltung diskutierten Vorstandsmitglied Andreas Denk, der Kölner Galerist Werner Klein und der deutsch-iranische Künstler Rozbeh Asmani über dessen exzellente Ausstellung „Besetzte Farben“, eine minimalistische Recherche über Farben, die von Firmenlogos vereinnahmt wurden und sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt haben. Eine Tür weiter im Künstlerforum präsentiert sich die Ateliergemeinschaft Kunstwerk KHB aus Beuel. Per Umfrage sollte das beste Kunstwerk gekürt werden: In der Führungsgruppe B kristallisierten sich die die künstlerisch veredelten Hanfseile von Ute Röbbecke-Müller als Favoriten heraus.
Weiter zog man in den eindrucksvollen Saal des Dialograums Kreuzung an St. Helena, der mit fantastischen, atmosphärischen Musikerfotos in Schwarz-Weiß von Peter Gannushkin gefüllt ist, und in Cornelia Genschows „Raum für Kunst & Natur“, den die Israelin Daphna Weinstein in einer gerade eröffneten Ausstellung mit hochpoetischen Skulpturen und Installationen bespielt. Echte Entdeckungen gibt es auch im Frauenmuseum, das die Recherchen zu der Pionierin des Fotojournalismus Marie Goslich ausbreitet und motivisch hochinteressante, technisch vorzügliche Bilder präsentiert.
Neues gibt es von Karl-Theo Stammer, der mit Zeichnungen und Linoldrucken im Kunstraum 21 beeindruckt. Zu Kontroversen regte das Gemeinschaftsprojekt des Duos Nairol Elauqa im S.Y.L.A.NTENHEIM in der Maxstraße an: Eine Woche lang bemalten Demeco & Pasquale sowie Florian Teichmann zehn Leinwände. Das Ergebnis ist sehenswert. Wie auch der Dreierakkord, den Natascha Cuschié in der Fabrik 45 präsentiert: Sie hat die Galerie von Halina Szalc eingeladen, die mit Antje Seemann, Zsuzsi Rákosfalvy und Peter Szalc ein eindrucksvolles Trio aus ihrem Programm vorstellt.
Die Kunstszene traf sich ab 19 Uhr unter den angestrahlten Kegeln auf dem Dach der Bundeskunsthalle zur Abschlussparty. Lennie wurde auf der Tanzfläche nicht gesichtet. Er hatte wohl genug von der Kunst.