Mitarbeiter aus dem Ausland Kliniken in Bonn kämpfen gegen Pflegenotstand

Bonn · Bonner Krankenhäuser haben Probleme, gute Pflegefachkräfte zu finden. Sie setzen auf eigene Ausbildung, rekrutieren Mitarbeiter aus dem Ausland und hoffen auf das neue Pflegegesetz. Verdi kündigt an den Unikliniken Warnstreiks für Montag und Dienstag an.

Die Situation kann man bedenklich nennen: Der Deutsche Pflegerat prognostiziert, bis 2030 fehlten 300 000 Pflegekräfte in Deutschland. Schon heute ist es für Krankenhäuser schwierig, geeignete Fachkräfte zu finden. „Der Markt gibt es einfach nicht mehr her“, sagt Alexander Pröbstl, Pflegedirektor der Unikliniken Bonn. Und er ist mit diesen Problemen nicht alleine. Auch andere Bonner Krankenhäuser haben Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen.

Not macht da erfinderisch. Die Unikliniken setzen neben dem nationalen Arbeitsmarkt und der eigenen Ausbildung auf Fachkräfte aus dem Ausland. Michael Villas und Joyce Ann Grafia kommen aus den Philippinen und gehören schon zu den erfahreneren Pflegefachkräften auf dem Venusberg. „Die Situation in meiner Heimat ist schwierig, Pfleger verdienen nur wenige hundert Euro. Damit kann ich meine Familie nicht ernähren“, sagt Villas. Kollegin Grafia ist noch nicht ganz so lange dabei wie er, auch sie unterstützt mit ihrem Gehalt ihre Familie: „Wenn es mal Verständnisschwierigkeiten mit Patienten gibt, ist immer jemand da, der mir helfen kann“, sagt sie. Villas erhält seit der endgültigen Anerkennung durch die deutschen Behörden das volle tarifliche Gehalt, bis dahin werden die Angeworbenen als Pflegehelfer entlohnt. Sie sind den deutschen Arbeitnehmern gleichgestellt. Villas und Grafia haben in ihrem Heimatland eine Hochschulausbildung genossen, die Pröbstl als „sehr fundiert“ bezeichnet.

Beim Goethe-Institut bekommen sie in Vorbereitung auf ihren Dienst im Ausland qualifizierten Deutschunterricht. „Der Sprachunterricht wird hier in Bonn weitergeführt ebenso übrigens wie die fachliche Weiterqualifizierung.“ Da die Vernetzung in Drittländer wie Serbien, Bosnien-Herzegowina und eben den Philippinen die Krankenhäuser schlecht selbst leisten können, greifen die Häuser auf das Programm „Triple Win“ der Bundesagentur für Arbeit zurück, die mit ähnlichen Agenturen in den Ländern zusammenarbeitet.

Sprachkenntnisse der Bewerber

Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als staatliche Organisation für Entwicklungszusammenarbeit ist beteiligt. Der Fokus auf die genannten Länder hat vor allem mit einem Nachhaltigkeitsgedanken zu tun. Es sind nach Angaben der Arbeitsagentur Nationen, die einen Überschuss an Pflegekräften haben. Das Programm stößt allerdings durchaus auf Kritik, weil die sprachlichen Fähigkeiten der Bewerber doch sehr unterschiedlich sind. Aus diesem Grund bilden sich die Unikliniken ein Bild vor Ort von den künftigen Fachkräften. „Wir haben positive Erfahrungen gemacht“, sagt Pröbstl.

Er räumt ein, dass die Rekrutierung aus Drittländern nur ein Standbein zur Gewinnung neuer Mitarbeiter sein könne. Vernünftige Ansätze sieht er im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, das Neueinstellungen ermöglicht. Den Heilsbringer sieht Pröbstl in dem neuen Gesetz aber nicht. Angesichts hoher Belastungen in der Pflege und zahlreichen Überstunden, die jährlich anfielen, müsse sich die Politik schon fragen: „Wohin wollen wir in Deutschland? Welchen Standard wollen wir?“

In skandinavischen Ländern komme ein Pfleger auf vier bis fünf Patienten, hierzulande betreue eine Fachkraft derzeit doppelt so viele Menschen. Die Pflegegesetze wiesen in die richtige Richtung, meint Pröbstl: „Deutschland begibt sich auf den Weg, sich in der Versorgungsqualität der Bevölkerung an europäische Standards anzunähern. Derzeit rangiert Deutschland im OECD-Vergleich im unteren Drittel bei der Personalausstattung im Pflegebereich.“ Von einem Pflegeschlüssel wie in Skandinavien kann man in Deutschland und auch in Bonn derzeit allerdings nur träumen. Verdi hält eine bessere Bezahlung in den Pflegeberufen für notwendig, um die Branche aufzuwerten. Deshalb ruft die Gewerkschaft Beschäftigte der Unikliniken auch in Bonn am kommenden Montag und Dienstag zu einem weiteren Warnstreik auf, um der Forderung nach sechs Prozent Lohnerhöhung und einer jährlichen Einmalzahlung von 500 Euro Ausdruck zu verleihen.

Verdienstmöglichkeiten nicht attraktiv

„Die Personaluntergrenzen durch den Gesetzgeber reichen nicht aus“, erklärt der Bonner Gewerkschaftssekretär Arno Appellhoff. Die bessere Bezahlung – derzeit verdienen Berufseinsteiger im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes rund 2700 Euro, an den Unikliniken sind es 30 Euro weniger, Endstation ist bei 3391 Euro beziehungsweise 3327 Euro, hinzu kommen Zuschläge. „Zur Realität gehört gegenwärtig, dass viele Beschäftigte nur Teilzeit arbeiten und darüber hinaus über Zeitarbeitsverträge oder als Selbstständige hinzuverdienen, weil es sich für sie lohnt“, so Appellhoff.

Die Johanniter GmbH, die Johanniter-Krankenhaus und Waldkrankenhaus betreibt, könnte nach eigener Auskunft 20 Neueinstellungen vornehmen. Doch aufgrund der hohen Krankenhausdichte und einer großen Nachfrage sei die Besetzung nicht eben einfach.

Aus diesem Grund betreiben beide Häuser gemeinsam mit der Asklepios Klinik in Sankt Augustin eine zweizügige Krankenpflegeschule und bilden pro Jahr zwei Mal 60 Pfleger für drei Jahre aus. Ein anderes Standbein sind Fachleute aus Italien. Die Krankenhäuser zahlen den Sprachunterricht. Ute Pocha, Pflegedirektorin an Johanniter- und Waldkrankenhaus ist der Auffassung, „Um eine gute pflegerische Versorgung in Deutschland sicherzustellen, muss der Beruf aufgewertet werden und das nicht nur finanziell, sondern auch durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen.“ Die Pflegekräfte müssten von Nebenaufgaben wie der Verwaltung entbunden werden, damit sie sich „auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren können“. Die Digitalisierung sei an dieser Stelle eine Chance. Familienfreundlichere und individuelle Modelle wären ein weiterer Ansatz, um den Beruf attraktiver zu machen, sowie ein Gesundheitsmanagement, damit die Angestellten länger den anstrengenden Beruf ausüben könnten.

Aus Sicht von Sabine Simski, Pflegedirektorin des Gemeinschaftskrankenhauses Bonn, komme der Beruf in der öffentlichen Wahrnehmung oft zu einseitig weg: „Der Beruf hat eine enorme Bandbreite von hoch spezialisierter Pflege und Fachkompetenz bis hin zur Schulung, Anleitung und Beratung.“ Am Image müsse gefeilt werden. Nichtsdestotrotz kritisiert sie die Rahmenbedingungen: „Politische Signale und Steuerung wären hier bereits vor Jahren angezeigt gewesen“, findet Simski. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt beschreibt sie als „sehr angespannt“, der Vorstoß der Politik, zusätzliche Stellen nun voll zu finanzieren, zeige die Nöte der Branche.

In den Häusern des Gemeinschaftskrankenhauses, Sankt Petrus am Bonner Talweg und Sankt Elisabeth in der Prinz-Albert-Straße, bietet man den Angestellten Zusatzleistungen wie Zuschüsse für Kitaplätze und Job-Räder sowie Arbeitszeitmodelle an, um ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen. Die Krankenhäuser hätten fast sämtliche Auszubildende in der hauseigenen Pflegeschule zuletzt übernehmen können. „Wir sind ebenso offen für Pflegekräfte aus dem Ausland, sofern sie den sprachlichen Anforderungen entsprechen und sich in unserem Pflegeverständnis wiederfinden“, so Simski.

Arbeitgeber zahlen Prämien

Im Malteser Krankenhaus sind derzeit elf Stellen unbesetzt. Pflegedirektion und Geschäftsführung haben 2018 die Zahl der Ausbildungsplätze auf 54 erhöht und sie setzen auf Anreize wie regelmäßige Fortbildungen oder eine Zusatzprämie für kurzfristiges Einspringen. Schülerpraktikanten können in den Beruf schnuppern und Mitarbeiter des Malteser besuchen regelmäßig umliegende Schulen, um für den Beruf zu werben.

Der Mangel qualifizierter Pfleger bei den GFO-Kliniken, zu denen in Bonn die Krankenhäuser Sankt Josef und das Marienhospital gehören, führt immer wieder dazu, dass frei werdende Stellen nicht besetzt werden können, wie GFO-Sprecherin Dorothea Adams sagt. Neben eigenen Ausbildungsstätten und flexiblen Arbeitszeitmodellen spricht der Verbund gezielt examinierte Fachkräfte an, die beispielsweise nach einer Kinderpause wieder in den Beruf einsteigen wollen. Der Arbeitsalltag richte sich zunächst an den Patienten aus, „unser Qualitätsmanagement hat aber ebenso im Blick, dass die Arbeit für die Mitarbeitenden auch zu leisten ist.“

Deutlich weniger Bewerbungen bekommt mittlerweile die LVR-Klinik am Kaiser-Karl-Ring ins Haus. Trotz eigener Ausbildung und Fachkräften aus dem Ausland „lösen unsere Anstrengungen das Problem nicht allein“, sagt deren Sprecher Tillmann Daub. Zumal in der Psychiatrie eine gute Kommunikation besonders wichtig und die Sprachfähigkeit entscheidend sei. Ein Ausbau der eigenen Pflegeschule von 100 auf 150 Plätze seien in konkreter Planung, die Arbeitsbedingungen aber das größte Problem in einem „unterfinanzierten Bereich“. Immerhin: Durch eine hohe Zahl an gut ausgebildeten Pflegern sei es bisher möglich, die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen für, wie Daub sagt, „einen wunderbaren Beruf“.

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